Alles Spitze!

Brügge – Stadt der Kunsthandwerker

Text und Fotos: Ulrich Traub

Peter Quijo arbeitet im historischen Zentrum von Brügge und – Überraschung - er klöppelt. Dass dieses Handwerk noch ausgeübt wird - und sogar von einem Mann -, darauf hätte man nicht unbedingt gewettet. Wenn man dann noch erfährt, dass Quijo, ein Juwelier, mit Goldfäden klöppelt und dafür auch ein spezielles Werkzeug entwickelt hat, ist die Verblüffung wohl perfekt.

Belgien - Typisch Brügge: Historische Giebelhäuser und ein „Handmade“-(Papier-)Geschäft. Daneben arbeitet hinter einer „schokoladigen“ Stahltür ein Chocolatier

Typisch Brügge: Historische Giebelhäuser und ein „Handmade“-(Papier-)Geschäft. Daneben arbeitet hinter einer „schokoladigen“ Stahltür ein Chocolatier

Ja, es gibt sie noch in der flämischen Touristenhochburg: die authentischen Produkte, die in Handarbeit erzeugt werden. Und sie haben nicht nur mit der Klöppelei zu tun. Das neue Label „Handmade in Brügge“ führt auf die Spur des Kunsthandwerks – und in das Geschäft von Peter Quijo.

Belgien - Brügge - Der mit den Goldfäden klöppelt: Juwelier Peter Quijo mit seinem ungewöhnlichen Arbeitsgerät

Der mit den Goldfäden klöppelt: Juwelier Peter Quijo mit seinem ungewöhnlichen Arbeitsgerät

In Brügger 1a-Lage, zwischen Belfried und Rathaus, zeigt der Juwelier seine preisgekrönte Ware. „Brügge ist noch vor Antwerpen eine Diamantenstadt gewesen“, erzählt Quijo. „Und eine gute Inspirationsquelle für mich.“ So hat er sich zum Beispiel einen Schliff für Diamanten patentieren lassen, der einen Kompass sichtbar werden lässt. „Das ist eine Referenz an die Seefahrertradition der Stadt.“ Ein anderer Schliff sei vom Brügger Kopfsteinpflaster angeregt worden. „Auf diese Weise kann ich mich gleichzeitig von der Konkurrenz unterscheiden und die Verbundenheit mit der Stadt ausdrücken.“

Spitze ist in Brügge allgegenwärtig - allerdings als maschinell erzeugte Ware aus Fernost. Kein Schaufenster eines Andenkenladens ohne weiße Deckchen. Doch auch die Tradition lebt, hat sich aber in exklusive Nebenrollen zurückgezogen. Spitze findet sich etwa als Zitat in den außergewöhnlichen Brillengestellen des Familienbetriebs Hoet oder in den handwerklich hergestellten Keksen der Konditorei „Juliette's“, den Dentelles de Bruges.

Belgien - Es müssen ja nicht immer Pralinen sein: „Juliette's“ Kekse werden handwerklich in Brügge gebacken

Es müssen ja nicht immer Pralinen sein: „Juliette's“ Kekse werden handwerklich in Brügge gebacken

Echte Brügger Spitze ziert die Lingerie von Sun Mae ebenso wie die Kleider von Veerle Praet. Die Damenmaßschneiderin, die auf Brautmode spezialisiert ist, arbeitet mit traditionellen Stoffen und nach den individuellen Wünschen der Kundinnen. „Spitze verarbeite ich zum Beispiel gerne als Applikation an einem Dekolleté.“ Aufträge aus aller Welt belegen den Erfolg ihrer klassisch-hochwertigen Couture. „Bald muss ich mir ein neues Atelier suchen, denn die Kundinnen wünschen immer längere Schärpen“, bemerkt Veerle Praet lächelnd.

Belgien - Brügge - Brautmode für die Welt mit einem Detail aus Brügge: Veerle Praet prüft ein Kleid mit einem Oberteil aus Spitze

Brautmode für die Welt mit einem Detail aus Brügge: Veerle Praet prüft ein Kleid mit einem Oberteil aus Spitze

Wer sich selber an Klöppel und Fäden versuchen möchte, ist im 2014 eröffneten Zentrum für Spitze, das in einer historischen Klöppelschule untergebracht ist, an der richtigen Adresse. Im dortigen Museum kann man erste Griffe üben und erfahrenen Klöpplerinnen zuschauen. Wen dann der Ehrgeiz packt, sollte über einen Workshop nachdenken, der im Zenzentrum für Spitze angeboten wird. Man arbeite hier gegen die Einschätzung, dass das Klöppeln von gestern sei, heißt es.

Belgien - Brügge - Altes Handwerk, noch lebendig: Hobby-Klöpplerin bei ihrer diffizilen Arbeit im Brügger Zentrum für Spitze

Altes Handwerk, noch lebendig: Hobby-Klöpplerin bei ihrer diffizilen Arbeit im Brügger Zentrum für Spitze

Ein Zitat von Coco Chanel läuft als Schriftband durch die Ausstellung. Es ist kalligrafiert, Spitze-Motive prägen die Buchstabengestaltung. Es ist eine Arbeit von Brody Neuenschwander, einem Textkünstler, der nicht nur eigene Darstellungsweisen der Buchstaben, sondern auch eigene Wörter kreiert. „Zwischen der Kalligrafie und dem westlichen Kunstbegriff steht eine meterhohe Mauer“, meint Neuenschwander. „Die möchte ich gerne einreißen.“ In Asien und Arabien gelte die Kalligrafie dagegen als Kunst.

Belgien - Brügge - Der Künstler unter den Handwerkern: Brody Neuenschwander bei einer kalligrafischen Studie

Der Künstler unter den Handwerkern: Brody Neuenschwander bei einer kalligrafischen Studie

Das Werk des in Brügge lebenden Amerikaners ist von Emotionalität geprägt. Gestische Wucht, die entfernt an informelle Malerei erinnert, charakterisiert seine Kalligrafie. „Ich suche in meiner Arbeit vor allem den Dialog der Kulturen.“ Neuenschwander, der Arabistik studiert hat und sich bescheiden Buchstabenexperte nennt, hat etwa Bronzeglocken für das Bistum Paderborn oder Mode des Designers Dries van Noten kalligrafiert und für den Filmemacher Peter Greenaway gearbeitet. Er demonstriert seine Kunst im Rahmen von Performances und Workshops. Ästhetik statt schneller Lesbarkeit könnte man den Ansatz des einflussreichen Amerikaners überschreiben.

Brügge gilt als europäische Kalligrafie-Hauptstadt - mit Sitz des europäischen Lettering Institutes. Man kann in Brügge Kalligrafie-Kurse belegen und in offene Ateliers schauen. Man begegnet dieser Kunst an Hauswänden und in Schaufenstern – wie dem des „Symposion“, dem Geschäft von Sofie Verscheure. Die Kalligrafin ist spezialisiert auf schön geschriebene Denkanstöße und Aphorismen, die sie auf Karten und andere Gegenstände drucken lässt. „Ich glaube an die Kraft des Wortes“, sagt sie. Lesbarkeit sei ihr daher wichtig.

Belgien - Brügge - Glaubt an die Kraft des Wortes: Kalligrafin Sofie Verscheure demonstriert die Kalligrafie in ihrem Geschäft

Glaubt an die Kraft des Wortes: Kalligrafin Sofie Verscheure demonstriert die Kalligrafie in ihrem Geschäft

Viele Papiere, auf denen kalligrafiert wird, kommen aus einer kleinen Werkstatt am Rande der Altstadt. „Papierschöpfen ist therapeutisch“, glaubt Piet Moerman, der im Hauptberuf Daten verarbeitet. Sein Hobby ist zum Experimentierfeld geworden. Moerman, der auch Workshops anbietet, schöpft Papier nicht nur aus alten Jeans, sondern auch aus Algen, Gras oder Lauch – Hauptsache, das Rohmaterial bestehe aus Fasern. „Ein Unikat ist jedes Blatt ohnehin.“

Belgien - Brügge - Papierschöpfen sei therapeutisch, sagt Piet Moerman. In seiner Werkstatt kann man es ausprobieren

Papierschöpfen sei therapeutisch, sagt Piet Moerman. In seiner Werkstatt kann man es ausprobieren

Und was ist mit Bier und Pralinen, wird man sich vielleicht jetzt fragen. Keine Sorge, auch die belgischen Vorzeige-Genussmittel werden in Brügge handwerklich produziert. Ein eigener Stadtplan, der auch zur Brauerei „De Halve Maan“ und zu Chocolatiers wie Dominique Persoone führt, weist über 50 „Handmade in Brügge“-Stationen auf, die meisten davon in der Altstadt. Empfehlenswert ist ein geführter Rundgang, weil man dann auch Ateliers entdecken kann, die sonst nicht geöffnet sind.

Dass sich Brügge seit 2013 auch als Stadt der Kunsthandwerker präsentiert, geht auf eine städtische Initiative zurück. Kriterien wie Handarbeit, Professionalität und Ortsansässigkeit müssen beachtet werden, um bei „Handmade“ gelistet zu werden. Der „Makersrepubliek“ genannte Pop-up-Store fungiert als Anlaufstelle für Interessierte. Hier finden Ausstellungen und Projekte statt – auch mit internationalen Kunsthandwerkern.

Belgien - Brügge - Exklusiv: Gegenüber einer der meist fotografierten Ecken Brügges macht Pol Standaert in einem Showroom mit historischen Dekorationsartikeln auf seine Arbeit aufmerksam

Exklusiv: Gegenüber einer der meist fotografierten Ecken Brügges macht Pol Standaert in einem Showroom mit historischen Dekorationsartikeln auf seine Arbeit aufmerksam

Und so kommt es, dass man beim Rundgang durch die historischen Gassen immer wieder das „Handmade“-Label in Schaufenstern und an Werkstätten findet. Dann landet man vielleicht bei Pol Standaert, einem Experten für klassische, ornamentale Dekorationsformen. Der Kunsthandwerker, der in Carrara das Kopieren von Bildhauerwerken gelernt hat, baut auch historische Kamine und stuckiert Decken, alles ohne maschinelle Hilfen. Oder man lässt sich bei „Arte/Grossé“ - etwas außerhalb der Stadt - die Techniken des Restaurierens von liturgischem Gerät und kirchlichen Textilien erklären.

Das nun nicht mehr versteckte Brügge der Kunsthandwerker bietet eine lohnenswerte und abwechslungsreiche Gelegenheit, die schöne, alte Welterbe-Stadt auf neue Weise zu entdecken.

Informationen

Flandern Tourismus: 0221/2709777;
www.visitbruges.be; www.handmadeinbrugge.be

Hoteltipp

„Monsieur Ernest“: modernes 3-Sterne Haus (mit Bar) in einem historischen Gebäude, ruhige Lage an einer Gracht in der Altstadt.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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