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Nacaria

Der Handlung der Geschichte liegen Fakten zugrunde. Fakten von der Koschenillezucht auf den Kanarischen Inseln, von den Daten dazu und den Vorfällen, und sie war ursprünglich geschrieben als Annalen, trocken und emotionslos. Sebas Martin aber, der Autor dieses Buches und eine der wichtigsten Stimme in der heutigen spanischsprachigen Literatur, fand in der Lektüre der Dokumente die Erzählungen seines Großvaters wieder.

Der hatte ihm einst, als er noch ein Kind war, mit großer Wehmut von einer Zeit erzählt, als die hier erwiesene Parabel über trügerische Illusionen und die Trostlosigkeit des Niedergangs entstanden war. Als man auf den Kanarischen Inseln alles vergessen hatte, darüber, mit der Koschenillelaus, auch „Purpurlaus“ genannt, zu Reichtum kommen zu wollen.

Nacaria

Die Protagonisten der Erzählung sind überdimensional zahlreich, es sind Läuse. Keine Gewöhnlichen, denn dann wäre keine Geschichte daraus entstanden. Es sind Koschenilleläuse, die, wenn man sie siedet und filtert diese unglaublich strahlende tief rote purpurrote Farbe zum Vorschein bringen. Dieses feurige Rot, das der kanarische Emigrant Quintero einst im Süden von Amerika gesehen und von einem der Farbhersteller erfahren hatte, dass es nur eine Quelle gibt, an diese berauschende Farbtinktur zum Einfärben von Seide und Kaschmir zu kommen: Man muss die Läuse der Feigenkakteen züchten, sammeln und sie dann nach einem uralten Rezept verarbeiten: sieden, filtern und so weiter.

Keine Frage, dass Quintero nicht mehr los gelassen wird von dieser Idee, er reist zurück nach Nacaria, mit Opuntiensetzlingen und Läusen im Gepäck, paarweise, damit sie sich schon während der Reise fortpflanzen können. Zuhause angekommen pflanzt er die Saat nach einem geheimen Ritual und das mit Erfolg, wie sich nach einer gewissen Zeit mit den ersten „sesshaften“ Läusen an den Blüten der Kakteen andeutet. Erneut widmet Quintero sich deren Vermehrung, wieder mit Erfolg, doch treten nun auch die „Nebenwirkungen“ zu Tage, denn die Dorfgemeinschaft der Insel zweifelt angesichts dieses Tuns am Verstand Quinteros. Sie wissen ja nichts von der verborgenen Schönheit der Koschenillelaus und erst Recht nicht von dem ökonomischen Wert dieser Schönheit. Noch nicht, denn irgendwann ließen sich die Hintergründe der Läusezucht nicht mehr geheim halten – mit dem Erfolg, dass kein Bewohner Nacarias nicht daran teilnehmen wollte.

Man lebte in großer Armut, nun würde sich das ändern! So überzeugt waren die Nacarianer von ihrer reichen, sorglosen Zukunft, dass sie alle ihr Hab und Gut verkauften, um in die Zucht und den Handel mit der Purpurlaus einsteigen zu können. Doch die Folge der Begebenheiten ist so schrecklich...

Die Geschichte der nacarianischen Koschenillelaus-Zucht ist ein Gleichnis, das einmal mehr zeigt, wie weit Menschen sich auf hanebüchene Wagnisse einlassen können, um ihrem Dasein zu entrinnen – wider alle Vernunft, entgegen ihrer Kultur und Traditionen. Doch die Parabel zeigt auch, dass Wertigkeiten sich nicht übertölpeln lassen und dass der natürliche Kreislauf des Lebens sich stets zur Wehr setzt.

Übrigens gehören die Opuntienfelder bis heute zum Bild der Kanarischen Inseln.

P.S.: Ein Kompliment an die wortgewaltige Sprache des Autors, und so auch an die grandiose Wortkunst der Übersetzerin Gerta Neuroth.

usch@saw

Sabas Martin: Nacaria. Konkursbuch-Verlag Claudia Gehrke. ISBN 978-3-88769-379-4. 12,90 Euro

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