Schäferstündchen auf dem Deich

Mit dem Fahrrad über die friesische Halbinsel Butjadingen

Text: Winfried Dulisch
Fotos: Butjadingen Kur & Touristik u.a.

Das Salzwasser des Jadebusens trennt den Westen der Nordsee-Halbinsel Butjadingen von Ostfriesland. An Butjadingens Ostseite fließt die Weser ins offene Meer. Das nördliche Strandgebiet von Butjadingen bietet einen weiten Ausblick auf die Deutsche Bucht, wo sich die ost- und die nordfriesischen Inseln begegnen. Unser Autor hat dieses abseits vom Massen-Tourismus liegende Stück Land durchradelt und dort eine gesunde Mischung aus Tradition und zeitgemäßem Biker-Komfort angetroffen.

Hafenmole Fedderwardersiel

An der Mole vom Fischereihafen Fedderwardersiel

1898 wurde die Bahnlinie Berlin-Wilhelmshaven eröffnet. Großstädtische Seeluft-Fans ließen sich von Wilhelmshaven mit der Fähre über den Jadebusen nach Butjadingen bringen. Dort entwickelte sich Tossens um die Jahrhundertwende zu einem der klassischen Nordseebäder. Die Nachfahren dieser Tourismus-Pioniere nehmen heute den umgekehrten Weg, fahren mit dem Fahrrad von Butjadingen aus um den Jadebusen herum und lassen sich abends von Wilhelmshaven wieder zurück nach Eckwarderhörne übersetzen.

Deutschland Butjadingen Karte

Gucken, ganz weit gucken

Wer mit dem Zug von Nordosten nach Butjadingen anreist, steigt in Bremerhaven aus und radelt kurz durch die Stadt zur Weser-Fähre, die nach Blexen übersetzt. Während der Fahrt über die Wesermündung lassen die Augen sich schon mal trainieren für diesen friesischen Volkssport: Gucken. Einfach nur gucken. Einfach nur ganz weit gucken. Eine bestens asphaltierte kleine Straße führt von Blexen aus durch grüne Wiesen am Deich entlang. Er schützt das weite Land vor der Nordsee und die Radwanderer vor dem Seitenwind.

Das Verkehrsschild am Beginn der Deichstraße ist kein Ostfriesenwitz: „Vorsicht! Hier wird geboßelt“. Denn die gefälle- und kurvenarme Straße neben dem Deich eignet sich hervorragend für die zweitbeliebteste Sportart auf der Halbinsel: Boßeln, bei dem die Teilnehmer ihre Spielkugeln über mehrere Kilometer vor sich her rollen lassen. Diese Langstrecken-Boule-Kampfbahn bietet auch ideale Verhältnisse für Radwanderer, egal ob sie während einer Tagestour oder im Zweiwochen-Urlaub die Halbinsel erkunden möchten.

Butjadingen - Fedderwardersiel Hafen

Feierabendstimmung im Fischreihafen Fedderwardersiel. Copyright: Anita Eppmann

Von Süden aus bummelt ein Regionalzug entlang der Weser nach Nordenham, die gemütliche Fahrt geht ab Bremen siebzig Minuten lang durch die satten Feuchtwiesen der Wesermarsch. Wer diese Strecke bereits auf dem Rad genießen will, für den ist sie als Schlussetappe des Weser-Radweges auf der linken Seite des Flusses ausgeschildert. Rechts der Weser radeln und bei Kleinsiel den Wesertunnel durchqueren - das geht nicht, weil dieser Tunnel nur für Autos zugelassen ist.

Schäfchenzählen beim Biken

Für eine weitere – vor allem bei den Kindern beliebte – Behinderung des Fahrradverkehrs sorgen auf Butjadingen jene Schafe, die ab und zu die Deichstraßen überqueren und antesten, ob das Gras auf der anderen Seite noch grüner ist. Die Schafzüchterin Anke Plümer erklärt den Feriengästen jeden Mittwoch von April bis Oktober um zehn Uhr die Bedeutung der blökenden Deichbewohner: „Das Gras könnten wir auch maschinell mähen. Aber keine Maschine kann den Deich dermaßen gleichmäßig feststampfen wie die Schafe.“ Mit ihrem „Schäferstündchen“ öffnet Anke Plümer so richtig die Augen für die Naturschönheiten der Halbinsel.

Deutschland Butjadingen Wega

Ausflug ins Wattenmeer

Nach ungefähr fünfzehn Kilometer Schäfchenzählen (pro Hektar Deichfläche sieben Muttertiere und jeweils ein Junges) erreicht man von Blexen aus Fedderwardersiel. Dieser kleine Fischereihafen sitzt bei Ebbe auf dem Trockenen. Das Spiel der Gezeiten nutzt Dieter Nießen für seine weltweit einmalige Besichtigungstour in den Naturpark Niedersächsisches Wattenmeer. Weil die Tiden keinem 24-Stunden-Rhythmus folgen, startet die „Wega II“ zu ständig wechselnden Zeiten ab Fedderwardersiel. Nach 90 Minuten Fahrt auf hoher See lässt er sein speziell für diesen Zweck gebautes Schiff „trocken fallen“ und die Passagiere drei Stunden lang bis zur Rückkehr der Flut durch das Watt wandern.

Auf der Suche nach Wattwürmern

Kapitän Nießen dämpft falsche Hoffnungen: „Meine Wattwanderung ist keine Butterfahrt zum Seehund-Streichelzoo.“ Trotzdem – oder gerade deswegen – ist die Reise mit der Wega II zu den Sandbänken zwischen dem Leuchtturm Hohe Weg und der Vogelinsel Mellum ein Erlebnis für Erwachsene und Kinder. Wenn die neugierigen Seehunde nach ungefähr einer Stunde angerobbt kommen, wecken sie kaum noch das Interesse der Wanderer. Denn die Wattführer wissen über die Strandvögel und Kleinlebewesen viel Aufregenderes zu erzählen. Vor allem die Kleinen im Vorschulalter pulen gerne nach jenen Würmern, die nur hier im Watt zu finden sind.

Die Erwachsenen pulen lieber Krabben, das Kilo frisch vom Fischer für ungefähr fünf Euro. Der aktuelle Krabbenpul-Rekord steht in Butjadingen bei 420 Gramm in 20 Minuten – und wurde von einem Feriengast aufgestellt, nicht von einem Butjenter. Sag übrigens niemals „Butjadinger“ – und erst recht nicht „Ostfriese“ - zu einem Bewohner von Butjadingen. Diese Sünde verzeihen die Halbinsulaner einem Fremden nur in den ersten drei Tagen seines Aufenthalts.

Urlaubsregion frei von Sünden

Die Butjenter selbst sind frei von Sünden – zumindest was den Tourismus betrifft. Obwohl Butjadingen eine ideale Urlaubsregion für alle Generationen und Geldbeutel ist, gibt es in dem für den Fremdenverkehr hervorragend erschlossenen Westteil der Halbinsel keinen McDonald´s und keine Disco.

Deutschland Butjadingen Krabbenpulerin

Traditionelle Beschäftigung an der Nordseeküste: Krabbenpulen

Annemarie Cornelius hatte Mitte der 90er Jahre allerdings bemängelt, dass sogar die traditionsbewussten Butjenter – na siehste, es geht doch – den Touristen kaum noch Gerichte auftischten, mit denen Butjadingen sich als Heimat von glücklichen Kühen präsentiert. Also errichtete sie in Seeverns eine Radler-Raststätte, in der sie statt Pommes und Currywurst regionale Milchprodukte anbietet. Die gelernte Hauswirtschaftsmeisterin gesteht offen: “Die Idee habe ich geklaut.“ Macht nix, Frau Cornelius. Denn mit Ihren Obst-Buttermilch-Cocktails, Käse-Salaten und vor allem mit Ihren Quark-Desserts beweisen Sie landschaftliche Verbundenheit und gleichzeitig gastronomische Kreativität. Wenn die Besucher nach den Rezepten fragen, gibt die „Melkhus“-Frau gerne Auskunft, denn „drinken un eeten – datt kann jeden eenen weeten.“

Eine Kirchenorgel mit traditionellem „Sound“

Nicht zu imitieren ist dagegen ein musikalisches Schmankerl, das die Besucher von St. Laurentius in Langwarden live genießen dürfen. Die mindestens 600 Jahre alte Kirche erhebt sich auf einem Hügel, auf den die Menschen einst vor den Sturmfluten flüchteten, ehe die heutigen Deiche gebaut wurden. Ausgrabungen bestätigen, dass Langwarden im Mittelalter und sogar im 30-jährigen Krieg ein wohlhabender Handelsplatz gewesen sein muss.

Aber zum Glück sind die Nordsee-Anrainer keine Verschwender. Während die Kirchenorgeln im übrigen Europa alle paar Generationen dem jeweils aktuellen „Sound“ angepasst wurden, ist in Langwarden heute noch hören, wie die Königin der Instrumente in der Zeit vor Johann Sebastian Bach geklungen haben muss. Nicht nur Sakralmusik-Fans lauschen fasziniert, wenn die Orgelpfeifen und der Kirchenraum von St. Laurentius zu ihrer seit 350 Jahren unveränderten Einheit verschmelzen.

Hightech-Lagune

Ein zeitgenössisches Highlight erwartet die Butjadingen-Feriengäste in Burhave. Auf einem vier Hektar großen Areal finden sie hier einen Salzwasser-Badesee. Diese künstlich angelegte Nordsee-Lagune erlaubt - unabhängig von den Gezeiten – einen Badebetrieb bei gleich bleibendem Wasserspiegel.

Für die allerkleinsten Besucher wurden hier sichere Bade- und Spielmöglichkeiten in den flacheren Strandabschnitten eingerichtet. Die größeren Kids können auf der Pirateninsel und auf einem Kletterschiff rumtollen. Und ihre Eltern haben die Auswahl zwischen Sonnenbad im Strandkorb oder einen Spaziergang auf dem Kunst- und Erlebnispfad am Strand. Eine 200 Meter lange Seebrücke – der Wattensteg – führt den Wanderer trockenen Fußes hinein in die Natur-Sehenswürdigkeiten des Wattenmeeres.

Deutschland Butjadingen Ballons

Butjadingen bietet Überraschungen für große und kleine Kinder

Bei schönem Wetter ist es bekanntlich überall schön. Und bei Regen? – Dafür wurde in Burhave eine riesige „Spielscheune“ gebaut. Hier gibt es keinen High-Tech-Firlefanz und keine Video-Daddelspiele. Sondern da kannst du einen künstlichen Berg hochklettern, und wenn du da runter fällst, dann tut das überhaupt nicht weh, weil alles weich gepolstert ist. Und da gibt es gleich mehrere Trampoline nebeneinander, da kannst du von einem auf das andere springen. Dieser überdachte Abenteuerspielplatz sollte zwar eigentlich nur die Schietwedda-Urlaubstage versüßen, aber auch bei Sonnenschein ist Leben in der Bude.

Wenn Kinder einen Aufsatz über „Mein schönstes Ferienerlebnis“ schreiben sollen, erinnern sie sich garantiert an diese Spielscheune in Burhave. Und irgendwann weiß auch der letzte Geografielehrer: Die Nordsee-Halbinsel Butjadingen liegt nicht in Ostfriesland, sondern auf der Landkarte rechts davon.

 

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