Ivittuut – Poesie des Verfalls in Grönland

Unterwegs zwischen Arsuk und Ivittuut

Text und Fotos: Uwe Lexow

„Verfall“ – Das Wort ist für uns gleichbedeutend mit Tod und Verderben und hat nichts Schönes an sich. Dass der Verfall auch eine fotografisch interessante, ja geradezu poetische Seite hat, zeigt ein Rundgang durch die verlassene Minenstadt Ivittuut in Grönland.

Grönland - Geweihe

Ivittuut (auch Ivigtut geschrieben) liegt in reizvoller Umgebung ca. 32 km landeinwärts am Arsukfjord. Das Örtchen gilt heute als unbewohnt. Durch die Strukturreform 2009 wurde Ivittuut dann Teil der neugegründeten Kommuneqarfik Sermersooq.

Grönland - Ivittuut - Blumen

Der Aufstieg des Örtchens Ivittuut in Westgrönland - übersetzt bedeutet das „der grasgrüne Ort“ - begann, als dort 1799 von Peder Christian Abildgaard Kryolith gefunden wurde. Er benannte das Mineral aus der Klasse der Halogenide aufgrund seines charakteristischen Aussehens als „Eisstein“. Das Vorkommen war auf der Welt geologisch einzigartig. Kommerziell abgebaut wurde Kryolith ab 1854. Zunächst wurde das Gestein u.a. zur Sodaherstellung benutzt, bis im Jahr 1880 eine Methode entwickelt wurde, bei der Kryolith als Katalysator in der Aluminiumherstellung Verwendung fand. Damit wurde der Kryolithabbau ein lukratives Geschäft bis zur Erschöpfung der Mine im Jahr 1962. Zwar öffnete die Mine nochmals im Jahr 1983, im Jahr 1987 wurde der Abbau dann endgültig eingestellt.

Grönland - Ivittuut - Kryolith

Man gelangt nach Ivittuut mit dem Schiff, das mit etwas Glück am Pier des dänischen Militärstützpunktes Groennedal ( grönländisch „Kangilinnguit“ ) festmachen darf. Die Siedlung hat heute etwa 175 Einwohner, davon gehören 150 zum Militärpersonal. Sie war bis Oktober 2012 der Stützpunkt des grönländischen Kommandos der dänischen Marine (Grønlands Kommando) und der Fischereiinspektion. Der Ort wurde 1943 von den Amerikanern angelegt und ging 1951 an Dänemark über. Im Oktober 2012 wurde das Oberkommando in Grönlands Hauptstadt Nuuk verlegt.

Von Kangilinnguit aus geht es über eine 6 Kilometer lange Schotterstrasse zum Minenstädchen. Diese Strasse ist die einzige Strasse Grönlands, die zwei bewohnte Ortschaften miteinander verbindet, und ist schon deshalb eine Besonderheit. Die Minenstadt war in zwei Teile aufgeteilt: Westlich vom Kryolithbruch lag die Arbeiterstadt, auch „Bettlerstadt“ genannt, von der kaum etwas erhalten ist. Südlich des Kryolithbruches wohnten die Beamten mit ihren Familien. Vom alten Glanz und wirtschaftlicher Blüte Ivittuuts ist allerdings nicht viel übrig geblieben.

Die hauptsächlich aus Holz gebauten Häuser verfallen, aber bei genauerem Hinsehen kann man sich dem Reiz des Verfalls nicht entziehen. Auf den ehemals rot und grün angestrichenen Holzschindeln der Dächer und Wandverkleidungen der ehemaligen Beamtenwohnungen blättert der Lack ab. Jede Schindel ist anders, ein Mosaik des Verfalls, aber für den Fotografen eine Fundgrube, insbesondere, wenn man mit dem Wetter Glück hat und die Farben in der Sonne leuchten. Die alten Gebäude sind frei zugänglich- in Deutschland aus Sicherheitsgründen undenkbar.

Grönland - Ivittuut - abblätternde Farbe

Aufgrund der Trockenheit und Lage des Ortes sind selbst die alten Rechnungen und Formulare, die zu Dutzenden auf dem Fußboden liegen, als hätte eine Bombe eingeschlagen, noch erhalten und gut zu lesen. Man bekommt beim Stöbern einen Eindruck über die Leistungen der einzelnen Arbeitskolonnen, bis hin zu den Kosten.

Noch immer stolz thront das Gebäude der Messe über dem Ort, das früher eine Küche und Bäckerei und einen prächtigen Speisesaal für die über hundert Mitarbeiter der Mine enthielt, und dessen Schornstein so aussieht, als würde er jeden Moment zusammenfallen. Vom Wohlstand zeugt auch der ehemalige Tennisplatz mit seinem Clubhaus , seiner Zeit der wohl teuerste der Welt.

Grönland - Ivittuut - verfallenes Holzhaus

Der alte Kryolithbruch liegt unter Hafenniveau. Während der aktiven Abbauperioden war stetiges Abpumpen des Wassers erforderlich. Die Fundorte lagen teilweise bis zu 90 Meter unter NN. Der Abbau erfolgte im Tagebau. Heute steht noch das alte Maschinenhaus.

Grönland - Ivittuut - altes Maschinenhaus

Die Grabsteine auf dem Friedhof von Ivittuut erzählen traurige, aber gleichwohl spannende Geschichten von Unglücken, Krankheiten oder dem Tod in der Mine. Schwarze Kreuze kennzeichnen Frauengräber, weiße die Männergräber. Ein Gedenkstein steht für die Seeleute, die auf den Frachtschiffen und beim Transport von Kryolith, das heute synthetisch hergestellt wird, ihr Leben ließen.

Grönland - Ivittuut - Friedhof

Und da ist das Grab der alten Marie. Sie war bis zu ihrem Tod 1912 Ivittuuts erstes „kivfakt“, Ivittuuts erstes grönländisches Dienstmädchen, von allen Leuten der Minenstadt hoch geliebt und respektiert, war sie es doch, die die Minenarbeiter lehrte, Vitamin C-reiche grönländische Kost und heimische Kräuter zu essen, um Skorbut zu verhindern.

Für Interessierte gibt es ein kleines Minenmuseum, das eine Dauerausstellung über Ivittuut und den Kryolithbruch zeigt. Das Haus wurde im 2. Weltkrieg von den Amerikanern gebaut, die als kriegführende Nation großes Interesse an Aluminium für Militärflugzeuge hatten.

Grönland - Ivittuut - Moschusochse

Auf unserem Weg zurück zum Schiff begegnen wir einer kleinen Herde Moschusochsen, die hier in freier Wildbahn leben. Den Versuch, die Tiere zu fotografieren, quittierten sie mit einer Phalanx ähnlichen Verteidigungsstellung und wütendem Schnauben. Auch in den Bergen oberhalb der Militärbasis sehen wir prächtige Moschusochsen, die zoologisch übrigens zur Gruppe der Ziegen zählen. Kein Zweifel, dass sie jetzt die Herrscher des Territoriums sind, mit denen man sich besser nicht anlegen sollte.

Grönland - Arsuk - Marineschiff

Wir verlassen Kangilinnguit und nehmen Kurs auf das Örtchen Arsuk. Unterwegs stossen wir auf ein dänisches Kriegsschiff der Thetisklasse. Die HVIDBJOERNEN eine alte Bezeichnung für „Eisbär ), F 360, gehört zu vier 1991 gebauten Schiffen der dänischen Marine, die sowohl Fischereikontrolle und Küstenschutz als auch SAR-Rettungsaufgaben wahrnehmen.

Grönland - Eisberg

Auch das Örtchen Arsuk hat schon bessere Tage gesehen: Arsuk bedeutet übersetzt „Platz zum Leben/ Platz zum Wohlfühlen“. Die Siedlung wurde 1805 gegründet und begründete Reichtum durch Fischfang Die Bewohner wurden oft als „Arabs of Greenland“ bezeichnet. Mit dem Verschwinden des Dorsches begann Niedergang des Ortes. Heute leben hier 100 Einwohner, die hoffen, dass der Dorsch zurückkommt. Neue Forschungen zeigen, dass sie recht haben könnten, und sich die Fischbestände erholen.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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