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Das Haus an der Moschee - Der Iran in der Nussschale

Das Haus an der MoscheeEine alte Moschee – seit Jahrhunderten steht sie in der religiösen Provinzstadt Senedjan – und daran angebaut ein Haus der Familie, die ebenfalls seit Jahrhunderten die Moschee betreut, Hausmeister, Imame und Gebetsausrufer stellt. In dieser iranischen Gesellschaft im Kleinformat – die Erzählung beginnt in den späten 1960-er Jahren – herrscht Agha Djan, der Teppichhändler und informelle Chef des Basars, der äußerlich bescheiden, aber bestimmt und einflussreich die Dinge im Haus an der Moschee steuert und leitet: seine Brüder, die Frauen, die Kinder, die Hausangestellten und selbst die Teppichknüpfer in den fernen Bergdörfern. Ein Gang in die Gruft unter der Moschee beweist, dass sich das Leben in dieser persischen Gesellschaft nur unwesentlich und sehr langsam verändert: Hier stehen die Särge der verstorbenen Imame, hier werden die Schuhe der toten Notabeln des Hauses aufbewahrt, hier reihen sich Truhen mit persönlichem Besitz aus Jahrhunderten. Und hier bewahrt Agha Djan sein Archiv auf, denn mit großer Sorgfalt notiert er alles, was im Umfeld der Moschee geschieht.

Doch zunehmend muss Agha Djan bemerken, dass ihm die Dinge aus den Händen gleiten. Der Schah als Monarch des Landes betreibt mit Unterstützung der USA einen Modernisierungskurs, bei dem nicht nur Straßen, Fabriken und Ölförderanlagen gebaut werden, sondern auch Radios, Fernseher und Kinos in eine Gesellschaft eindringen, die bisher ganz von den Traditionen des Agha Djan beherrscht war. Der Basarvorsteher reagiert gespalten, einerseits findet er die Übertragung der Mondlandung interessant, andererseits wehrt er sich dagegen, dass „halbnackte“ Frauen in Filmen und Fernsehshows der Öffentlichkeit präsentiert werden, allen voran Farah Diba, die stets westlich gekleidete Ehefrau des Schahs.

Gleichzeitig breitet sich eine Gegenbewegung aus. In der heiligen Stadt Qom bilden die Ayatollahs Imame aus, die immer strenger einem fundamentalistischen und totalitären Islam das Wort reden. Vorsichtig erst, dann immer offener, predigen sie freitags gegen den Schah, gegen Amerika, gegen gelockerte Kleidervorschriften und vieles andere mehr. Nie predigen sie für etwas. Und so bildet sich – neben dem traditionellen Basar und der traditionellen, liberalen Moschee sowie den amerikanischen Modernisierern – eine dritte Machtgruppe heraus, die um die Gesellschaft und die Moscheen kämpft. Jeder einzelne im Kosmos des Hauses an der Moschee setzt sich damit auseinander und positioniert sich, meist im Geheimen, zu den Gruppen. Die traditionelle harmonische Gesellschaft zerfällt.

Hier, etwa in der Mitte des Romans, fällt auch die Geschichte literarisch ein wenig auseinander. Sie wird zu didaktisch, fast ein erzählendes Geschichtsbuch, das über das Exil Khomeinis erst im Irak, dann in Paris berichtet, seine Machtübernahme, den Krieg gegen den Irak, dessen Diktator Saddam Hussein von den USA massiv unterstützt wird, und schließlich die totale Machtergreifung und Diktatur der Ayatollahs. Das Haus an der Moschee verschwindet weiter in den Hintergrund, und es wird ziemlich offensichtlich, dass das Buch nicht nur Roman, sondern auch Fibel für den westlichen Leser sein soll, dem die Geschehnisse im fernen Iran nicht mehr vor Augen sind.

Immerhin erklärt der in den Niederlanden im Exil lebende Autor die Zusammenhänge auf leicht verständliche Art und Weise und schließt damit an sein 2000 erschienenes Buch Die geheime Schrift an. Es wird deutlich, dass das Mullahregime eben nicht die Wiederherstellung der traditionellen Gesellschaft ist, sondern eine eiskalte, brutale, totalitäre Diktatur, die jegliche Art von Opposition durch Hinrichtungen und Morde ausgeschaltet hat. Eine Clique von religiösen Fanatikern, gut vernetzt mit den Taliban in Afghanistan und Pakistan, hat sowohl die traditionelle persische Kultur als auch die Modernisierung zerstört und herrscht über viele Jahre durch blanken Terror.

Das Ende ist ein wenig rührselig, fokussiert jedoch erneut auf Agha Djan und knüpft die losen Enden der Schicksale von Bewohnern des Hauses an der Moschee wieder zusammen. Agha Djan erlebt reine Freundschaft und Menschlichkeit, doch ob er vom Wein gekostet hat, bleibt unserer Imagination überlassen.

fjk@saw

Kader Abdolah: Das Haus an der Moschee. Ullstein/List Tb. ISBN-13: 9783548608563. 8,95 Euro.

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