Die Stimmen des Flusses"Die Stimmen des Flusses" sind immer dann zu hören, wenn ein Mensch stirbt, heißt es in dem gleichnamigen Roman von Jaume Cabré, der um die Frage kreist, was wirklich an jenem 18. Oktober 1944 in dem Pyrenäendorf Torena geschah, als der Lehrer Oriol Fontelles in der Dorfkirche getötet wurde. Cabré, der beständig mit Vor- und Rückblenden arbeitet, entwirft Kapitel um Kapitel ein faszinierendes Gesellschaftspanorama der spanischen Provinz, das sich über sechs Jahrzehnte vom spanischen Bürgerkrieg bis in die Gegenwart erstreckt. Geschickt versteht er es, die Zeitebenen miteinander zu verknüpfen, wenngleich er die Konzentration seiner Leser gelegentlich überstrapaziert. Im Zentrum von Cabrés Romans steht Elisenda Vilabrú, eine umtriebige Großgrundbesitzerin und Unternehmerin, die seit dem Tod ihres Vaters und ihres Bruders durch Anarchisten auf Vergeltung sinnt. Um ihre Interessen zu verfolgen, scheut sie keine Skrupel, wenn nötig, bedient sie sich auch des franquistischen Bürgermeisters. Der Roman schildert zudem ein Spanien, das noch nicht aus dem Schatten von Francos Diktatur herausgetreten ist. Reue oder Unrechtsbewusstsein sind Fremdwörter. Im Gegenteil: Die greise Elisenda Vilabrús betreibt mit viel Geld und Aufwand die Seligsprechung ihres ehemaligen Geliebten, die zum Osterfest 2002 in Rom erfolgen soll; die wissbegierige Tina Bros durchkreuzt jedoch ihre Pläne. Subtil prangert Cabré die Duldung des faschistischen Terrors durch die Kirche an, während er seinen Roman stilsicher einem packenden Ende zutreibt. Selten hat es ein Autor verstanden, die Grauzonen zwischen Diktatur und Demokratie so meisterhaft auszuleuchten. ran@saw Jaume Cabré: Die Stimmen des Flusses. ISBN 3518460498. Suhrkamp. 9,90 Euro |