Reiseführer Prag Tour 9: Hradčany, die Burgvorstadt



Von den Palästen des Hradschiner Platzes führt der Weg nach einem Abstecher in die "Neue Welt" zum Prager Loreto mit seiner reichen Schatzkammer. Nicht weit ist es anschließend zur Kloster Strahov mit seiner einzigartigen Bibliothek.

Prag Burgvorstadt Image by Markéta Machová from Pixabay

Hradčany (Hradschin), die Burgvorstadt, wurde im Jahr 1320 als dritte der Prager Städte gegründet. Ihre Entwicklung war immer auf enste mit den Geschehnissen auf der Burg verknüpft, bis 1598 unterstand sie sogar - anders als die übrigen Prager Städte - direkt dem Burggrafen, einem der höchsten Landesfürsten. Karl IV. erweiterte die Stadt um die Ortschaft Pohořelec, integrierte das Kloster Strahov und Teile des Petřín und umgab alles mit einer Stadtmauer. Der große Stadtbrand von 1541, der auch hier verheerende Schäden hinterließ, führte zu einer Neugestaltung vor allem des Hradschiner Platzes. Im 17. und 18. Jh. entstanden an dieser Stelle, in unmittelbarer Nähe zur Burg, zahlreiche Paläste und kirchliche Bauten, sie prägen bis heute den herrschaftlichen Charakter dieses Stadtteils. In der Mitte des Hradschiner Platzes steht die Pestsäule (Mariensäule) mit acht sie umgebenden Heiligenfiguren. Sie wurde zum Dank für die Abwendung der Pest um 1726 von F.M.Brokoff errichtet.

Den Reigen der Prachtbauten eröffnet im Nordosten der Erzbischöfliche Palast (Arčibiskupský palác), Mitte des 16. Jhs. für die Prager Erzbischöfe errichtet. Nach einem barocken Umbau im 17. Jh. durch Jean Baptiste Mathey, wovon nur noch ein Marmorportal zeugt, wurde die Fassade im 18. Jh. erneut, diesmal im Stil des Rokoko, verändert.

Durch ein Portal links daneben gelangt man zum Palais Sternberg, 1698-1707 von G.B.Alliprandi und D.Martinelli für die Familie von Sternberg errichtet. Neben sehenswerten Innenräumen, zum Teil mit kunstvollen Malereien geschmückt, und dem Garten, in dem u.a. Plastiken von Auguste Rodin stehen, ist vor allem die hier untergebrachte Nationalgalerie (Národní galerie) zu empfehlen. Die Ausstellung weiß mit berühmten Namen aufzuwarten: Von Breughel und Rubens bis zu Rembrandt, Goya und van Dyck, um nur einige zu nennen, ist die Crème der eruopäischen Malerei vertreten.

Der Schwarzenberg-Palast gegenüber, Mitte des 16. Jhs. von Augustin Vlach für die Familie von Lobkowitz errichtet (der Palast ging später in den Besitz der Familie von Schwarzenberg über), zählt zu den frühen Renaissancebauten Prags, die sich am Beispiel des kaiserlichen Belvedere orientierten. Die Sgraffito-Malereien an den Außenwänden schaffen verblüffende Effekte: Stein für Stein wird hier eine wuchtige Diamantquader-Fassade vorgetäuscht. Die im Palais untergebrachte Ausstellung Alte Meister ergänzt die Ausstellung im Palais Sternberg gegenüber. Ihr Focus liegt auf der Zeit zwischen dem 16. und 18. Jh., darunter Werke von Peter Brandl, M.B.Braun, Albrecht Dürer, El Greco, Rembrandt und Rubens.

Neben dem Haus Nr. 3 mit dem ehemaligen Barnabitenkloster und der St. Benediktus-Kirche stellt die Alte Rathausstiege (Staré radnické schody) eine direkte Verbindung zur Nerudagasse her.

Am westlichen Ende des Hradschiner Platzes erhebt sich der von J.B.Matthey um 1690 errichtete frühbarocke Toskanische Palast, der zeitweise im Besitz der Herzöge von Toskana war. Die Barockstatuen auf dem Dach stammen vermutlich von Johann Brokoff.

An der Einmündung der Kanovnická (Kanonikergasse) fällt das Martinic-Palais ins Auge, ein Renaissancepalast aus dem beginnenden 17. Jh., dessen Sgraffiti biblische und mythologische Themen behandeln. Die Kirche St. Johann von Nepomuk (Kostel sv. Jana Nepomuckého), 1720 in Angriff genommen, ist der erste Prager Kirchenbau Kilina Ignaz Dientzenhofers. Die Deckenmalerei im Inneren von Wenzel Lorenz Reiner stellt Leben und Wundertaten des hl. Johannes von Nepomuk dar. An die Kirche schließen sich links die ehemaligen Klostergebäude der Ursulinerinnen an, rechts das ehemalige St. Antonius-Spital. Der Orden der Ursulinerinnen hatte sich vor allem der Mädchenerziehung und Krankenpflege gewidmet.

Ein paar Schritte weiter beginnt die "Neue Welt", nämlich das Gässchen Nový Svět. In seinem Roman "Der veruntreute Himmel" schrieb Franz Werfel: "Baufälliges Winkelwerk drängt sich hier wie auf Abbruch. Versehentlich hat die weit ins Land hinausziehende Entwicklung der Stadt diesen Moder links liegengelassen, mit seinen schiefen Dächern, wurmstichigen Loggien, schmutzigen Höfen und ausgetretenen Holzstiegen. Die Neue Welt hat die billigsten Mieten, denn man wohnt hier auch nur auf Abbruch und Widerruf, wiewohl auf historischem Boden." Diese Welt der Armen mit ihren kleinen, zum Teil windschiefen Häuschen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den prunkvollen Palästen ist längst einem radikalen Wandel unterzogen. Galt die Gegend lange Zeit als romantischer Winkel für Künstler und Intellektuelle, so stiegen die Mieten schließlich ins Astronomische und wurden für die meisten Einheimischen unerschwinglich. Die alten Hausnamen verweisen auf die Gegenwart: "Zur goldenen Sonne", "Zum goldenen Stern", "Zur goldenen Traube". Im Haus "Zum goldenen Greif" lebte im 17. Jh. eine Zeitlang der Astronom und Astrologe Tycho Brahe, bis er in ein größeres Haus umzog.

Den Loretoplatz beherrscht im Westen die 150 m lange, monumentale Front des Czernin-Palastes, heute Sitz des Außenministeriums. Unter dem Einfluss italienischer Architektur ließ Graf Johann Humprecht Czernin von Chudenitz 1669 diese Residenz von italienischen Baumeistern errichten. Erst Ende des 18. Jhs. war sie vollendet. Dramatisches ereignete sich hier in den Nachkriegsjahren, als die bürgerliche Regierung von der stalinistisch geprägten kommunistischen Partei abgelöst wurde. Am Morgen des 10. März 1948 wurde im Hof des Gebäudes der damalige Außenminister Jan Masaryk, der Sohn des ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, tot aufgefunden, er war aus dem Fenster gestürzt. Bis heute ist unklar, ob es Selbstmord war oder Mord.

Im Norden des Platzes schließt sich das Areal des 1601 gegründeten Kapuzinerkloster mit der Marienkirche (Kostel panny Marie) an. Vor allem zur Weihnachtszeit zieht eine barocke Weihnachtskrippe Besucher in die Kirche.

Das Loreto-Heiligtum ist die wichtigste katholische Wallfahrtsstätte Prags. Im Zuge der Rekatholisierung des Landes nach der Niederlage der Stände am Weißen Berg 1620 wurden im ganzen Land solche Wallfahrtsstätten errichtet, die die Bindung an den alten Glauben, speziell die Marien- und Heiligenverehrung, stärken sollten. Mittelpunkt eines Loretos ist stets die "Casa Santa". das Heilige Haus, eine Nachbildung der Casa Santa im italienischen Städtchen Loreto. Diese soll, einer Legende zufolge, jenes Haus gewesen sein, in dem der Erzengel Gabriel der Maria von Nazareth die Geburt Christi verkündet habe. Engel sollen es eines Nachts von Palästina nach Mittelitalien gebracht und dort wieder aufgestellt haben. Das Prager Loreto wurde 1626 von der Gräfin Benigna Katharina von Lobkowitz gestiftet. Um die Casa Santa wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten eine vierflügelige Anlage mit zahlreichen Kapellen und einem Arkadengang für Prozessionen gebaut, so dass sich die Fertigstellung bis in die Mitte des 18. Jhs. hineinzog.

Die Barockfassade zum Loreto-Platz hin ist ein Werk Christoph Dientzenhofers und seines Sohnes Kilian Ignaz (1721-1724) und nimmt in ihrer Verspieltheit bereits Formen des Rokoko vorweg. Zahlreiche überlebensgroße Figuren verschiedener Bildhauer bestimmen ihr Bild. Überragt wird sie von einem Glockenturm, der ein 1694 in Amsterdam gegossenes Glockenspiel birgt. Zu jeder vollen Stunde erklingt hier ein Marienlied und zieht Besucher in seinen Bann. Die 27 Glocken verfügen über einen Tonumfang von zwei Oktaven einschließlich der Halbtöne und können über eine Art Klaviatur gespielt werden - eine so kunstvolle Technik, dass sogar Friedrich Liszt hier zum Improvisieren angeregt worden sein soll.

Die Casa Santy wurde 1626-31 von dem Architekten Orsi de Orsini und seinen Nachfolgern errichtet. Sie ist außen reich mit Säulen, Skulpturen und Reliefs verziert, die u.a. das Marienleben darstellen. Das Innere ist ein schlichter Betraum. Die Wandmalereien erzählen die Marienlegende, eine hölzerne Marienfigur mit silbernem Strahlenkranz ist das verehrte Gnadenbild. Die beiden Brunnen im Hof von Johann Michael Brüderle thematisieren Mariä Himmelfahrt (eine Kopie von Sucharda) und die Auferstehung Christi (links, Original).

Der zweistöckige Arkadengang rund um das Heilige Haus entstammt sichtlich zwei unterschiedlichen Epochen. Während der untere Teil von einer schlichten Bogenfolge (Mitte 17. Jh.) gekennzeichnet ist, zeichnet sich der obere Gang, ein hundert Jahre später entstandenes Werk Kilian Ignaz Dientzenhofers, durch seinen ornamentalen Formenreichtum aus. Die Ausmalung der Gewölbefelder im Erdgeschoß ist eine Illustration der "Lauretanischen Litanei", eines Mariengebets. Die sechs Kapellen im Umgang, alle reich mit barocker Malerei und Plastik ausgestattet, sind Besuchern nicht zugänglich. Nur die barocke Geburt-Christi-Kirche, ebenfalls ein Werk der beiden Dientzenhofers aus der ersten Hälfte des 18. Jhs., ist zu besichtigen. Sie beeindruckt durch ihre üppige Ausstattung mit Fresken und plastischem Schmuck.

Die Schatzkammer im Obergeschoß des Westtraktes birgt kostbare Schenkungen reicher Adelsfamilien. Die meisten der ca. 300 Monstranzen, Kelche und Reliefs stammen aus dem 17. und 18. Jh. Mittelpunkt der Ausstellung ist die berühmte Diamantenmonstranz, eine Wiener Goldschmiedarbeit von 1699. Die 12 kg schwere, aus vergoldetem Silber angefertigte Monstranz mit dem Strahlenkranz ist mit über 6200 Diamanten besetzt. In ihrem Zentrum steht eine Marienfigur, ihr zu Füßen windet sich ein Drache um die Erdkugel. Kein geringerer als der große Barockbaumeister Johann Bernhard Fischer von Erlach soll das kostbare Prunkstück entworfen haben, für dessen Ausführung die Gräfin Ludmilla Kolowrat testamentarisch ihr gesamtes Vermögen bestimmte.

Nur wenige Schritte sind es bis zum Platz Pohořelic, was auf deutsch so viel wie "Brandstätte" bedeutet, denn dieser ehemalige Vorort von Hrad čany wurde mehrmals (1420, 1541, 1742) durch Stadtbrände zerstört. Heute stehen hier zahlreiche ansehnliche Häuser. Das Zentrum des Platzes nimmt eine Statuengruppe des hl. Johann von Nepomuk (J.A.Quittainer, 1752) ein, die Mitte des 19. Jhs. vom Hradschiner Platz hierher gebracht wurde. Das Denkmal der Astronomen Johannes Kepler und Tycho Brahe gegenüber erinnert an diese beiden großen Naturwissenschaftler am Hofe Rudolfs II.

Über eine Rampe erreicht man das Areal des Klosters Strahov (Strahovský klášter). Der Orden der Prämonstratenser gründete es im Jahre 1148. Ursprünglich lag das Kloster außerhalb der Stadt, unter Karl IV. wurde es in die Burgvorstadt mit einbezogen und war damit auch durch dessen Mauern mit geschützt. Kriege und Brände verwüsteten das Kloster mehrmals, doch immer wieder wurde es neu aufgebaut. Berühmtheit erlangte das Kloster durch seine wertvolle Bibliothek. Auch wenn ihre Schätze dem Feuer mehrmals zum Opfer fielen oder als Kriegsbeute verschleppt wurden, konnten die Bestände immer wieder aufgestockt werden, nicht zuletzt im Jahr 1781, als Kaiser Josef II. zahlreiche böhmische Klöster auflöste. Nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte Strahov erneut von der Schließung der letzten böhmischen Klöster. Ein Teil dieser Schätze wird in zwei prächtig ausgestalteten Sälen gezeigt.

Prag Kloster Strahov Bild von izoca auf Pixabay

im Philosophischen Bibliothekssaal reihen sich bis zu 15 m hoch aufsteigende, kostbar geschnitzte Bücherwände aneinander. Berühmtheit erlangte dieser Saal vor allem für sein Deckenfresko von Franz Anton Maulpertsch (1794). In ihm spiegelt sich die für damalige Begriffe fortschrittliche Position des Klosters wider: Die grandiose Darstellung der "Geschichte der Philosophie" zeigt nämlich nicht nur Gestalten aus Bibel und Kirchengeschichte, sondern auch antike und zeitgeschichtliche Philosophen. Wie es sich gehört, fängt alles bei Eva und Adam an und endet bei Descartes, Diderot und Voltaire, den großen Aufklärern des 18. Jhs., wobei allerdings kein Zweifel gelassen wird, dass diese dem Untergang geweiht sind.

im Theologischen Bibliothekssaal, dem älteren von beiden, werden in einem Schrank die "Verbotenen Bücher " aufbewahrt, deren ketzerisches Gedankengut nicht jedermann zugänglich sein sollte. Die Ausmalung des üppig mit Stuck ornamentierten Saales erfolgte durch den Ordensbruder František Nosecký in den Jahren 1723-27, der sich hier mit Weisheit, göttlicher Wahrheit und natürlich dem Wissensschatz der Buchwelt auseinandersetzte. Das wohl wertvollste Buch des Klosters wird im Vorraum ausgestellt: das um 800 in Tours entstandene "Strahover Evangeliar" (Kopie).

Direkt an die Bibliothek schließt die Kirche Mariä Himmelfahrt an, eine ursprünglich 1143 errichtete romanische Basilika, die mehrfache Umbauten erfuhr, zuletzt in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. Damals erhielten Innenraum, Fassade und Türme ihre heutige barocke Gestalt. In der Strahover Galerie werden Kunstwerke von der Gotik bis zu Romanik präsentiert.

(Informationen zu Öffnungszeiten, Preisen und Führungen findet man unter strahovskyklaster.cz, tschechisch und englisch, darunter auch eine herrliche 3-D-Tour durch die wichtigsten Teile des Klosters )


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