Die Männer mit den silbernen Kugeln

Impressionen beim Boules-Spiel im Süden Frankreichs

Text und Fotos: Robert B. Fishman

Für Südfrankreich-Fans ist es der Inbegriff für Muße und Savoir Vivre: das Pétanque-Spiel. In Saint Paul de Vence an der Côte d’Azur dürfen die Touristen neuerdings mitspielen. Auf dem Boulesplatz unter den Platanen vor dem Café de la Place, wo schon Yves Montand und Jacques Prévert gespielt haben, gibt es für Touristen sogar Unterricht auf Deutsch.

Männer beim Boules vor dem Café de la Place

Der Mistral-Wind hat den Himmel leuchtendblau gewaschen, die blühenden Büsche, Bäume und Sträucher betupfen Berge und Gärten mit allen erdenklichen Farben. Abseits der großen Touristenströme locken die Städtchen im Hinterland der Côte d’Azur mit berühmten Museen wie der Miró- und Chagall-Dauerausstellung in der Fondation Maeght in Saint Paul oder mit der von Matisse gestalteten Kirche in Vence. In den Altstädten öffnen Maler und Bildhauer ihre Ateliers und freuen sich vor allem außerhalb der Saison über Besucher, die sich für ihre Werke interessieren.

Beliebt bei Einheimischen und Touristen ist das bewaldete Tal des Flüsschens Loup. Von La Colle sur Loup zweigt die Straße nach Grasse ab und folgt dann dem Loup fünfzehn Kilometer weit in einem mit Pinien und Eichen bewaldeten Tal in die Berge. Am Ende der Strecke liegt Tourettes sur Loup, eines der im Mittelalter aus Bruchsteinen angelegten Wehrdörfer. Nach dem Ausflug sitzt man dann in Vence oder St. Paul in den Straßencafés und schaut beim Café au Lait oder einem Vin Rouge den Boules-Spielern zu, die im Schatten mächtiger Platanen ihre Kugeln über die sandigen Plätze werfen.

Das Leben als Boules-Spiel

Wo immer sich eine freie, sandige Fläche in einem provenzalischen Städtchen findet, stehen die Spieler stundenlang zusammen und werfen mit silbernen Kugeln. Meist sind es ältere Männer, die beim Spiel heftig diskutieren, streiten, lachen und hinterher reichlich Pastis trinken. Von allen Seiten sausen die kiloschweren silbernen Stahlkugeln vorbei.

Boules-Spieler beim Diskutieren

Kaum hat der Regen am Sonntag Nachmittag aufgehört, drängen die Einheimischen auf den Boules-Platz - meist Männer ab 45, Bauarbeiter, Töpfer, Fernfahrer, Arbeitslose. Sie wollen sehen und gesehen werden, vor allem aber zeigen, was sie können. „Das Boules-Spiel ist mein Leben“, schwärmt Gilles. Jeden der vielen Nachmittage, die ihm der Herrgott und das französische Arbeitsamt schenken, verbringt der 34jährige mit seinen Kumpels auf dem Platz. „Wir amüsieren uns, nehmen uns ein bisschen auf die Schippe, gehen in die Kneipe, spielen Karten, aber das Wichtigste passiert hier, wir spielen“.

Beim Kartenspiel

„Wir sind hier doch alle Freunde, egal ob einer schwarz, weiß oder grün ist“, verkündet Gilles. „Kein Problem“, bestätigen die anderen. Sogar die nordafrikanischen Bewohner des unbeliebten Sozialwohnungsviertels La Saine spielen mit. „Es ist die Stimmung, man lernt Leute von überall her kennen“, freut sich der Bauarbeiter, der sonst kaum aus seinem Städtchen herauskommt. „Wer gewinnt, wer verliert, egal, man geht zusammen einen Trinken und hat Spaß zusammen“. Das ist das ganze Geheimnis.

„ Füße zusammen!“

Die Regeln sind einfach: Zwei Mannschaften oder zwei Einzelpersonen spielen gegeneinander. Dabei versuchen sie, ihre Kugeln möglichst nahe an das Schweinchen, eine zwei Finger dicke Holzkugel, zu werfen und die dort liegenden Kugeln des Gegners wegzuschießen. Vor Beginn des ersten Durchgangs wird ausgelost, wer zuerst werfen darf. Ein Spieler dieser Mannschaft zeichnet mit der Hand einen Kreis in den Sand, aus dem er dann das Schweinchen sechs bis zehn Meter weit wirft. Anschließend kommen abwechselnd die silbernen Kugeln der beiden Mannschaften an die Reihe.

„Pétanque“ ist die sprachfaule provenzalische Abkürzung für pieds tanques, zu deutsch „Füße zusammen“. Entstanden ist das Spiel um 1910 in einem Dorf bei Marseille, wo ein Rheumakranker die Kugeln nicht wie bis dato üblich im Laufen werfen konnte und so einfach beim Werfen stehen blieb. Die gemütliche okzitanische Variante des Lyoner Boules-Spiel war geboren. Beim Werfen müssen deshalb beide Füße am Boden bleiben. Am Schluss gibt es einen Punkt für jede Kugel, die dem Ziel näher liegt als die bestplatzierte Kugel des Gegners.

Wer küsst Fanny's Hintern?

Wer keinen einzigen Punkt macht, muss Fannys Hintern küssen. Einst wetteten zwei angetrunkene Spieler: „Wenn du mich 13:0 schlägst, küsse ich Fannys Hintern“. Fanny war die dicke Bedienung in der Stammkneipe der beiden. Wettschulden sind Ehrenschulden, und so bekam Fanny ihren Kuss auf den Allerwertesten und die französische Wirtschaft einen neuen Geschäftszweig. In den meisten provenzalischen Kneipen, in denen die Pétanque-Spieler nach der Partie ihren Pastis trinken, hängt ein hölzernes Relief, das hinter einem kleinen Vorhang zwei halb nackte weibliche Pobacken zeigt. Wer punktlos verliert, zieht den Vorhang zur Seite und küsst.

Frank Filliaggi verkauft in Frankreichs einzigem Boules-Museum nicht nur Fannys aus Ton, Plastik oder Holz. Im Maison de la Pétanque gibt es außerdem Mützen, Wanduhren, Schlüsselanhänger mit Pétanque-Kugeln, Messbänder und sogar Taschenseilwinden mit Magneten. Damit kann man die rund ein Kilo schweren Spielkugeln aufheben, ohne sich zu bücken. In der ehemaligen Fabrik für Boules-Kugeln zeigt eine Ausstellung mit Original-Maschinen, Film- und Toninstallationen die Herstellung der Kugeln, erklärt Geschichte und Regeln des Spiels.

Boules-Museum - "une boule ... la foule"

Im Museum kann man auch Boules-Kugeln kaufen. Vorher sollte man allerdings die Hände in Filiaggis Spezialmaschine legen. Die zeigt zu jeder Handgröße die passende Kugelgröße und das passende Gewicht an. Gute Kugeln aus nicht rostfreiem Stahl bietet Filiaggi ab vierzig Euro an, rostfreie ab sechzig Euro. Wer schockbehandelte Kugeln aus besonders elastischem ATX Spezialstahl haben will, muss schon rund zweihundert Euro hinblättern. Die halten dann mindestens zwanzig Jahre lang, vielleicht sogar ein ganzes Leben. Für gelegentliche Frankreich-Besucher auf jeden Fall ausreichend.

Spiegelung im Boules-Museum

Reiseinformationen zu Pétanque

La Maison de la Pétanque, 1193, chemin de St. Bernard (von der Autobahnabfahrt Vallauris/Golfe Juan Richtung Vallauris durch das Industriegebiet St. Bernard nach ca. 3 km auf der rechten Seite), 06220 Vallauris, Tel. 04.93.641136, Fax 04.93.643841, geschlossen an Sonntagen, Feiertagen und im November

Pétanque-Kurse: Info und Reservierung, Office du Tourisme, 2, rue Grande, 06570 St. Paul de Vence, Tel. 04.93.328695, Fax 04.93.326027.

Infos im Internet:
www.boule.de zu Regeln und zur Geschichte
www.ffpjp.fr offizieller Französischer Pétanque Verband

 

Website des Autors: http://www.ecomedia-journalist.de

 

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