Buchbespechung

Heimat Ruhrgebiet

 

Was aus einem Geschichtswettbewerb entstehen kann, liegt nun in gedruckter Form vor. Zu Papier gebracht wurden Erinnerungen zu den Themen „Alltag“, „Arbeit“, „Kindheit“ sowie „Krieg“ und „Frieden“. Darüber hinaus werden auch Themen wie „Heimat“, „Spass“, Spiel“ und „Wohlstand“ behandelt. Manchmal sind es eher kurze Notizen und niedergeschriebenen „Gedankensplitter“, die wir lesen. Unter denen, die sich zu den genannten Themen geäußert haben sind viele Rentner. Während ihrer Berufszeit waren sie Industriemeister, Rechtsanwalt, Erzieherin, Dipl. Ing,, Bergmann, Paramentenstickerin, ein Gärtner und Beigeordneter der Stadt Aachen, also eine bunte Mischung von Zeitzeugen, die die 1940er bis 1960er Jahre in ihren Geschichten reflektieren.

Heimat RuhrgebietSo unterschiedlich die Personen sind, so auch deren Erinnerungen. Die Stulle mit Butter und Zucker gehörte zu Fred Gäbels Alltag, während sich Gerd Plasmeier an seine Kommunion 1945 erinnert. Unterschiedlicher können Alltagserlebnisse wohl nicht sein. Das Verbindende mit den Nachbarn, das gemeinsam zu nutzende Klo, kam Lothar Gräfingholt in den Sinn, als er etwas zum Alltag in den 1950er Jahren aufschreiben sollte. Über Gleichberechtigung heißt es in der Sammlung Böcker: „Wenn der Horst … von der Arbeit kommt, kriegt der das größte Kotelett, der muss schließlich arbeiten.“, Nee, nee“, sagte ich dann, „die größten bekommen die Kinder, die müssen erst mal groß werden.“

Arbeit hießt bisweilen schon als Kind Kohlen zu schippen, wie Siegfried Bakiera zu berichten weiß. Schrott aus Abbruchhäusern organisierte Horst Schick: Der Erlös dieses Unternehmens wurde zum Kauf einer Packung „Gloria-Filterzigaretten“ und Zucker-Geleebonbons verjimbacht. Dass das Dasein als Hausfrau für Frauen im Nachkriegsdeutschland ganz normal war, legt Hilde Willems dar. Ihr Mann, in diesem Fall als Lehrer tätig, verdiente das Geld. Sie als Ehefrau hatte zuhause zu bleiben. Wie das Leben als Berglehrling aussah, schildert Hans Völkel, der zunächst im Barackenlager Nottekampsbank untergebracht war.

Kinderlandverschickung, Gehorsam und das erste Schuljahr als I-Männchen bestimmten Teile der Kindheit. Hunger gab es in den 1940er Jahren auch zu meistern. Alfred Hollerbach dachte beim Stichwort Kindheit hingegen an „Maisbrot und Schwarzmarkt“.

Vom Kriegsalltag und dem damit verbundenen Fliegeralarm lesen wir in der vorliegenden Veröffentlichung ebenso wie von den Idolen Glen Miller, Benny Goodman, Duke Ellington und Louis „Satchmo“ Armstrong. Konfrontiert wurde zum Beispiel Brigitte Wiers nach dem Krieg mit den Gräueln, die sich hinter Stacheldraht in den Konzentrationslagern abgespielt hatte, während sie selbst den Krieg in einem KLV-Lager verbrachte und erst in einer Filmvorführung in einem Saal der Dorfkneipe von dem Elend inhaftierter Juden erfuhr.

Hungrig nach dem prallen Leben waren alle, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten. Dazu gehörte 1953 ein Kinderschützenfest ebenso wie der Besuch des Kinos Südtheater für den Film „Am Anfang war es Sünde“, obgleich man wie Horst Schick noch nicht 18 Jahre alt war. „Niemann“ in Essen-Katernberg war für Renate Bodyl das Ausgehlokal ihrer Wahl, als sie 17 Jahre alt war. Zudem hatte es Renate Bodyl auch die Musik Chubby Checkers angetan. Zu dieser legte sie im schwarzen Cocktailkleid im Tanzlokal „Arkardia“ in Dellbrügge den Twist auf das Parkett. Doch um 22 Uhr musste der Heimweg angetreten werden, so die Autorin in ihrer Erinnerung. Paul Gäbel entdeckte zur gleichen Zeit die Männerwelt beim „Sperma-Weitspritzen“ im Kornfeld, wie er kurz und bündig ausführt.

Von großer Bedeutung war im Pott der Fußball, nicht nur beim Westfalenmeister SC Arminia Ickern, so Klaus-Dieter Tovenrath. Kein Wunder nach dem „Wunder von Bern“. Doch es gab auch Bunkerspiele und natürlich die ersten Doktorspiele, wie wir lesen können.

Schließlich erinnern sich die an dem vorliegenden „Geschichtsband“ Beteiligten auch an den ersten Wohlstand, an den väterlichen Roller in Schwarz mit Beiwagen., an den Bungalow, den man bezog, ans Wohnzimmer mit Gasheizung und die „legendären“ Dia-Abende in der Familie.

 

text © ferdinand dupuis-panther – Der Text ist nicht public commons

 

Susanne Abeck und Uta C. Schmidt /Hrsg.): Stulle mit Margarine und Zucker, Heimat Ruhrgebiet, Klartext Verlag, ISBN: 978-3-8375-1461-2, Preis: 13,95 Euro

 

Reisemagazin schwarzaufweiss