Vorhang auf für ein Welterbe

Fachwerkpracht in Quedlinburg und Wernigerode

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Deutschland Quedlinburg Gasse

Quedlinburg ist ein Weltkulturerbe vom Feinsten: Mitten in Deutschland stehen hier mehr als sechshundert restaurierte Fachwerkhäuser aus mehreren Jahrhunderten. Sie machen die Stadt zu einem Mekka der Fachwerkarchitektur. In der Nachbarschaft lockt auch die Harzgemeine Wernigerode mit ihrer ganz eigenen Fachwerkbauweise.

Beim Bummel durch die Neustadt und die Altstadt von Quedlinburg erwartet uns Fachwerk in allen Variationen: Rautenkreuze im Obergeschoss und Pyramidenbalkenköpfe stehen beispielsweise für barockes Fachwerk, so wie im Steinweg 23, der ehemaligen Börse. Schräg gegenüber entdeckt man im Bürgerhaus Steinweg 68 einen so genannten doppelten Kreuzverbund. Nur Schritte entfernt erblickt man das Haus „Zum Steinern Gast“ mit einer steinernen Konsolfigur an der Fassade. Kaum eines der Häuser steht winkelgerecht, viele sind windschief geneigt.

Um die Ecke beginnt die „Hölle“

Im Hinterhof des HausesSteinweg 16 ist noch Kleingewerbe zuhause: Draht und Eisenwaren werden vertrieben. An manchen Fassaden in der Nachbarschaft blättert die Farbe von den Fassaden, ist das Fachwerk mit Latten vernagelt, stehen vereinzelt Ruinen in der Straßenflucht. Doch neben dem sichtbaren Verfall glänzen farbenfrohe Fachwerkhäuser, deren Verfachung in kitschigem Rosa, in Himmelblau und in Lindgrün getüncht ist.

Rund um den Mathildenbrunnen erheben sich schmale Häuser mit steil aufragenden Dächern. Auf einigen hocken zahlreiche Dachgauben. Beim weiteren Stadtbummel begegnen wir dem in Quedlinburg geborenen Vater des Schul-Turnens, Johann Christoph Friedrich GutsMuths. Ihm hat man an der Straße Pölle – dort steht auch sein Geburtshaus – ein Denkmal gesetzt. Gleich um die Ecke beginnt die „Hölle“, so der Name der Straße, die von weißem, himmelblauem und gelbem Fachwerk flankiert wird. Prächtiges Schnitzwerk in Ochsenblutrot entdeckt man am „Alten Klopstock“ einen im sechzehnten Jahrhundert errichteten Fachwerkbau.

Deutschland Quedlinburg Markt

Marktplatz in der Neustadt

Durch den Schuhhof mit seinen geduckten „Buden“ – hier arbeiteten einst die Schuhflicker der Stadt – gelangt man zum Markt und zum Marktkirchhof, in dessen Mitte sich die spätgotische Marktkirche erhebt. Schmucke Häuschen umgeben den Sakralbau, darunter auch die sieben Fachwerkhäuschen, in deren Untergeschoss das Café Zum Roland untergebracht ist.

Deutschland Quedlinburg Schloss

Das Rathaus und das spätbarocke Haus Grünhagen sind der architektonischer Blickfang am Marktplatz. Lenkt man von dort aus seine Schritte in die Markstraße, so kann man am ehemaligen Haus der Gewandschneider walzenförmige Balkenköpfe, Schiffskehlen, Taustäbe und Fächerrosetten entdecken – typische Elemente des Quedlinburger Fachwerkstils. Auf dem Weg hinauf zum Schlossberg geht’s dann durch die Wordgasse, in der sich in einem alten Ständerhaus – Pfeiler, Säule oder Ständer stützen das Haus von der Schwelle bis zum Dach – das sehenswerte Museum für Glasmalerei und Kunsthandwerk befindet.

Die Pfalz des ersten deutschen Königs

Der Schlossberg (Foto oben) ist Sinnbild des mittelalterlichen feudalen Quedlinburg, die Altstadt hingegen verkörpert den Bürgerstolz der Kaufleute. Von diesem Stolz zeugt auch der steinerne Roland vor dem Rathaus. Doch das feudale Erbe gerät ins Rutschen: Der Sandsteinfelsen bröckelt und bricht. Die Versiegelung der Hohlräume, das Setzen von Ankern und das Legen einer Drainage sollen das Schlimmste verhindern: die Zerstörung des einmaligen Flächendenkmals Quedlinburg.

Deutschland Quedlinburg Heinrich

Auf dem Schlossberg befindet sich nicht nur das Schloss (ehemals die Pfalz Heinrichs I.), sondern auch die romanische, trutzig wirkende Stiftskirche St. Servatius, in der der erste deutsche König Heinrich I. und seine Gattin Mathilde (Foto rechts als Brunnenfigur) die letzte Ruhe fanden. Die Lyonel Feininger-Galerie und das Klopstock-Haus sowie eine Reihe prächtiger Fachwerkhäuser, darunter das Giseke-Haus mit ornamentalem Barockschmuck, vervollständigen das Ensemble am Schlossberg.

Zu empfehlen ist der Besuch des Gewölbekellers im Schloss, in dem eine Dauerausstellung den Spuren der Ottonen nachgeht. Dabei befasst sich die Ausstellung auch mit der Instrumentalisierung Heinrichs I. durch die Nazis. Mit wenigen Exponaten, vor allem in Filmsequenzen und Textpassagen wird dies recht deutlich gemacht: Heinrich I. mutierte 1936 zum Ahnherren des Dritten Reiches, die Stiftskirche zur „Weihestätte der SS“. Nach dem Umbau des gotischen Chors zu einer pseudoromanischen Apsis mit riesigen Reichsadler zog eine SS-Ehrenwache in den einstigen Sakralbau ein.

Fachwerk pur in Wernigerode

Zahlreich sind auch die schmucken Fachwerkhäuser rund um den Marktplatz von Wernigerode, in dessen Mitte der Wohltäterbrunnen plätschert. Am Marktplatz finden wir auch das Rathaus mit seinen charakteristischen Erkertürmchen.

Deutschland Wernigerode Fassade

Typische Fachwerkfassade

Wer einen genauen Blick auf die Fassade wirft, wird dort allerlei Figuren finden, die unter anderem die Zünfte der Stadt repräsentieren, und vom Obergeschoss schauen grimmige und lustige Gesichter herab. An das Rathaus angeschlossenen ist die Ratswaage, in deren Mauersockel eine Seilrolle eingelassen ist – untrügliches Zeichen für die Funktion dieses im fünfzehnten Jahrhundert errichteten Bürgerhauses.

Deutschland Wernigerode Marktplatz

Gleichfalls am Marktplatz (Foto oben) steht das Gothische Haus, ein gelungenes Beispiel für Rekonstruktion, Denkmalpflege und neue Nutzung. Unterdessen ist in die alten Gemäuer ein Hotel eröffnet worden, das sich auch auf Wellness und Fitness versteht. Nach dem großen Brand von 1528 diente das Gebäude zeitweilig als Rathaus. Wie einer Gedenktafel zu entnehmen ist, fand Philipp Melanchton nebst anderen Anhängern der Reformation nach der Schlacht von Mühlberg hier Unterschlupf. Wer sich ins Innere des Hauses begibt, wird Fachwerk pur entdecken: Balkenköpfe in Rollenform und Dreiecksplatten mit Fächerrosetten.

Musisches und literarisches Wernigerode

Pittoreske Gassen wie Klint – zwischen dem neunten und elften Jahrhundert auf sumpfigem Grund entstanden – und der Oberpfarrkirchhof sind von Fachwerkhäusern gesäumt: Im Alten Amtshaus ist heute das Harzmuseum untergebracht, das sich vor allem mit der Geologie des Gebirges beschäftigt. Der Alte Nonnenhof, dessen Untergeschoss aus Stein und dessen Obergeschoss aus Fachwerk besteht, beherbergt längst keine frommen Frauen mehr, sondern das Restaurant „Zum Landmann“. Wer vor dem Oberkirchhof 7 verweilt, wird ab und an wohlklingende Töne vernehmen, kein Wunder: Hier befindet sich das Landesmusikgymnasium. Das mit Noten verzierte Geländer am Rand des Platzes vor dem einstigen Lyzeum und ein Klangstein sind weitere Fingerzeige auf das musische Wernigerode.

Deutschland Wernigerode Fachwerkfassade

Fachwerk am Oberkirchhof

Unweit von hier befindet sich ein schmaler Durchgang zwischen einigen Fachwerkbauten: die Rosen-Rosmarin-Gasse, die auch Demutsgasse genannt wird. Theodor Fontane dürfte diesen schmalen Durchbruch sicherlich bei seinen Gängen durch die Stadt benutzt haben, als er 1879 in Wernigerode an “Grete Minde“ schrieb.

Am Rande der Kirche St. Sylvestri, eines neogotischen Baus aus dem neunzehnten Jahrhundert, steht ein Schmuckstück aus der Renaissance: das Haus Gadenstedt. Übrigens: Wer ein lauschiges Fleckchen sucht, sollte den Innenhof der Marktstraße 1 besuchen. Hier residieren allerlei Künstler und der Kunst-Kulturverein der Stadt. Gelegentlich finden vor zumeist jungem Publikum auch Jazzkonzerte statt. Blickfang im Hof ist der so genannte Goethe-Wein, ein mächtiger, sich am Mauerwerk entlang rankender Weinstock, an dem sich Johann Wolfgang von Goethe nach einer seiner Zechtouren erleichtert haben soll.

Deutschland Wernigerode Schloss

Schloss Stolberg

Hoch über der Stadt thront das Schloss der Grafen zu Stolberg, das im Kern auf das zwölfte Jahrhundert zurückgeht. Otto zu Stolberg-Wernigerode war es, der in seiner Zeit als Vizekanzler des Deutschen Reiches den historistischen Umbau veranlasste. Dass er die Stolbergsche Sozialgesetzgebung an seinem ausladenden Schreibtisch im Schreibzimmer des Schlosses formuliert hat, ist verbürgt. Wer einen „Karneval der Stile“ mag, dem sei ein Besuch des Schlosses empfohlen: Hier sieht man einen vorkragenden Renaissanceaufbau, dort einen barocken Palas; Erker und Fenster sind im gotischen Stil gehalten, Szenen aus dem Familienleben schmücken in Kerbschnitzerei Neo-Renaissancefachwerk. Und auch das Innere frönt dem Stilmischmasch. Ein reizvoller Kontrast zur ansonsten durchgängigen Fachwerkbauweise.

 

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