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Münster skulptural

Kassel hat die documenta, Münster Skulptur Projekte – und das alle zehn Jahre. Dann ist die Stadt fest in Künstlerhänden, die Plätze, Straßen, Durchgänge und Gebäude mit ihrer Kunst bespielen. Anfänglich standen die Münsteraner diesem Vorhaben sehr skeptisch gegenüber. Moderne Kunst sorgte für Aufregung, so die drei riesigen Kugeln von Claes Oldenburg am Ufer des Aasees, den heute jeder auch nicht an Kunst Interessierte kennt – dank eines schwarzen Schwans, der sich in ein Tretboot in Schwanengestalt verliebt hatte und diesem nicht von der Seite wich.

Münster - Otto Freundlich Aufstieg
Otto Freundlich Aufstieg, 1929 (nahe Clemenskirche)

Bisher haben die Skulptur Projekte erst viermal stattgefunden und Münster als Kunststadt ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Kunst findet man hinter dem historischen Rathaus, am Domplatz, am Aasee, vor dem Schloss und im Schlossgarten, links und rechts der Promenade, aber auch jenseits der mittelalterlichen Kernstadt und des Ringes um die Stadt.

Schwingen im Wind

Nur Schritte vom Museum für Lackkunst – eine stattliche Villa mit Säulenvorbau – bewegen sich im Rhythmus des Windes drei bewegliche, silbrig glänzende Quadrate – eine Idee von Georg Rickey für die Engelenschanze. Hinter dem Rathaus, auf dem Platz des Westfälischen Friedens, nimmt niemand auf den riesigen Bänken Platz, die Eduardo Chillida hat aufstellen lassen. Lieber sitzen die jungen Münsterbesucher nach ihrem Rundgang durch den Friedensaal auf den Stufen, die zum versenkten Platzbereich hinter dem Rathaus führen.

Münster - Eduardo Chillida Toleranz durch Dialog
Eduardo Chillida Toleranz durch Dialog, 1993
(Platz des Westfälischen Friedens)

Schlendert man über den Prinzipalmarkt hinweg zum Domplatz, so sieht man am Übergang zwischen Martinsplatz und Domplatz ein Stadtmodell mit Blindenschrift. Kaum einer der Vorbeikommenden achtet auf ein Schild hoch oben an einer Backsteinwand. Auf einem schwarzen Blechschild steht 2012 16.45 Uhr. Es ist eines von neun Schildern, die an bestimmten Tagen ausgetauscht werden. Doch warum wählte der Künstler Mark Formanek das Jahr 2012? Was wird mit diesem Datum festgeschrieben? Ein Geburtstag, eine Verabredung, ein Jahrestag? Neugierig wird der Betrachter gewiss, Fragen werden nicht ausbleiben.

Nicht nur Kunst und Musik

Überquert man den Domplatz und steuert auf der gegenüberliegenden Seite einen schmalen Gebäudedurchbruch an, der das Straßenschild Spiegelkammer trägt, so steht man vor Richard Tuttles „Art and Music“: Auf eine Metallplatte sind ein Komma – manche denken beim Anblick des Elements auch an einen Bassschlüssel – und eine abgebrochene weiße Linie angebracht worden. Wohlklingende Musik ist jedoch nicht zu hören, Noten nicht zu sehen, doch Kunst, ja Kunst wird das wohl sein, Kunst, die ad absurdum führt.

Münster - Richard Tuttle Art and Music
Richard Tuttle Art and Music, 1987
(Durchgang Spiegelkammer)

Nein, über dem Eingang des Westfälischen Landesmuseums sind keine farbigen Quadrate zu sehen, für die Josef Albers („Hommage an ein Quadrat“) so bekannt ist, sondern die Umrisse von zwei in einander geschobenen Rechtecken. Noch ein weiterer Künstler hat den Baukörper des Westfälischen Landesmuseums mit Kunst verfremdet. Es ist Otto Piene, einer der Gründer der Gruppe ZERO. Ihm sind die silbrigen Kugeleinheiten an der Pferdegasse/Johannisstraße zu verdanken. Im Tageslicht spiegelt sich in ihnen die Sonne, werden Licht und Schatten auf die Fassade geworfen, nachts tauchen die Kugeln in kinetische Lichtfolgen.

Münster - Daniel Adams Bus Shelter IV
Daniel Adams Bus Shelter IV, 1987

Wer in der Johannisstraße auf seinen Bus wartet, wartet in einem Kunstwartehäuschen. Kunst und Funktionalität vereinte Dennis Adams 1987 zu seinem „Bus Shelter IV“. Dabei handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Bushäuschen, betrachtet man die verschachtelte Struktur und das Fehlen von gängiger Reklame. Statt der Reklame für Dessous und von Handyanbietern hat der Künstler eine Glasfront des Wartehäuschens mit Aufnahmen vom Klaus-Barbie-Prozess gefüllt. Mahnung und Fingerzeig auf Münsters eigene Geschichte während des III. Reiches?

Eine lachende Wiese und Steinschnitte

Münster - Ulrich Rückriem Dolomit, zugeschnitten, 1976
Ulrich Rückriem Dolomit, zugeschnitten, 1976 (Jesuitengang)

Zu Füßen der Petrikirche hat Ulrich Rückriem zugeschnittene Steine aufgestellt, die von der einen Seite wie eine fragmentierte Schanze und von der anderen Seite wie eine undurchdringliche Mauer wirken. Diese „keilförmigen Rohlinge“ säumen den Weg, auf dem angehende Juristen schnellen Fußes ins Juridicum eilen. Im Hof dieser Fakultät findet sich gleichfalls Kunst im öffentlichen Raum: „Die Wiese lacht oder das Gesicht in der Wand“ nannte Harald Klingelhöller seine Arbeit, die aus sorgsam beschnittenen Eiben besteht, einige kugelförmig verformt, die anderen zu Kegeln gestutzt. Vervollständigt wird die Arbeit durch eine Wand aus Spiegellamellen, in denen sich die Bäumchen, das satte Grün des Rasens und Gänseblümchen spiegeln.

Archiskulpturen hinter dem Schloss und am Aasee

Mit Siebenmeilenstiefeln geht es nun zum Schloss und Schlossgarten. Gleich mehrere Archiskulpturen schuf Per Kirkeby, nicht allein eine Bushaltestelle, sondern auch  Backsteinskulpturen, die vorgeben Kunst und Architektur zugleich zu sein. Neben einem Bodensegment steht ein turmförmiger Bau ohne Funktion.

Münster - Richard Artschwager Ohne Titel (Fahrradständermonument B)
Richard Artschwager Ohne Titel
(Fahrradständermonument B), 1987 (Torhaus Schloss)

Vor dem Schloss hat Richard Artschwager sein Fahrradmonument B aufgestellt, entstanden aus der Faszination der allgegenwärtigen Radler in der Stadt. Hinter dem Schloss und jenseits des Wassergrabens errichtete herman de vries sein Sanctuarium, dessen Backsteinfassade längst mit Graffiti übersät sind. Wie Kirkeby schuf de vries eine funktionslose Archiskulptur. Ist der Findling in der Nähe Kunst oder nur zufällig hier platziert? Beim Nähertreten liest man ein eingraviertes „Void“ auf dem Stein. Diese Inschrift scheint angesichts des Volumens des Steins unsinnig. Was hat denn Leere, Nichtigkeit und Befreiung – so die Übersetzung von void – mit dem massiven Stein zu tun? Provoziert hier nicht Kunst mit dem Absurden oder sollte der Stein innen hohl sein?

Wer sich nun zum Aasee wendet, wird hinter dem Gebäude der WestLB (Himmelreichallee) Abluftrohre entdecken, die allerdings keine Funktion haben. Friedrich Gänsel greift mit seinem Ensemble aus eng stehenden Rohren das Verhältnis von Kunst und Technik auf. Wer seinen Kunstspaziergang mit dem Rundgang um den Aasee abschließt, der wird auch in den Genuss von Heinz Macks „Wasser-Plastik“ und von Henry Moores „Wirbel“ kommen. Zu finden sind außerdem Arbeiten des Minimalisten Donald Judd, von Ilya Kabakov und Karl Ehlers. Zur Zeit sind insgesamt 50 Plastiken im öffentlichen Raum des Stadtgebietes zu sehen – es lohnt sich, sie zu entdecken.

Münster - Friedrich Gänsel Abluftplastik (Werk 1-3)
Friedrich Gänsel Abluftplastik (Werk 1-3), 1972-1975
(WestLB, Himmelreichallee, nördliches Aasee-Ufer)

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