REIHE UNTERWEGS

Food-Design muss sein

Es schmeckt nach mehr als nur nach Meer in Wales

Text und Fotos: Winfried Dulisch

Er suchte dort eigentlich nur die Bestätigung für seine Vorurteile gegenüber der britischen Küche. Stattdessen fand unser Autor Winfried Dulisch auf der Isle of Gangsley und an der nordwalisischen Küste zahlreiche Leckerbissen, für die sich eine Reise nach Wales lohnt.

Wales - Strand

Im gesamten römischen Imperium war diese Kulturpflanze verbreitet. Vom Atlantik bis zur Donau-Mündung – und im Mittelmeer-Raum sowieso – ernteten und kelterten die Römer ihre Weintrauben und prägten damit auch die Genuss-Gewohnheiten von uns Nachgeborenen. Nur die Provinz Britannica eignete sich nicht für den Anbau der empfindlichen Beeren. Deshalb nutzten die Schotten und Engländer ihr Getreide als Rohmaterial für die Produktion von Weingeist-haltigen Getränken.

Die im Westen der britischen Insel ansässigen Waliser haben sich keinen Namen als Schnapsbrenner oder Bierbrauer erarbeiten können. Eine Kultmarke wie Guinness oder prominente Whisky-Labels sind in Wales nicht zu finden. Und das ist gut so. Während kreative Genussmittel-Designer sich anderswo als Edelschnaps-Produzenten oder Weinbauern verwirklichen, werden in Wales solche Köstlichkeiten hergestellt wie die Karamell-Bonbons von Virginia Teague.

Ihr Vanilla Fudge lässt sich nur mit den Worten eines völlig enthusiasmierten Weinliebhabers beschreiben. Denn diese Zucker-Sahne-Komposition überzeugt durch ein ausgewogen harmonisches Zusammenspiel von Säure und Süße. Bei allem Körperreichtum dominieren hier die milden Anteile gegenüber der Adstringenz. Das Bukett erreicht seinen Höhepunkt in einem überaus nachhaltigen Abgang, der den Genießer eindringlich ermahnt: Sag nie wieder „Karamell-Bonbon“ zu einem dermaßen sorgfältig ausgebauten Vanila Fudge.

Geräuchertes Meersalz

Auch sauer macht lustig. Die Anglesey Sea Salt Company liefert in alle Welt ihre runden Boxen mit dem Label „Halen Mon“ - in der walisischen Sprache die Bezeichnung für Meersalz. Die überaus milden Salt-Flakes werden in mehreren Geschmacksrichtungen angeboten. Alison Lea-Wilson, Produkt-Entwicklerin für Halen Mon, kann für jede ihrer Kreationen einen Verwendungszweck nennen: „Unser geräuchertes Meersalz harmoniert bestens mit verschiedenen Eis-Variationen.“

Wales - Meersalz

Zum Würzen von exotischen Fisch- und Fleisch-Gerichten und Schokolade-Kreationen empfiehlt die Food-Designerin ein Meersalz, das mit Tahiti-Vanille angereichert wurde. Und für einen Wodka mit Tomatensaft – besser bekannt als Bloody Mary – gibt Alison Lea-Wilson den Tipp: „Meersalz mit Sellerie-Geschmack. Es eignet sich auch sehr gut für eine Virgin Mary – also Tomatensaft ohne Wodka.“

Die Grundlage für all diese würzenden Beigaben ist natürliches Meersalz, das aus frischem Atlantik-Wasser gewonnen wird auf der Isle of Anglesey. Für die Verdunstung setzt die Anglesey Sea Salt Company ein Verfahren ein, das der Natur nachempfundene ist. Diese Kombination aus traditionellen Methoden und Hightech-Produktion verleiht den Kristallen ihren unverwechselbaren Crisp und bewahrt den ursprünglichen Meersalz-Geschmack.

Wales - Menai Suspension Bridge

Die Menai Suspension Bridge verbindet das Festland mit der Insel Anglesey

Das walisische Meersalz wird ohne chemische Zusätze aus frischem Atlantik-Wasser gewonnen. Die Produktionsstätten für Halen Mon stehen auf der Isle of Anglesey. Diese Insel ist der nördlichste Punkt von Wales und mit dem Festland verbunden durch zwei Brücken, die zu den technischen Meisterwerken des 19. Jahrhunderts gehören.

58 Buchstaben, die es in sich haben

Eine weitere verkehrstechnische Attraktion für Anglesey-Besucher ist das Dörfchen Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch. Weltruhm erlangte die dortige Bahnstation nicht wegen architektonischer Qualitäten, sondern weil ein findiger Tourismus-Manager dafür zu Zeiten der Queen Victoria den längsten Ortsnamen Europas erfand. Die Übersetzung für diese 58 Buchstaben lautet: „Marienkirche in einer Mulde weißer Haseln in der Nähe eines schnellen Wirbels und in der Gegend der Thysiliokirche, die bei einer roten Höhle liegt“.

Wales - Bahnhofsgebäude

Der Bahnhof in Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch

Englische Touristen kennen das Örtchen im Süden der Isle of Anglesey nur als „Gogogoch“. Nach Gogogoch – und vor allem in dessen weitaus beschaulichere Umgebung – fahren sie von Liverpool oder Manchester knapp zwei Autostunden, um am Weekend oder für einen Kurzurlaub an ruhigen Stränden zu wandern oder durch die sattgrünen Wiesen zu radeln. Und anschließend genießen sie gerne die typisch walisische Gastfreundschaft.

Wales - Weisen

Dem deutschen Besucher fällt in einem walisischen Gasthaus angenehm auf: Hier isst nicht nur das Auge mit – sondern auch die Ohren. In den meisten deutschen Speiselokalen wird dem Gast aus scheppernden Lautsprechern eine dröhnende Musik-Soße aufgetischt. In den ländlichen Gebieten von Wales gehört Hintergrund-Beschallung entweder überhaupt nicht oder nur wohldosiert zu den Beilagen. Für diese wohltuende Enthaltsamkeit könnte es drei Ursachen geben.

Erstens: Walisische Köche sparen lieber an den Kosten für die Musik-Berieselung als an den Speise-Zutaten. Zweitens: Die Gastronomie-Mitarbeiter erledigen gerne ihren Job und benötigen keine aufpeitschenden Beats als Antreiber. Drittens: Die Waliser lieben es, mit Gästen am Nachbartisch in angenehmer Lautstärke zu plaudern – zum Beispiel über das gute Steak von einem schwarzen Waliser Rind.

Wales - Gasthausschild

Gasthaus-Schild auf der Isle of Angleseye

Das Welsh Black Beef ist der eigentliche Gewinner des BSE-Skandals – falls ein Schlachtvieh sich überhaupt als Gewinner fühlen darf. Denn bei der Diskussion über gesundes Rindfleisch kann das schwarze Zotteltier aus Wales mit inneren Werten punkten: Sein Fleisch ist reich an jenen Fetten, die für eine gesunde Ernährung unbedingt notwendig sind.

Schwarze Rinder

Im Vergleich zu Rindern, die mit Getreide und Kraftfutter gemästet werden, produzieren die Gras- und Grünpflanzen-Fresser von den walisischen Weiden einen sechsmal höheren Anteil an Omega-3-Fettsäuren; sie werden vom menschlichen Körper nicht selbst hergestellt und können nur mit der Nahrung aufgenommen werden. Der Gourmet schätzt am Welsh Black-Rindfleisch weitaus mehr diese Eigenschaften: Feines Aroma, zarte Faser und ausgewogene Fett-Anteile – also ideale Voraussetzungen für ein Roastbeef à la Anglaise.

Wales - Rinder

Ein Garant für die zukünftige Qualität von Genuss- und Nahrungsmitteln aus Wales ist das Food Technology Centre (FTC) in Llangefni, einer Kleinstadt auf Anglesey. Dieses Institut für Lebensmittel-Technologie gehört zum Coleg Menai – einer Fachhochschule, an der auch Marketing- und Kunst-Studenten unterrichtet werden. Die FTC-Mitarbeiter haben zusammen mit walisischen Landwirten schon mehrere Leckerbissen kreiert - von der gesalzenen Butter über verschiedene Speiseis-Spezialitäten bis hin zu anspruchsvollen Fleischräucher-Methoden.

Besonders stolz sind die Food-Technologen aus Llangefni auf einen Blauschimmel-Käse, den sie gemeinsam mit einem regionalen Hersteller entwickelt hatten: Gorau Glas. „Gorau“ ist das walisische Wort für „am besten“, „Glas“ für „blau“. Inzwischen degradiert Gorau Glas im gesamten Vereinigten Königreich – und nicht nur in Wales – den Roquefort zum zweitbesten Blauschimmel-Produkt in den Käseregalen.

Wales - Käsetest

Ein Käse wird getestet im Food Technology Centre

Das FTC ist immer wieder auch für Laien geöffnet. Betriebe – nicht nur aus der Foodbranche – schicken ihre Mitarbeiter gerne zu einem Team-Building-Seminar (früher nannte man das Betriebsausflug) nach Llangefni. Dort können die Seminar-Teilnehmer morgens lernen, wie man Speise-Eis herstellt; am Nachmittag werden sie in die Geheimnisse der Wurst-Produktion eingeweiht. 

Sausage ist mehr als nur Wurst

Aber so richtig um die Wurst geht es einmal im Jahr, wenn das FTC den Sausage Day organisiert. – Sausage? Manch ein Kontinental-Europäer denkt bei Sausage an seine Enttäuschung, die er im Breakfast-Room eines britischen Hotels erlebte, als er sich zum ersten Mal solch eine Fleisch-Kreation auf den Teller legte – und später nie wieder. Denn die Vokabel „Sausage“ ist mit „Wurst“ zwar korrekt übersetzt, aber die Wurst-Geschmäcker wurden in Großbritannien anders geprägt als im übrigen Europa.

Diesbezüglich ist die FTC-Aktion „Sausage Day“ eine gesamteuropäisch vertrauensbildende Maßnahme. Denn hier werden die wahrhaft schmackhaftesten Wurst-Rezepte des Jahres ausgezeichnet. 2008 ging der erste Preis an den Schöpfer einer Schokolade-Chilli-Komposition. Auch von hier aus einen herzlichen Glückwunsch an den Gewinner.

Wales - Puddingkreationen

Juliet West mit ihren Pudding-Kreationen: Schoko und Ingwer

Die Firma Pudding Compartment im nordwalisischen Conwyn pflegt dagegen eher die gute alte Naschwerk-Tradition. Juliet West und ihr Mann Steve gründeten 2007 diesen Herstellungsbetrieb für Premium Puddings und Desserts. 1283 ließ der Normannen-König Edward I. in der gleichen Stadt jenes Conwyn Castle errichten, von wo aus die Engländer Jahrhunderte lang ihre Macht über Wales ausübten. Als Provokation für die walisischen Untertanen nennen die englischen Könige ihre zum Nachfolger Auserkorenen heute noch „Prince of Wales“.

Prince Charles präsentiert sich zunehmend als ein Freund der Waliser. Er hat für sich und seine Camilla sogar ein Haus in Wales gekauft. Die Produkte aus dem Pudding Compartment soll er ebenfalls bereits goutiert haben. Kein Wunder. Charles hat einen guten Ruf zu verlieren als Öko-Prinz. Und weil die Compartment Puddings aus Conwyn mit Eiern von freilaufenden Hühnern, walisischer Butter und Milch sowie mit Fairtrade-Gewürzen hergestellt werden, dürfen sie nicht nur dem Prince of Wales richtig gut schmecken.

Wales - Bäckerei neben dem Schloss in Conway

Bäckerei neben dem Schloss in Conway

 

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