Reiseführer Prag Tour 10: Rund um den Wenzelsplatz



Dieses moderne Zentrum Prags kommt nie zur Ruhe: Geschäfte, Restaurants, Cafés und Hotels locken tagsüber Einheimische wie Touristen gleichermaßen. Und nachts, wenn anderswo bereits Ruhe eingekehrt ist, tobt hier noch das Leben.

Prag Wenzelsplatz Image by Hermann Traub from Pixabay

Im öffentlichen Leben Prags spielte der Wenzelsplatz (Václavské náměstí) schon immer eine bedeutsame Rolle. Im Mittelalter lockten an seinem unteren Ende Richtstätte und Pranger Schaulustige, vor deren Augen die Verurteilten gerädert oder gevierteilt wurden. 1848 wurde hier die Revolution eingeläutet, 1918 demonstrierten die Prager rund um den Platz erfolgreich für die Ausrufung eines unabhängigen Staates. 1989 schließlich forderten Hunderttausende von hier aus den demokratischen Wandel.

Wenn man von der U-Bahn-Station Muzeum her kommt (Ausgang Václavské náměstí), öffnet sich ein unverstellter Blick über den nach Südosten leicht ansteigenden Platz. Der Wenzelsplatz - seine ursprüngliche Bezeichnung "Roßmarkt" weist ihn als mittelalterlichen Markt aus - gleicht einer breiten, in der Mitte durch bescheidene Grünanlagen mit Bänken unterteilten Chaussee. Optischer Abschluß des Platzes ist der wuchtige Neorenaissance-Bau des Nationalmuseums (Národní muzeum), von dessen Stufen aus man sich auch einen ersten Überblick über den Platz verschaffen kann. In seinen reich geschmückten, etwas pompösen Innenräumen sind Sammlungen zur Natur und Geschichte des Landes zu besichtigen (Öffnungszeiten und weitere Infos).

Vor dem Museum thront das mächtige Wenzelsdenkmal. Die 1912 aufgestellte Reiterstatue ist ein Werk von Josef Václav Myslbek. In heroischer Haltung reitet der böhmische Nationalheilige Richtung Moldau. Die Figuren am Sockel stellen die Heiligen Ludmilla und Prokop (vorne), Agnes und Adalbert dar.

Ein weitaus bescheideneres, doch stets mit Blumen geschmücktes Denkmal einige Schritte entfernt erinnert an den Studenten Jan Palach, dessen öffentliche Selbstverbrennung auf der Treppe des Museums am 16. Januar 1969 als Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes weltweit Aufsehen erregte. Hunderttausende waren nach seinem Tod auf dem Wenzelsplatz zusammen gekommen um seiner zu gedenken und Kränze niederzulegen. Ein weitaus größeres Denkmal wurde später auf dem nach ihm benannten Jan-Palach-Platz errichtet.

Bei einem Bummel über den stets belebten Platz mit seinen Geschäften, Passagen und Durchgängen lohnt sich immer wieder ein Blick nach oben, hinauf zu den repräsentativen Gründerzeit- und Jugendstilfassaden des 19. und 20. Jhs. An der Ecke zur Štěpánská erhebt sich ein Gebäudekomplex (Nr. 38, 40), dessen Passagensystem bis zur Parallelstrasse Vodičkova führt. In dieses Geviert ist der Palast Lucerna eingebettet, 1912 von Václav Havel, dem Großvater des Dichterpräsidenten, als einer der ersten Stahlbetonbauten Prags erbaut. Der für damalige Verhältnisse einmalig riesige Jugendstil-Bau mit sieben oberirdischen und drei unterirdischen Geschoßen zählte zu den Zentren des Prager Geschäftslebens und atmet mit seinen Geschäften, Bars, Restaurants, Kino und riesigem Veranstaltungssaal noch heute den Geist des beginnenden 20. Jhs. Eine verzierte Kuppel aus grünem Glas, alte Leuchter, marmorne Treppen und Wandverkleidungen, ja sogar ein kleiner Brunnen im Vorraum zum Kino lassen den früheren Glanz noch erahnen. Bemerkenswert auch der plastische Schmuck der Fassade: stark stilisierte und ornamental verzierte Löwen- und Menschenköpfe.

Auch das benachbarte Melantrich-Haus (Nr. 36) - nach dem Verlag Melantrich, der hier seinen Sitz hat - mit mächtigen Figuren und farbiger Jugendstil-Malerei an der Fassade ist einen Blick wert. Als Eckgebäude schließt sich das Wiehl-Haus an, ein vor allem durch seine Fassadenmalerei imponierender Neorenaissancebau aus dem Jahr 1896. Die Vorlagen dazu stammen von Mikuláš Aleš, sie wurden nach einem Brand 1945 von Josef Fanta erneuert.

Die gegenüberliegende Straßenseite wird dominiert von der Jugendstil-Fassade des Hotels Europa mit stilisierten Pflanzenmotiven. Jugendstil bestimmt auch die Gestaltung der Innenräume; die besondere Atmosphäre kann man im berühmten Hotel-Café genießen.

Hinter der nüchtern-kontruktivistischen Fassade des Palais Alfa (Nr. 28) aus dem Jahr 1928 beginnt ein weiteres System von Passagen, das mit Geschäften und einem großen Kino eine Verbindung zur den Straßen Vodičkova und Paleckého herstellt. Durch die Passage lohnt ein Abstecher zum Franziskanergarten, einer kleinen grünen Oase mit Brunnen und Bänken, nur wenige Schritte vom trubeligen Wenzelsplatz entfernt. Von diesem ehemaligen Klostergarten aus eröffnet sich der eindrucksvolle Blick auf die mächtige Maria-Schnee-Kirche (Chrám Panny Marie Sněžné), die übrigens auch vom Jungmannovo máméstí her erreichbar ist. Schon 1347 unter Karl IV. in Angriff genommen, sollte sie die größte Kirche der Stadt werden, doch sie blieb ein Torso. Der heute vor uns stehende hohe Bau stellt eigentlich nur den Chor des geplanten Gotteshauses dar - die Glaubenskriege des 15. Jhs. verhinderten die Fertigstellung. Der hussitische Prediger Jan Želivský wirkte hier mehrere Jahre, und vom Turm der Kirche sollen radikale Neustädter in die benachbarte Altstadt gefeuert haben. Unter den Franziskanern erhielt das Gotteshaus seine heutige Gestalt mit dem Renaissance-Gewölbe. Im Innern der Kirche fasziniert nicht nur die gewaltige Höhe des Gotteshauses - bei Fertigstellung wäre der Bau größer als der Veitsdom gewesen - mit dem frühbarocken, sehr pompösen Hochaltar findet man hier auch den höchsten Altar der Stadt. Zahlreiche bewegte Figuren umgeben die vier Seitenaltäre.

Zurück zum Wenzelsplatz: Das herausgeputzte Hotel Adria (Nr. 26) zählt zu den letzten Barockbauten des ausgehenden 18. Jhs. Die Nr. 12, das Peterka-Haus, ist einer der frühen und zugleich in seiner zurückhaltenden Ausführung edelsten Jugendstil-Bauten der Stadt (1899). In der Apotheke U zlatehó noha (Zum goldenen Greif) im Erdgeschoß des Hauses Nr. 6 sind noch historische Einrichtungsgegenstände erhalten geblieben. Der anschließende Glaspalast, Beispiel eines strengen Konstruktivismus (1928), gehört dem "Schuhkönig" Bat´a, der für sein soziales Engagement zugunsten seiner Arbeiter in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts weit über die Landesgrenzen hinaus Berühmtheit erlangte. Am Hotel Zlatá Husa ("Goldene Gans", Nr. 7) auf der anderen Straßenseite sind vor allem die vier eigentümlichen, stark stilisierten Statuen am Giebel bemerkenswert. Das Koruna-Haus an der Ecke zur Straße Na příkopě hin trägt seinen Namen nach der "Krone" (Koruna), die den Turmaufsatz abschließt. Streng blicken die drei monumentalen Wächterfiguren (Stanislav Šucharda) vom Dach herunter. Obwohl der Bau (1911) noch dem Jugendstil angehört, weist er doch auch schon konstruktivistische Einflüsse auf.

Am oberen Ende des Wenzelsplatzes beginnt eine Fußgängerzone, die sich in den benachbarten Straßen 28.října, Na můstku und Na přikopě fortsetzt. Straßenhändler halten Souvenirs feil, Kioske bieten internationale Zeitungen und Zeitschriften, Stadtpläne und Ansichtskarten an. Bisweilen zeigt eine Musikgruppe ihr Können, führt ein Schwertschlucker seine grausigen Kunststückchen vor.

Die Straße Na příkopě (Graben), 1760 durch Aufschüttung des alten Stadtgrabens entstanden, führt bis zum Pulverturm und markiert die Grenze zwischen Alt- und Neustadt. Buchläden, Geschäfte mit böhmischen Kristall, Cafés und Restaurants säumen sie. Zwischen den Historismus- und Jugendstilbauten steht auch ein bemerkenswerter moderner Bau: die Kommerzbank. Entworfen wurde das eindrucksvolle Gebäude mit seiner Fassade aus poliertem Granit von dem deutschen Architekten Josef Zasche, die mächtigen Wächerfiguren der Fassade stammen von Franz Metzner. Das gegenüber liegende Haus der Eleganz (Nr. 4), 1869 von dem Wiener Theophil Hansen im Stil der Neorenaissance errichtet, beherbergte einst das älteste Prager Kaufhaus. Vom gegenüberliegenden Jugendstilbau U Dorflerů aus dem Jahr 1905 blieb die harmonisch gestaltete Fassade nur im oberen Teil erhalten. Der barocke Sylva-Taroucca-Palast (Haus Nr. 10) zählt zu den ältesten Gebäuden der Straße und kann mit berühmten Namen aufwarten: 1743-51 wurde es von Kilian Ignaz Dientzenhofer und Anselmo Lurago erbaut, der Fassadenschmuck stammt aus der Werkstatt Ignaz Platzers. Am Haus Nr. 14 (heute eine Bank) erinnert eine kleine Büste daran, dass hier 1862, allerdings in einme Vorgängerbau, die Schriftstellerin Božena Němcová starb, deren sozialkritischer Roman "Die Großmutter" zu den Hauptwerken der tschechischen Literatur des 19. Jhs. gehört.

Bei den an die unscheinbare Heilig-Kreuz-Kirche anschließenden Gebäuden Nr. 18 und 20 lässt sich gut die architektonische Entwicklung um die Jahrhundertwende ablesen: Das linke Gebäude entstand 1894-96 nach einem Entwurf von Osvald Polívka im Stil des späten Historizismus (Neorenaissance), doch in den Mosaiken sind bereits Jugendstilelemente angedeutet. Vor allem die Gemälde von Max Švabinský im Vestibül sind typische Jugendstilwerke. Der gleiche Architekt schuf in den Jahren 1911-12 den benachbarten Jugendstil-Bau mit seiner reichen Formensprache. Die beiden Gebäude sind durch eine Brücke im ersten Geschoß miteinander verbunden.

Dem Bau der Tschechoslowakischen Staatsbank aus dem Jahr 1938 mussten so traditionsreiche Hotels wie "Zum blauen Stein" und "Zum schwarzen Roß" weichen, in letzterem fand u.a. Frédéric Chopin Unterkunft. Von einem Vorgängerbau aus dem 19. Jh. von Osvald Polívka blieb nur die Statue des Genius mit dem Löwen auf dem Dach erhalten.


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