Urlaub an der Ostsee

Rügen, Greifswald, Usedom

Text: Beate Schümann
Fotos: Beate Schümann u.a.

Mit jedem Meter richtet sich vor mir der monströse, blau schimmernde Pylon mit den harfenförmig gespannten Stahlseilen der neuen Rügenbrücke auf. Seit sie ihren eleganten Bogen über den Strelasund schlägt, fließt der Verkehr durch das einstige Nadelöhr besser. Auf der B96, dem Zubringer zu den Ostseebädern Binz, Sellin und Sassnitz, geht es trotzdem stockend weiter. Aber Fans sind ja geduldig. Rügens Beliebtheit bringt jährlich rund 1,2 Millionen Gäste auf die Insel. Ich bin auch darunter.

Rügen - Seebrücke in Sellin

Seebrücke in Sellin © Stephan Eigendorf

Rechts biegt die Deutsche Alleenstraße ab. Verlockend, aber erst fahre ich in Richtung Bergen (1), die Inselhauptstadt. Unterwegs auf Deutschlands größter Insel gleiten Rapsfelder, Kartoffeläcker und Pferdeweiden an mir vorbei. Die Dörfer heißen Poppelvitz, Kasselvitz, Natzevitz, Stönkvitz und Dümsevitz; das -vitz am Ende ist original Rügen. „In Bergen selbst ist nichts merkwürdiges“, schrieb einmal der Philosoph Wilhelm von Humboldt. Er hat die Marienkirche nicht besucht! In Rügens ältestem Bauwerk verweben sich Romanik, Gotik und Barock zauberhaft. Am westlichen Eingang des Christenhauses finde ich die zwergenhafte, durch die Jahrhunderte verwaschene Steinfigur, die man lange für den Slawengott Swantevit hielt. Nicht merkwürdig? Erst seit kurzem identifizieren Wissenschaftler den Mann mit Bart und Mütze als den bekehrten Slawenfürsten Jaromar I.

Rügen  - Steinfigur in Bergen

Einem weiteren Fürsten kommt man südlich von Bergen auf die Spur. Wenn sich ein Ort zu recht als „weiße Stadt“ loben darf, ist es wohl Putbus (2). Wie mit Kreide gepudert, zeigt sich die Residenzstadt von Fürst Malte I. (1783-1854), der sie planmäßig und im großen Stil klassizistisch anlegte. Der kunstsinnige Regent leistete sich zwei große Plätze, die die zahlreichen Palais der Hofschranzen säumen, ein Theater, ein Pädagogium, eine Orangerie und ein Kurhaus – Stein gewordene Fürst-Malte-Zeit. Im 75 Hektar großen Schlosspark ist der Grundriss des um 1960 gesprengten Schlosses durch Markierungen veranschaulicht. Irgendwie scheint die Zeit in Putbus stehen geblieben zu sein. Das mag am mächtigen Denkmalschutz liegen, der das einheitliche Weiß an allen Fassaden durchsetzte und Werbung verbannte. Wie früher dürfen an der „Sparkasse“ oder dem „Kaufhaus“ nur Goldlettern in Timesschrift glänzen.

Rügen - Strand in Göhren

Strand in Göhren © Stephan Eigendorf

Die meisten kommen wegen des Strandes. Auf Rügen kann er lang sein wie von Göhren bis Alt-Mukran; er kann breit sein wie bei Binz und Baabe, schroff und felsig wie bei Kap Arkona oder strandlos brackig wie bei Ummanz. Andere kommen wegen der Natur, der Vorpommerschen Boddenlandschaft, dem Buchenwald im Mönchsgut und dem Nationalpark Jasmund. Über die Deutsche Alleenstraße mache ich einen Abstecher nach Gingst (3). Für die Größe des 600-Seelenortes hat das einstige Handwerkerstädtchen eine mehr als riesige Kirche. „Im Mittelalter war Gingst der Schnittpunkt einer wichtigen Handelsroute, wo man Markt hielt, Kutschen reparierte und Pferde wechselte“, erklärt Olaf Müsebeck im Café „Historische Handwerkerstuben“, der Einkehrer mit Selbstgebackenem und heißer Schokolade empfängt. Der Philosoph und Lebenskünstler empfiehlt Mohnkuchen mit Cranberries und Birne - köstlich. Müsebeck, der als Museumsdirektor lange Herr über die benachbarten Reetdachhäuser war, erzählt gern vom Leben der Weber, Schneider und Schuhmacher. Im Sommer organisiert er Lesungen, Ausstellungen und Konzerte.

Am weitesten in die Vergangenheit Mecklenburg-Vorpommerns reist man auf Rügen. 70 Millionen Jahre zurück - erdgeschichtlich gesehen. So alt sind ungefähr die Kreideberge, auf denen Rügen heute steht. Das erfahre ich im Kreidemuseum von Gummanz (4), wo ich mir den still gelegten Kreidebruch, die Fossilien und die Kopie eines Mosasauriers aus der Kreidezeit anschaue. Auf dem Naturlehrpfad kann man den Abbau des „weißen Goldes“ genau nachvollziehen. Von einst 28 Brüchen wird Kreide heute nur noch bei Sassnitz abgebaut.

Der Nationalpark Jasmund (5) ist nicht mehr weit. Er umrahmt Rügens spektakulärste Attraktion, die Kreidefelsenküste. Organisation tut Not, wenn Hunderttausende herbei strömen. Deshalb bleibt der Wagen auf dem großen Parkplatz, während ich gut zwei Stunden an den weißen Schönheiten entlang wandere, „Königsstuhl“, „Stubbenkammer“ und „Wissower Klinken“. Caspar David Friedrich verlieh ihm mit seinem 1818 gemalten Bild ewige Berühmtheit. Als ich Rügens Heiligtum erreiche, kann ich ihn erst kaum erkennen. Die Erosion hat den Friedrich-Felsen zum Kümmerling gestutzt. Seit der Entdeckung der Heilkraft der Kreide, erlebt die Insel jedoch gerade eine „dritte Kreidezeit“. Die Kreide macht nämlich nicht nur Stimmen märchenhaft zart, sondern auch die Haut.

Greifswald

Greifswald

Nach Greifswald (6), der Geburtsstadt von Caspar David Friedrich, sind es gut 35 Kilometer. Am Markt bestaune ich das Ensemble aus Giebelhäusern, Rathaus und der gewaltigen Backsteinkirche St. Nikolai. Gleich um die Ecke besuche ich die originale Seifensiederei von Caspars Vater und das Pommersche Landesmuseum, wo ich mir das Basiswissen für diese geographische Ecke abhole. Einst brachten Hafen, Handel und Salzquellen der Hansestadt Wohlstand.

Greifswald - historische Klappbrücke

Heute füllen die 1456 gegründete, europaweit renommierte Universität und der Tourismus die Stadtkassen. Die vom berühmten Stadtsohn in diversen Varianten gemalte Klosterruine Eldena läuft dem bildhübschen Markt und auch dem Wiecker Yachthafen mit der historischen Klappbrücke fast den Rang ab. Der Romantiker hat die unter Eichen mystisch kauernden Backsteinreste von Kreuzgang, Westflügel und Hochaltar des Zisterzienserklosters zur berühmtesten Ruine Nordeuropas gemacht. Seit 30 Jahren ist sie Schauplatz der „Eldenaer Jazz-Evenings“, die internationale Stars auf die Greifswalder Bühne ziehen.

Greifswals - Ruine Zisterzienserkloster

Auf die zweitgrößte Insel Deutschlands: Usedom

Nach Rügen, der größten, ist Usedom die zweitgrößte Insel Deutschlands. Ein Blick auf die Karte und man sieht, dass ihre zerklüfteten Küsten mit Buchten, Wieks, Flüsschen und Seen vor Jahrmillionen geschaffen wurden. Genau das liebt Jane Bothe, die Skipper auf der „Weiße Düne“ ist und den historischen Topsegelschoner auf den Törns durch das Usedomer Binnengewässer steuert. „Früher hat der Zweimaster Holz und Kartoffeln transportiert“, sagt der braungebrannte Kapitän, an deren langen blonden Haaren der Fahrtwind zupft. „Heute nehmen wir nur Gäste an Bord.“ Jane steht konzentriert auf der Brücke, dreht am Steuerrad und beobachtet die Segel. Das holländische Plattbodenschiff gleitet souverän über das Achterwasser und den Peenestrom. Jane beantwortet unterdessen alle Fragen zu den Kaiserbädern in Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin, dem guten Verhältnis zum nahen Polen und der gruseligen Geschichte von Peenemünde, jenem Ort im Nordwesten Usedoms, wo Wernher von Braun ab 1936 für die Nazis an der todbringenden Entwicklung ferngesteuerter Raketen arbeitete, zusammen mit 15.000 Wissenschaftlern, Militärs, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen. „Hier haben wir vier Meter Tiefe“, unterbricht Jane, „gleich nur noch zwei.“ Für die schlickige Boddenlandschaft ist der flache Traditionssegler ideal.

Usedom - Seebrücke von Heringsdorf

Seebrücke von Heringsdorf © Helmuth Weiss

Usedoms feiner Sandstrand erstreckt sich auf üppigen 42 Kilometern. Das gefiel den betuchten Berlinern immer schon, weshalb heute so viel Villen-Charme und Seebrücken-Nostalgie aus der Kaiserzeit herrscht. Heringsdorf (7) war das vornehmste aller Ostseebäder, denn hier badete die kaiserliche Familie im Sommer. Sehen und gesehen werden, war damals wie heute angesagt. So fragte einmal ein britischer Designer: „Where the hell ist Heringsdorf?“ Ein neues Modeevent sorgte 1999 für Aufsehen in der Szene: die gründerzeitliche Seebrücke war zum Catwalk umfunktioniert worden. Seither laufen vor der schicken Kulisse der Bäderarchitektur schicke Models im Seewind und in extravaganten Kleidern über die Holzbohlen. Dreimal im Jahr zeigen junge Designer aus dem Ostseeraum ihre kreativen, witzigen und mutigen Kollektionen auf der „Bridge of Fashion“.

Usedom - Strand von Heringsdorf

Strand von Heringsdorf © Helmuth Weiss

Am anderen Ende der langen Usedomer Sandbank, im Ostseebad Zinnovitz (8), suche ich nach einer neuen Ostsee-Perspektive. „Luken dicht“, ruft der Kapitän. Die Tauchgondel senkt sich, die Unterwasserreise beginnt. Vor den Panoramafenstern blubbert es, die Duckdalben der Seebrücke, an der die Stahlkapsel verankert ist, und der Horizont verschwinden zusehends. „Wir haben zwei Schwimmwesten an Bord, eine für mich und eine für meinen Matrosen.“ Der Kapitän entpuppt sich als Komiker, alle lachen. In der ulkigen Tauchkapsel kommen mir der Film „20.000 Meilen unter dem Meer“ nach dem Jules-Verne-Roman in den Sinn und die Abenteuer des Meeresforschers Jacques Cousteaus. Doch der ging 90 Meter tief, während die Zinnovitzer Tauchgondel schon nach 3,5 Metern fast am Meeresboden schurrt, was mir durchaus angenehm ist. Denn plötzlich sind Gluckergeräusche zu hören. „Ein Leck?“ fragt einer. „Wer steigt zuerst aus?“ fragt der Käpt’n zurück. Außer Plankton und Seegras ist nicht viel zu sehen. Der Boden ist zu aufgewühlt. Nach sturmfreien Tagen könne man meterweit sehen, beteuert der Gondelchef. Die witzige Show informiert aber auch über Meeresflora und –fauna, über die Milliarden von Einzellern und dem Salzgehalt der Ostsee, der bei nur 8-12 Gramm pro Liter liegt. „Oh eine Garnele“, sagt ein junger Typ. Ob sie abgerichtet sei, will er wissen. Jetzt lacht der Käpt’n. Man könne sogar Dorsche, Ohren- und Rippenquallen und Kegelrobben sehen. Die bleiben für einen späteren Tauchgang.

Usedom - Historisch Bäderarchitektur in Zinnovitz

Historische Bäderarchitektur in Zinnovitz © Helmuth Weiss

Doch Usedom besitzt auch idyllische Dörfer, stille Seen und Wälder, Erlenbrüche und Hochmoore. Ich radele durch die abwechslungsreiche Landschaft, über Alleenstraßen, am Schmollensee entlang, erklimme den 58 Meter hohen Kückelsberg und erreiche das Dorf Benz (9).

Rügen - Die Lindenallee von Krummin

Die Lindenallee von Krummin © Helmuth Weiss

Die Reetdachhäuser und die Holländermühle haben schon viele fasziniert, auch den deutsch-amerikanischen Kunstmaler Lyonel Feininger. Zwischen 1908 und 1918 machte er bei unzähligen Ausflügen Zeichnungen und Skizzen. Auf der Feininger Route hefte ich mich an seine Spuren, kurve zu den Originalschauplätzen, wo er malte, beobachtete und lebte. Bronzeplatten kennzeichnen sie und weisen auf Feininger-Motive hin, etwa die berühmte Benzer Kirche, die der Maler in zig Varianten und Techniken malte. Feininger selbst war ein passionierter Radfahrer und so ist die Route am authentischten, wenn man radelt, vielleicht auf einem „Cleveland“, wie Feininger es Anfang des 20. Jahrhundert tat.

Usedom - Die Holländerwindmühle bei  Benz

Die Holländerwindmühle bei Benz © Helmuth Weiss

 

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