Urlaub an der Ostsee

Fischland-Darß-Zingst, Stralsund und Hiddensee

Text: Beate Schümann
Fotos: Beate Schümann u.a.

Schon von weitem ragt er mit seiner Spitze über die Dächer hinaus, der Turm der Wustrower Kirche. Wenn ich ihn sehe, weiß ich, dass ich da bin. Ankunft auf einem Sehnsuchtsflecken.

Gleich zu Beginn muss man etwas feststellen. „Darß“, wie die Halbinsel gemeinhin genannt wird, ist nur ein Teil des Meer umschlungenen Landes. Vielleicht waren es die Maulfaulen, die dafür sorgten, die anderen beiden Flecken zu kappen. Fischland ist ein langes Wort, und der Name Zingst geht nicht leicht von der Lippe weg. Doch richtig heißt die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. Zugegeben, etwas lang der Name. Er deutet an, dass die Drei früher einmal getrennt waren. Erst durch das Verschwinden der Flutrinnen entstand die 45 Kilometer lange, leicht gebogene Landzunge, ein Prozess, der erst im 19. Jahrhundert abgeschlossen war.

Steilküste in Wustrow © Ole Jensen - Fotolia.com

Steilküste in Wustrow © Ole Jensen - Fotolia.com

Fischland-Darß-Zingst beginnt für mich mit dem Turm von Wustrow (1). Achtzehn Meter gilt es zu erklettern, und er dankt es mit einem aufregenden Panoramablick: im Westen die Ostsee, im Osten die Boddenlandschaft. Unten sieht man kleine reetgedeckte Katen und Kapitänshäuser. Und wie schmal Fischland ist! Auf wenigen hundert Metern kann man zwischen Stränden und Bodden beliebig pendeln.

In ihrem Windschatten schützt die Inselkette eine einmalige Lagunenwelt, den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft mit Salzwiesen, Prielen, Seen und dem offenen Meer. Ein Paradies für Vögel wie Seeadler, Säbelschnäbler und den seltenen Kampfläufer und Naturfreunde. Bizarre Windflüchter-Kiefern markieren den Strand, Schilfgürtel wachsen bis an die Straßen. Kraniche und Kormorane, Silbermöwen und Seeadler kommen in Scharen wie Künstler und Zivilisationsflüchtlinge. „Tach“, sagt man hier zum Gruß. Das ’ch’ muss richtig rau aus der Kehle kommen. Dann rollt das Herz des Mecklenburgers mit aus dem Bauch.

Ahrenshoop © autofocus67 - Fotolia.com

Ahrenshoop © autofocus67 - Fotolia.com

Bei Ahrenshoop (2) beginnt der Darß – und Vorpommern. Das hübsche Dorf heißt zu Recht „Worpswede des Ostens“. Nicht ganz so berühmt, doch der malerische Wechsel zwischen Steilküste, Strand, Dünen und Wald, den Zeesseglern auf dem Bodden und den bunten Haustüren der Reetkaten wirkte und zog ab ca. 1890 Künstler an, etwa Paul Müller-Kaempff, dem Begründer der Künstlerkolonie, Elisabeth von Eicken, Alexej von Jawlensky und Hedwig Woermann. In der 1909 errichteten Galerie Kunstkaten erfährt man, dass dem Charme auch Ernst Barlach, Bert Brecht, Anna Seghers und Stefan Zweig erlagen; nur blieben sie nicht ganz so lange.

Der hohe Charmefaktor des Seebades hält ungebrochen an, weshalb sich zur Sommerzeit zu den 724 Ahrenshoopern die Gäste gesellen, die die rund 2100 Gästebetten belegen – ohne die zig Tagesausflügler. Ab Ostern dreht der Puls der Halbinsel steil in die Höhe, so dass die zentrale Nervenader, die Landstraße zwischen Wustrow und Zingst, am Ende noch jedem beigebracht hat, dass der Darß eine Insel der Zeitlosen ist: wer nicht entschleunigen kann, wird einfach dazu gezwungen. Die erste Wahl für die Fortbewegung sind die eigenen Füße oder das Fahrrad.

Farbenfrohe Haustür auf dem Darß © dieter76 - Fotolia.com

Farbenfrohe Haustür auf dem Darß © dieter76 - Fotolia.com

Am Darßer Ort (3) wendet sich der Landstrich wie ein Bumerang gen Osten. Im Knick wuchert ein urwaldähnlicher Wald wie wild, rund 4700 Hektar, man wagt zu sagen: er ist der Darß. Was die Dörfer Prerow und Born mit all ihren Reizen natürlich nicht so gern hören würden. Auf den Holzbohlen des Naturlehrpfades kann man bis zum Leuchtturm von 1848 spazieren, um oben den Blick auf Küstendünen, Wald und Erlenbruch zu genießen. Am Abend entscheide ich mich für die Pferdekutsche. Gemütlich traben die beiden Kaltblüter zurück in die Zivilisation.

Weltkulturerbe Stralsund

Manche behaupten ja, im Osten sei nichts los. Für Stralsund (4) gilt das schon mal nicht. Kaum ein Denkmal ist so lebendig wie die Stadt am Strelasund, noch lässt es sich so gut in ihm leben. Kaum ein Flächendenkmal ist so durchgehend gut überliefert wie die Hansestadt. Ein Flächendenkmal. Das sagt mir: Zieh gute Schuhe an, denn es erstreckt sich über achtzig Hektar. Fürs Erste genügt es, wieder einen Kirchturm zu erklimmen, den von St. Marien, um mir einen Überblick zu verschaffen. Auf der Panoramaplattform zeigt sich das ganze Ausmaß, die besondere Lage auf einer Wasser umspielten Insel, auf der sich hunderte geschützte Kirchen, Klöster und Gebäude versammeln: Ein historisches Gesamtkunstwerk aus acht Jahrhunderten. Die Unesco hielt das für schutzwürdig: Stralsund repräsentiert im Duett mit Hanseschwester Wismar die entwickelte Hansestadt aus der Blütezeit des mächtigen Städtebundes im 14. Jahrhundert.

Stralsund - Kirchturm St. Marien

Runter vom Turm, rein in die Gassen, rauf auf den mittelalterlichen Grundriss mit Straßennetz, Plätzen, Quartier- und Parzellenstruktur. Ein Einzeldenkmal folgt dem anderen, ein Reigen von früh- und spätgotischen, renaissancenen und barocken Giebelhäusern. Millionen flossen, damit sich in den glasierten Backsteinen wieder jener legendäre Reichtum spiegelt, der einst dank der hansischen Handelsmonopole für Tuch, Pelze, Salz und Honig in die Stadt floss. Am Markt raubt mir das Ensemble aus Rathaus, Bürgerkirche und Giebelhäusern jedes Mal den Atem. Filigrane Türmchen, Giebel und Windlöcher dekorieren die hohe Schauwand wie Brüsseler Spitze vor blauem Himmel. Rundherum strotzen die hohen Blendfassaden bis unter die Giebelspitze vor Stolz, Standesbewusstsein und Macht. Genau das sollte die nach dem Himmel greifende Architektur Landesfürsten und Kirche vor Augen führen. Dies ist eine Kapitale der Kaufleute.

Stralsund

Und doch ist Stralsund kein Museum. Hinter frisch verputzten Fassaden, auf gepflegtem Kopfsteinpflaster und in sorgfältig gehüteten Klostermauern wird gelebt. Die Stadtväter scheuten sich nicht einmal, die markante Stadtsilhouette zu verändern. 2007 setzten sie der berühmten Hanse-Skyline eine Megabrücke von 2831 Metern Länge vor, die als „Jahrhundertbauwerk“ und „längstes Brückenwerk Deutschlands“ in Stralsunds neuere Geschichte einging. Noch stärker staunt man am alten Hafenkai, wo das „Ozeaneum“ die Konturen seit 2008 prägt. Vier gigantische weiße Baukörper wölben sich wie ein amorphes Planetensystem aus Utopia zwischen Backsteinkirchen, Speichern und Giebelhäusern hervor. Drinnen wandelt man auf 9000 Quadratmetern zwischen den Weltmeeren, der Ostsee, der Meeresforschung und im Raum schwebenden Walen, die man wie auf dem Meeresgrund im Sessel bequem liegend betrachten und hören kann.

Stralsund - im Ozeaneum

Kultur macht hungrig, und wie überall an der Küste ist auch in Stralsund der Gang zur Fischbude obligatorisch. „Bitte einen Bismarck-Hering“, bestelle ich. Den zwischen Salatblatt und Zwiebeln Eingeklemmten schiebe ich mir für 2,50 Euro von der Hand in den Mund. Stralsund ist ein Hering-Wallfahrtsort, genauer gesagt Fischhandel Henry Rasmus. Hier kam der sauer eingelegte Bismarck-Hering ans Licht der Welt. „Eines Tages bekam Otto von Bismarck Post von Johann Christian Friedrich Wiechmann, Inhaber der Stralsunder Fischkonservenfabrik: ein Holzfass voller Original Stralsunder Heringe.“ Wenn Rasmus selbst im Laden steht, erzählt er die Entstehungsgeschichte gern. Der frische, entgrätete Ostseehering, in einem sauren Aufguss eingelegt, war die Delikatesse seines Vorgängers. Der preußische Staatsmann übermittelte ein höfliches Dankschreiben, woraufhin jener mit einem zweiten Fass nachsetzte. Im Begleitschreiben trug er ihm an, Namenspatron der Fischspezialität zu werden. Bismarck willigte ein, und Wiechmann machte mit dem kleinen Fisch großes Geld. Das für verschollen geglaubte Rezept der Original Stralsunder Bismarck-Heringe konnte Rasmus bei den Urenkeln Wiechmanns auftreiben. Heute tritt er in Wiechmanns Fussstapfen.

Hiddensee: Eine Insel für Individualisten

Hiddensee (5) ist am besten mit der Fähre von Stralsund oder Rügen aus zu erreichen. „Söten Länneken“ - süßes Ländchen - nennen die 1032 Hiddenseer liebevoll ihr winziges Eiland. Eines, das sich ungezähmte Natur und stille Reize bewahrt hat. Auf der Insel herrscht meditatives Klima. Hier werden Gedichte erdacht, Hymnen geschrieben, Grübeleien in den Wind geblasen. Kein Neuschwanstein, kein Louvre, nicht das singende Bayreuth können mithalten, wenn mein Blick vom Dornbuscher Steilufer den Horizont streift oder die Sonne hinter dem Schilf der Gellener Südspitze untergeht.

Hiddensee - Hafen

Auf dem Seepferdchen-ähnlich geformten Landstück von neunzehn Kilometern Länge, drei Kilometern Breite und dreizehn Kilometern Strand gibt es keine Autos, sondern Pferdekutschen, Fahrräder und vereinzelt Elektrocars, weder Kurpromenade noch Diskos. Die Häuser sind seit Generationen reetgedeckt, die Leute schnacken Platt. Ginsterbüsche und Bäume betupfen Hügel und Wiesen. Den Wind kann man auf ein Meter Entfernung hören. Hiddensee liegt mitten im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Stress und Hektik sind hier Fremdwörter.

Ob dies auf die Dauer so bleiben würde? Darüber war sich Ende des 19. Jahrhunderts schon Stammgast Gerhart Hauptmann nicht ganz sicher. „Psst, psst“, pflegte er zu sagen, „dass es nur ja kein Weltbad werde.“ Dichter und Denker wie Bertolt Brecht, Franz Kafka, Thomas Mann, Käthe Kollwitz, Georg Grosz, Carl Zuckmayer, Sigmund Freud, Asta Nielsen und Hans Fallada waren total verknallt in den zierlichen Sandstreifen neben der geräuschvollen Nachbarin Rügen, zu der Hiddensee verwaltungstechnisch gehört und die schon immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Hiddensee wurde zum Treff von Künstlern, Intellektuellen, Malern und Schauspielern, unter denen quasi Hidden-Mania ausbrach.

Am Strand von Kloster © Ole Jensen - Fotolia.com

Am Strand von Kloster © Ole Jensen - Fotolia.com

Vitte ist der eigentliche Inselhauptort. Doch Kloster ist der bedeutendere Platz und kulturelles Zentrum. Die Ursprünge liegen in der Zeit der Zisterzienser, denen die Insel einmal gehörte. Vom Kloster, das im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde, ist nur noch die Kapelle von 1332 vorhanden. Die meisten Besucher wollen ihr Tonnengewölbe mit dem Rosendekor und den hölzernen Taufengel bestaunen, andere pilgern zum Grab von Gerhard Hauptmann auf dem Friedhof. Der Hauptweg führt auch zur Gartenvilla „Seedorn“, die der Literatur-Nobelpreisträgers 1930 zu seinem Sommerdomizil machte. Nach seinem Tod wurde sie zur Gedenkstätte. Alles blieb so, wie der Dramatiker es hinterließ, selbst der Notizblock am Bett.

Usedom - Sanddorn

Sanddorn © Helmuth Weiss

Im Norden schließt sich das Dorf Grieben an, dessen alte Feldsteinmauern noch aus der Slawenzeit datieren. Gleich dahinter öffnet sich die Weite der Hochlandlandschaft zum Dornbusch, dem geologischen Inselkern. Auf dieser eiszeitlichen Endmoräne wachsen Heide, Sanddorn und Wildrosen und der Schluckwieksberg ist mit 72 Metern sozusagen der Mount Everest von Hiddensee.

Hiddensee - Leuchtturm

Im Sommer spucken die Fähren, die zwischen Stralsund, Schaprode und den Hiddenseer Häfen Kloster, Vitte und Neuendorf verkehren, um die 2000 Tagesgäste aus. Viele erkunden die Insel von Nord nach Süd mit dem Drahtesel und wundern sich, warum manche so viel Wind um sie machen. Wo hier doch eigentlich gar nichts los ist. Wenn sie den Strand, Kloster und den Leuchtturm am Dornbusch gesehen haben, ziehen sie wieder von dannen. Wenn abends die letzte Fähre abgelegt hat, ist die Insel wieder sie selbst. Darauf haben die, die die Stille lieben, nur gewartet.

 

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