Van Gogh zum Künstler wurde

Kulturreise in den Hennegau nach Mons

Text und Fotos: Ulrich Traub

Wer im flämischen Landesteil Belgiens unterwegs ist, wird diese Stadt vergeblich suchen. Möchte man ins wallonische, also französischsprachige Mons, muss man den Wegweisern nach Bergen folgen. Dem Sprachenstreit sei Dank. Zwar trifft diese unterschiedliche Benennung auf fast alle Orte im Land zu, doch bei Mons sollte es sich der Reisende gut einprägen, denn die Stadt ist 2015 Europäische Kulturhauptstadt.

Belgien - Mons - Überragend: Der erhöht stehende, barocke Belfried ist das Wahrzeichen der alten Stadt

Überragend: Der erhöht stehende, barocke Belfried ist das Wahrzeichen der alten Stadt

Wer weiß, dass sich im historischen Kern von Mons/Bergen (1) ein Hügel erhebt, wird sich die beiden Namen der Stadt sicher besser merken. Der Aufstieg lohnt wegen der Aussicht in die Umgebung, in der man noch weitere Erhebungen entdeckt, allerdings ganz anderer Art. Die Hauptstadt der Provinz Hainaut (Hennegau) liegt im Zentrum des belgischen Ruhrgebiets. Begrünte Halden prägen das Landschaftsbild. Die Zeit der Kohleförderung ist zwar auch hier vorbei, doch die Vergangenheit ist sichtbar geblieben und kann besichtigt werden.

Auf dem Berg von Mons ist der eigentliche Blickfang aber der barocke Belfried, der zum Weltkulturerbe gehört. „Das Wahrzeichen der Stadt ist Ausdruck selbstbewussten Bürgertums, das den Bau im 17. Jahrhundert errichten ließ“, informiert Sabine Schneider. Die gebürtige Gelsenkirchnerin lebt seit einigen Jahren in Mons und führt Touristen durch die Stadt. Sie erzählt, dass Victor Hugo den Belfried salopp als „enorme Kaffeekanne, flankiert von vier Teekännchen“, beschrieben habe.

Belgien - Mons - Auch ohne Turm gewaltig: das gotische Schiff der Waltraud-Kathedrale

Auch ohne Turm gewaltig: das gotische Schiff der Waltraud-Kathedrale

Am Fuß des Stadthügels dominiert die gewaltige Waltraud-Kathedrale das Panorama der Altstadt. Nur einen Turm sucht man auf dem gotischen Schiff vergebens. Statt dessen überrascht im Inneren eine goldene Kutsche. „Immer am Dreifaltigkeitssonntag wird sie mit dem Reliquienschrein der Heiligen Waltraud von sechs Pferden durch die Stadt gezogen.“ Höhepunkt dieses Festtages, der „Doudou“ genannt wird, ist der „Lumecon“ auf der Grand’ Place, der Kampf Georgs gegen den Drachen. „Da ist die ganze Stadt auf den Beinen“, erzählt die Gästeführerin begeistert, „um eines der Drachenhaare zu ergattern, ein Glücksbringer.“ Das Fest, dessen Ursprünge im 14. Jahrhundert liegen, gehört zum immateriellen Weltkulturerbe.

Belgien - Mons - Herz der Stadt: Auf der Grand’ Place kämpft beim „Lumecon“ auch alljährlich Georg gegen den Drachen

Herz der Stadt: Auf der Grand’ Place kämpft beim „Lumecon“ auch alljährlich Georg gegen den Drachen

Der Drachen taucht auch im Kulturhauptstadtjahr auf – in stilisierter Form. Der neue Bahnhof von Santiago Calatrava wird die Besucher durch ein Drachenmaul in die Stadt entlassen. Nur einer von zahlreichen Neubauten in der Kulturstadt. Alte Gassen werden instandgesetzt, Fassaden restauriert. Daniel Libeskind plant ein Kongresszentrum, neue Museen sind im Bau – etwa für die neolithischen Feuersteinminen im Vorort Spiennes (Weltkulturerbe), die zu den größten in Europa zählen und sozusagen der Vorläufer des Bergbaus waren.

Belgien - Mons - Das neue Kunstmuseum in der Altstadt wird einer der Schauplätze im Kulturhauptstadtjahr sein

Das neue Kunstmuseum in der Altstadt: einer der Schauplätze im Kulturhauptstadtjahr

„Was ich an Mons besonders mag, ist das geschlossene historische Ortsbild und die Lebendigkeit. Hier geht man gerne aus“, weiß Sabine Schneider. Die Zahl der Cafés, Kneipen und Restaurants in der 90.000 Einwohner zählenden Universitätsstadt bestätigt dies. Treffpunkt ist meist die rätselhafte, kleine Affenskulptur am Rathaus. Mons, Hauptstadt des belgischen Ruhrgebiets - das kommt einem beim Bummel durch die Stadt nicht in den Sinn. Sagen wir es mal so: eher Düsseldorf als Essen.

Belgien - Mons - Blick auf das Rathaus (links) und das alte Theater (rechts) an der Grand’ Place

Blick auf das Rathaus (links) und das alte Theater (rechts) an der Grand’ Place

Die Industriegeschichte der Borinage genannten Region findet man vor den Toren der Stadt – etwa in Grand-Hornu (2), wo ein 1830 fertig gestellter Industriekomplex die Kunstfreunde anzieht. Während der Audioguide-Führung erfährt man von den hehren Zielen des Bergwerksbesitzers, der die Mustersiedlung mit Lagern, Werkstätten und Büros, Arbeiterhäuschen und Unternehmervilla planen ließ – nicht ausschließlich zum Wohle seiner Arbeiter. Nur mit Mühe konnte das Ensemble, das heute u.a. einem Kunst- und einem Designmuseum sowie einem Restaurant Platz bietet, nach der Zechenschließung in den 50er Jahren vor dem Verfall gerettet werden. Heute gehört es zum Weltkulturerbe.

Belgien - Mons - Aus einem Guss: modellhafte Anlage von Arbeitsstätten der Kohleindustrie von 1830 in Grand-Hornu (heute Weltkulturerbe)

Aus einem Guss: modellhafte Anlage von Arbeitsstätten der Kohleindustrie von 1830 in Grand-Hornu (heute Weltkulturerbe)

Dass es den Arbeitern auch Jahrzehnte später nicht wirklich gut ging, musste Vincent van Gogh erleben, der 1878 als Prediger ins Borinage gekommen war. In Cuesmes (3) kann das Haus, in dem er zur Untermiete wohnte, besichtigt werden. Der Niederländer unterstützte die Arbeiter im Kampf für bessere Lebensbedingungen. Erfolglos. Schließlich entzog ihm die evangelische Kirche das Mandat. Ihr ging seine Anteilnahme zu weit – was sich im Nachhinein als Glücksfall für die Kunstgeschichte herausstellen sollte. Denn van Gogh fand neuen Halt in der Kunst. Seinem Bruder schrieb er: „Ich werde wieder zeichnen und außerdem hat sich für mich alles verändert.“

Wer aufmerksam gelesen hat, wird auf vier Weltkulturerbe-Titel kommen. Viel für diese kleine Region, könnte man meinen. Tatsächlich sind es noch ein paar mehr. So wartet in Tournai (4), das in Flandern übrigens Doornik heißt, mit der 5.000 Quadratmeter großen Kathedrale Notre Dame ein weiteres Highlight. Statt keinem wie in Mons gibt es hier gleich fünf Türme, die mit dem Belfried um die Lufthoheit über der hübschen Altstadt an der Schelde kämpfen. In Tournai betritt man besonders geschichtsträchtigen Boden, war der Ort doch im Jahr 431 erste Hauptstadt der Franken.

Belgien - Mons - Wunderwerk der Technik: Höchstes Schiffshebewerk der Welt (73 Meter), bei Strépy-Thieu

Wunderwerk der Technik: Höchstes Schiffshebewerk der Welt (73 Meter), bei Strépy-Thieu

Einem ganz anderen Weltkulturerbe nähert man sich am besten auf dem Wasser. In den Schiffshebewerken auf dem Kanal du Centre, die bis 1916 errichtet worden sind, werden heute nur noch Touristenboote transportiert. In aller Ruhe ächzen die Tröge der Eisenkolosse 17 Meter nach oben bzw. unten und der Passagier staunt über den Erfindungsgeist früherer Tage. Eine Meisterleistung neueren Datums wartet gleich nebenan. Bei Strépy-Thieu (5) hilft das höchste Hebewerk der Welt dem Schiffsverkehr, einen Höhenunterschied von nicht weniger als 73 Meter zu überwinden.

Reiseinformationen zu Mons

Informationen
Wallonie-Brüssel Tourismus: 0221/277590; www.belgien-tourismus.de
Tourismus Mons: 0032/65/335580, www.monsregion.be

Tipp
Musée de la Photographie in Charleroi, größtes Fotomuseum in Europa, in einem alten Kloster (www.museephoto.be).

 

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