Kälps Himmelfahrt

Einsatzfahrzeuge fahren durch die Nacht und stören die Ruhe in dem verschneiten Bergdorf im Schwarzwald. Der als geizig und streitsüchtig verschrieene Schreiner Nurbrecht liegt tot am Fuße der Kellertreppe seines Hauses, in dem er zusammen mit seinem ungeliebten Kind aus erster Ehe und seiner zweiten, schwangeren thailändischen Frau gelebt hatte.

Die Dorfbewohner rätseln über die Todesumstände. War es ein Unfall oder hat ihn jemand mit Absicht die Treppe hinuntergestoßen? Der einzige, der mehr zu wissen scheint, ist der Tierarzt Kälp, aber der schweigt – vorerst.

Trotz des fulminanten Auftakts ist "Kälps Himmelfahrt“ kein Kriminalroman, sondern vielmehr das überzeugende Psychogramm eines Eigenbrötlers. Der Tierarzt Kälp, der sich einzig für seinen Beruf interessiert, hat sich bewusst für die Einsamkeit des Schwarzwaldes entschieden, wo er in einem alten Bauernhof lebt. Zu den Menschen hält er möglichst Distanz. Engere Beziehungen unterhält er nur zum Mönch Daniel und zu Una, der Verlobten seines verstorbenen Bruders, die als Kindergärtnerin im Dorf arbeitet und ihm vergeblich ihre Zuneigung spüren lässt.

Im Dorf gilt er als Außenseiter, der selbst Weihnachten lieber alleine mit seinen Tieren im Stall verbringt. Angewidert von der Welt spielt er sogar mit dem Gedanken, sich ganz von der Welt abzuwenden und sich in das auf dem Berg gelegene Benediktinerkloster zurückzuziehen.

Doch seit jenem Abend, an dem der Schreiner Nurbrecht die Treppe hinunterstürzte, beginnt Kälps Leben aus den Fugen zu geraten. Kälp lernt Birgit kennen, die neben ihm stehend die Ankunft der Einsatzfahrzeuge beobachtet. Die in Wolfsburg lebende Kfz-Werkstattleiterin verbringt die Weihnachtsferien mit ihrer Tochter in einer benachbarten Ferienwohnung. Er ist fasziniert von Birgits burschikoser Art und ihrer rauchigen Stimme. Wenig später nähern sich die beiden bei einem Dorffest an, tanzen miteinander und verbringen eine leidenschaftliche Nacht.

Während der bodenständige Kälp schon von einer gemeinsamen Zukunft träumt, sieht Birgit in dem Tierarzt nur eine Urlaubsaffäre, mit der sie sich die Zeit vertreibt. Sie selbst lebt in Scheidung und wartet auf das Ende der Ferien, da bis dahin ihr (Noch–) Ehemann die gemeinsame Wohnung verlassen haben muss.

Kälp, der sich Hals über Kopf in Birgit verliebt und ihr sogar heimlich in die Schweiz nachreist, wohin sie mit ihrer Tochter einen Ausflug unternimmt, fährt auf der Achterbahn der Gefühle. Schon bald fällt er in Depressionen und reitet sich immer tiefer in den Abgrund hinein, indem er seinen Beichtvater ebenso wie die Polizei mit einer Aussage zu dem ungeklärten Todesfall verstört, die ihn zum Tatverdächtigen macht und sogar in Untersuchungshaft bringt.

Michael Wallner, der es mit seinem Roman „April in Paris“ vor ein paar Jahren auf die Bestsellerliste geschafft hatte, hat mit "Kälps Himmelfahrt“ ein stilles, nachdenkliches Buch geschrieben, wobei der in Graz geborene Autor statt Paris oder Moskau diesmal seine süddeutsche Wahlheimat zum literarischen Schauplatz auserkor. Die enge Bergwelt bildet ein passendes Szenario, und wie in einem Kammerspiel verdichtet Wallner mit einer manchmal kantigen Sprache die Handlung und erzählt von Kälps Unfähigkeit, sich dem eigenen Schicksal zu stellen und seinem Drang, sich ins Verderben zu stürzen.

ran@saw

Michael Wallner: Kälps Himmelfahrt. Luchterhand Verlag 2011, 224 S., ISBN-10: 3630873057, 18,99 Euro.



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