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Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer

Gelber Wind oder Der Aufstand der BoxerIm Frühjahr des Jahres 2008 lehnten sich in Tibet tausende Menschen gegen die Kolonialisierung durch die Han-Chinesen und die Vernichtung der tibetischen Kultur auf. Sie demonstrierten, schlugen bei der Bank of China die Schaufenster ein und prügelten sich mit den herbeigeeilten Polizisten und Soldaten. Journalisten aus aller Welt berichteten, und die chinesische Staatsmacht reagierte wie gewohnt: Demonstranten ins Gefängnis, Journalisten raus, Mauer hochgezogen. Schlichte Schuldzuweisungen: die „Dalai-Clique“ und die Ausländer waren’s. Seitdem ist Tibet von der Außenwelt abgeschlossen, China hat sich wieder mal eingeigelt.

Im Frühjahr des Jahres 1900 eskalierten in Peking und Umgebung die Spannungen zwischen den „westlichen Mächten“ (zu denen auch Russland und Japan zählten) und jenen Gruppen, die von den Westlern „Boxer“ genannt wurden, weil sie verschiedene traditionelle Kampfkünste ausübten. Die vor allem in der Provinz Shandong beheimateten Gruppen waren extrem nationalistisch, reaktionär und gewalttätig, vorwiegend gegen Landsleute, die Kontakt zu Ausländern unterhielten, sich zum Christentum bekannt oder „ausländische Sitten“ angenommen hatten.

Die Ausländer hatten im 19. Jahrhundert einige koloniale Enklaven etabliert, aus denen heraus sie Handel trieben sowie die chinesische Industrie, das Militär und das Transportwesen modernisierten. Doch – entgegen der heute in China verbreiteten Propaganda – war China nie eine wirkliche Kolonie wie etwa Indien oder die meisten südostasiatischen Staaten, und die Kolonialherrschaft spielte nie eine bedeutende Rolle. Das politische Problem lag vor allem in China selbst, in der chinesischen Monarchie begründet, die sich heftig gegen jede Modernisierung wehrte, gleichzeitig aber kontinuierlich degenerierte und zum Schluss Kaiser im Sommerpalast einsperrte und Kinder auf den Thron setzte, während die alte Cixi – von der Konkubine durch die Geburt eines Knaben zur Kaiserin aufgestiegen – „hinter dem Vorhang herrschte“ und die Strippen zog.

So auch beim Boxeraufstand, den sie offiziell nicht kommentierte und inoffiziell mit regulären Truppen unterstützte. Heute reagiert die kommunistische Regierung ähnlich, wenn sie Demonstranten gegen Japan, Schläger nach Fußballspielen und Boykotteure von französischen Supermärkten ignoriert. Aber wer glaubt schon, dass solche Demonstrationen im heutigen China ohne Unterstützung aus der Parteizentrale stattfinden könnten?

Der bekannte Zeichner Gerhard Seyfried hat einen „Roman“ über den Boxeraufstand geschrieben, ein umfängliches und, wie der Verlag schreibt, „faktenreiches“ Werk. Das Thema ist ja durchaus aktuell und hätte angesichts der jüngsten Ereignisse eine Behandlung für eine breitere Öffentlichkeit verdient. Doch Seyfried hat zwei Stühle in beträchtlichem Abstand aufgestellt und sich dann genau dazwischen fallen lassen.

Ein gut geschriebenes historisches Sachbuch wäre nicht schlecht gewesen, der Autor hat fleißig recherchiert und Archive eingesehen, doch es fehlt der Überblick, es fehlen die Zusammenhänge, die Bezüge, ein Einordnen und eine Bewertung. Dafür jedoch fehlen dem Autor die Kenntnisse, man merkt es an vielen Details, an vielen kleinen Fehlern, an der katastrophalen Umschrift des Chinesischen.

Ein Roman ist das Buch aber auch nicht. Es ist eine Aufreihung von Dokumenten, die irgendwie angehängt werden an uninteressante und wenig überzeugend handelnde Personen. Jene bilden nur eine Staffage für endlose Detailaufzeichnungen, die das Buch hölzern und unendlich langweilig machen. Hätte es ein vernünftiges und kenntnisreiches Lektorat gegeben und hätte der Lektor den Autor überzeugen können, mindestens 200 Seiten zu streichen, dann hätte sich dieser zwangsläufig die Frage stellen müssen, wo eigentlich der Kern dieses Konfliktes lag und wie man, statt jede Schießerei endlos zu dokumentieren, diesen Kern hätte dramatisieren können. Hätte, hätte, gab’s aber nicht.

Stattdessen erleiden wir Sätze wie diesen: „Das von Linienschiffskapitän Victor Ritter Bless v. Sambucchi angekündigte Detachement des vorgestern vor Taku eingetroffenen österreich-ungarischen Panzerkreuzers S.M.S. Kaiserin und Königin Maria Theresia hat sich bis jetzt nicht sehen lassen.

Vielleicht verbrachten die Österreicher einfach zu viel Zeit damit, sich gegenseitig ihre Titel vorzutragen.

fjk@saw

Gerhard Seyfried: Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer. Eichborn Verlag. ISBN 978-3-8218-5797-8. 29,95 Euro.

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