REIHE UNTERWEGS

Die Seelentröster mit der Grillzange

Fukuokas Imbissbuden sind Fresstempel und Kontaktbörse zugleich

Text und Fotos: Karsten-Thilo Raab

Manager im feinen Zwirn und Angestellte aus dem nahe gelegenen Finanzdistrikt sind hier ebenso zu finden, wie freakige Jugendliche im flippigen Tokio-Hotel-Look und Touristen aus allen Teilen der Welt. Wo tagsüber Spaziergänger flanieren, zieht mit Einbruch der Dunkelheit die wohl berühmteste Fressmeile Japans die Besuchermassen in ihren Bann. Rund 180 Imbissstände, sogenannte Yatais, sind in der japanischen Millionenmetropole Fukuoka zu finden. Die besten drängen sich wie an einer Perlenschnur aufgereiht am Ufer des Nakagawa Flusses unweit der Haruyoshi Brücke. Sie sind Treffpunkt, Gerüchteküche, Kontaktbörse und zweites Wohnzimmer für viele, aber auch Enklaven des Lachens und des Lästerns, in denen einem scheinbar nie enden wollender Marathon an Trinksprüchen und Tresenpolitik dazu beiträgt, dass sich die Probleme der Welt in Wohlgefallen auflösen.

Japan - Fukuoka

Blick auf Hochhäuser in Fukuoka

In unmittelbarer Nachbarschaft zum berüchtigten Vergnügungsviertel Nakasu mit seinen 2.000 Restaurants, Kneipen, Bars und Nachtclubs avancieren die mobilen Fresstempel zu einem wahren Publikumsmagneten. Geduldig warten die Gäste in nicht abreißen wollenden Schlangen darauf, einen der begehrten Plätze am Tresen des Yatais ihrer Wahl zu ergattern. Und dies kann dauern. Denn die Gäste legen angesichts der Mischung aus kulinarischen Genüssen, Tratsch und Klatsch Sitzfleisch an den Tag.

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„Viele bleiben ein, zwei Stunden und ziehen dann weiter zur nächsten Bude“, erzählt Hashegawa Yoshjuki. Sein nunmehr 24 Jahren bestreitet der heute 58jährige seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Gegrilltem und Frittiertem – und dies mehr recht als schlecht. Anfangs stand er allein hinter dem Tresen. Heute wirft der Stand genug ab, um auch seine Frau Yuriko, seinen Sohn Akito und mit Yana Chan einen befreundeten Koch zu beschäftigen.

Dabei ist das Leben als Imbissbesitzer in Fukuoka kein Zuckerschlecken. Da sind zum einen die Arbeitszeiten. Der Stand ist ganzjährig an vier Tagen in der Woche von 18 Uhr bis mindestens 2 Uhr morgens geöffnet – und dies bei Wind und Wetter. Hinzu kommt die Tatsache, dass täglich frische Ware eingekauft werden, der Müll entsorgt sowie die Bude abgebaut und anschließend von Lastenträgern zu einem rund zweieinhalb Kilometer entfernten Parkplatz gekarrt werden muss. Ein zeitaufwendiges und noch dazu teueres Unterfangen, denn allein für die Gewerbeerlaubnis muss Hashegawa Yoshjuki 100.000 Yen im Monat berappen.  

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Yana Chan bei der Arbeit

„Wir haben kaum Stammkunden. Die Gäste kommen aus allen Teilen Japans, aus Korea, China, Taiwan und den USA“, freut sich der 58jährige, dass sich die Yatais bei aller Einfachheit größter Beleibtheit erfreuen. Seine Imbissbude besteht aus einem Grill, einer kleiner Vitrine, einem Kühlschrank sowie einem Tresen mit rund einem Dutzend Barhockern davor. In der Auslage stehen riesige Sake-Flaschen. Im Angebot ist nahezu alles, was auf dem Grill oder in der Friteuse zubereitet werden kann. Der Bogen spannt sich von Pferdefleisch und Dengaku (gerösteter Tofu mit süßem Bohnenüberzug) bis hin zu den Spezialitäten wie Yakitori (gegrilltes Hühnerfleisch) oder Tempura (frittiertes Gemüse und frittierter Fisch). Fleischspieße sind für 200 Yen zu haben, ein Omlett mit Fischrogen schlägt mit 1.300 Yen zu Buche. Und wenn mal jemand Ramen, jene japanische Suppe mit Schwein und Hühnerknochen und Nudeln, bestellt, besorgt Hashegawa Yoshjuki diese vom Nachbarstand. Denn die Händler sind eine große Familie, arbeiten ungeachtet aller Konkurrenz Hand in Hand.
„Oishi! Okawari“ – „Lecker. Das Gleiche noch einmal bitte!“, ruft ein Gast. Schon greift Yana Chan zur Grillzange. Der 49jährige arbeitet seit mittlerweile zehn Jahren im Schatten der Haruyoshi Brücke. Zuvor verdiente er seine Brötchen als Koch in einem chinesischen Restaurant in Hakata. „Hier ist es tausendmal schöner als im Restaurant. Hier bin ich an der frischen Luft und kann mit den Menschen quatschen“, ist Yana Chan voll des Lobes für seine Arbeitsstätte und ergänzt: „Ich war noch nie in Europa. Aber ich mag Europa.“

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Kulinarische Genüsse

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Woher seine Zuneigung für Europa kommt, bleibt offen. Vielleicht gehören Freundlichkeiten dieser Art schlicht zum Geschäftsgebaren. Auf jeden Fall verstehen Yana Chan und Hashegawa Yoshjuki ihr Geschäft, wissen, wie sie den Kunden ein Gutes Gefühl vermitteln. Mal scherzen sie mit den Gästen, mal philosophieren sie mit ihnen über Gott und die Welt, mal fungieren sie als Seelentröster.

„Die Leute teilen uns ihre Sorgen und Nöte mit. Einige wollen nur quatschen. Ein Paar hat sich sogar hier bei uns kennen gelernt und später geheiratet“, schwärmt der eingefleischte Single Yana Chan von der einmaligen Atmosphäre an seiner Arbeitsstätte und fügt etwas lakonisch hinzu: „Vielleicht lerne ich ja hier auch noch meine Traumfrau kennen. Wenn man alt wird, wird man alleine schnell sehr, sehr einsam.“

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Ins gleiche Horn stoßen auch Toshiro Oshumi, Takeshi Doszona und Fujimoto Tomoro. Die Studenten aus Oita sind von der Stimmung an den Ständen fasziniert: „Wenn man in Hakata ist, muss man einfach hier gewesen sein. Hier herrscht typische Kyushu-Atmosphäre – offen und männlich.“ Was dies bedeuten soll verraten die drei angehenden Ingenieure nicht. Über eines sind sich die drei Junggesellen aber einig: „Das ist ein guter Platz, um nette Frauen kennen zu lernen.“

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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