Nuuk

Ein Bummel durch Grönlands Hauptstadt

Text und Fotos: Uwe Lexow

„Bei Sonne wirst Du Nuuk lieben“ – An diese Worte des dänischen Kapitäns meines Kreuzfahrtschiffes werde ich mich wohl ewig erinnern. Ich bin froh, dass ich wieder festen Boden unter den Füssen habe. Vor Kap Farvel an Grönlands Südspitze hatte das Schiff gegen Windstärke 12 zu kämpfen, in dieser Passage selbst im Frühsommer nichts Ungewöhnliches. Dafür entschädigten die Eisberge entlang der Küste, die mit dem Ostgrönlandstrom hier herunter driften.

Grönland - Nuuk

Natürlich schüttete es aus Eimern, als ich den Boden der grönländischen Hauptstadt betrete, - neugierig und in gespannter Erwartung auf die grönländische Metropole. Schon der Weg vom Fähranleger im „Nuuk Atlantic Harbor“ ist eigentlich eine Katastrophe. Von einem Taxi weit und breit keine Spur, der Weg geht steinig bergan, und zu sehen gibt es eigentlich auch nichts. Es ist Mitte Juni, von nördlicher Lebensfreude nichts zu spüren, und ich habe den Eindruck, als ob alle der rd. 15.000 Einwohner der Stadt jetzt gegen 09.30 h morgens noch schlafen.

Nuuk liegt circa 250 Kilometer südlich des nördlichen Polarkreises am Eingang des Nuuk-Fjords. Der Golfstrom streift diesen Teil von Grönland und verhindert im Winter das Zufrieren des Meeres. Es herrscht ein subpolares Klima. Geologisch gehört das Gebiet um Grönlands Hauptstadt zu den ältesten der Erde. Auch als Siedlungsgebiet hat die Gegend eine lange Geschichte. Schon 2400 vor Christus kamen die ersten Jäger von Alaska aus nach Grönland. Weitere Einwanderungswellen folgten. Der Wikinger Erik der Rote kam während seiner Verbannung aus Island um das Jahr 985 n. Chr. nach Grönland und gründete u.a. die Vestribygt, die Westsiedlung. Schließlich besiedelten die Thule-Inuit das Gebiet um Nuuk am Fuße des Berg Sermitsiaq, von dem man einen guten Ausblick über die Stadt hat.

Grönland - Nuuk

Die moderne Geschichte der Stadt beginnt erst August 1721. In diesem Jahr kam der norwegische Missionar Hans Egede nach Grönland. Er errichtet auf der Insel Håbets (Insel der Hoffnung) nahe der heute verlassenen Siedlung Kangeq eine Missionsstation, die er 1728 nach Nuuk verlegt, um die hier wohnenden zwölf Inuitfamilien zu bekehren. Egede war zuvor evangelischer Pfarrer auf den Lofoten im Norden Norwegens, als er von Grönland, dem sagenhaften grünen Land im Norden hörte, das von den Wikingern besiedelt worden war, zu dem der Kontakt aber seit langem abgebrochen sei. Doch statt auf blondmähnige Wikinger mit Metschaum vor dem Mund zu stoßen, begegnen ihm zierliche Menschen, deren runde Wangen von blauschwarzem Haar umrahmt sind, und an deren Kultur und Sprache Egede erst lernen muss. So war die Passage im Vaterunser - "unser tägliches Brot gib uns heute" - für die Inuit völlig unverständlich, da sie kein Brot kannten. Egede fand eine Lösung: Im grönländischen Vaterunser hieß es dann "unseren täglichen Seehund gib uns heute".

Egede wird zum Nationalhelden Grönlands, und sein Vermächtnis begegnet uns in Nuuk auf Schritt und Tritt: Es gibt Gedenktafeln, ein Hotel mit dem Namen Hans Egede, und ein Denkmal am Kolonialhafen.

Grönland - Nuuk - Egede-Denkmal

Für die Rolle Nuuks als Ausbildungszentrum Grönlands spielte das 1847 gegründete Lehrerseminar eine wesentliche Rolle. Es ist heute im 1903 erbauten Gebäude eines ehemaligen Krankenhauses untergebracht, das als eines der schönsten Häuser Nuuks und Wahrzeichen der Stadt gilt. Es ist daher auch im Wappen der Stadt vertreten. Seit 1987 ist Nuuk Sitz der Universität Grönlands. Ca. 150 Studenten lernen hier in 4 Instituten: Verwaltung (Ökonomie, Jura, BWL, etc.) mit vier Lehrern und ca. 55 Studierenden , Kultur- und Sozialgeschichte mit vier Lehrern und ca. 45 Studierenden , Grönländische Philologie und Medienwissenschaft mit vier Lehrern und ca. 35 Studierenden und Theologie mit 2 Lehrern und 15 Studierenden. Es sind Zahlen, an die man sich als Westeuropäer gewöhnen muss. Überhaupt: Vergleiche zu westlichen Metropolen darf man nicht stellen, will man nicht enttäuscht sein.

Für europäische Verhältnisse ist Nuuk eine kleine Stadt, auch wenn sie alle Einrichtungen einer Hauptstadt aufweist, angefangen von einem großen Krankenhaus, dem Flugplatz, bis hin zur Fußgängerzone und einem Kulturzentrum. In einem Reiseführer heißt es „Die Stadt wirkt wie ein Versuchsfeld für Siedlungspolitik und – Entwicklung“. In der Tat bringt diese Formulierung es auf den Punkt. Das Stadtbild von Nuuk ist von der funktionellen Bauweise der 1960er- und 1970er-Jahre geprägt. Die großen Wohnblocks stehen in scharfem Kontrast zu den typischen bunten grönländischen Einfamilienhäusern kleinerer Orte und bedeuten auch einen radikalen Bruch mit der traditionellen, dörflichen Lebensweise der Inuit, der sich in großen sozialen Problemen wie Alkoholismus äußert.

Grönland - Nuuk

Im größten Wohnblock der Stadt, „Blok P“, wohnen über 500 Menschen, im dünn besiedelten Grönland ist dies mehr als ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Immer mehr Menschen ziehen aus den entlegenen und kleinen Siedlungen nach Nuuk, so dass dessen Einwohnerzahl stetig wächst. Für manchen Reisenden ist Nuuk nicht mehr Grönland, das sagen auch viele Grönländer. Zu schnell ist für viele der Übergang in wenigen Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg von einem Volk der Jäger zu einer modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts gegangen.

Nach 1 ½ Stunden hat der Regen aufgehört, der Dunst verzieht sich und die Stadt erwacht wider Erwarten zum Leben. Auf der Hauptstraße herrscht reger Autoverkehr, und es gibt sogar eine Verkehrsampel – die einzige Grönlands, junge Leute in Jeans, Sweat-Shirt und Handy bestimmen das Straßenbild. Als ich mich in Richtung des alten Kolonialhafens, dem historischen Zentrum der Stadt aufmache, scheint tatsächlich die Sonne.

Ausgangspunkt meines Rundganges durch die Stadt ist das Nationalmuseum (Kalaallit Nunaata Katersugaasivia). Es ist direkt an der Küste in einem Neubau untergebracht und vermittelt einen Einblick in Geschichte und Geologie Grönlands. Hier haben 4 der weltberühmten Mumien von Qilakitsoq ihre letzte Ruhe gefunden. Sie gehören zu den Hauptattraktionen des Museums. Am 9. Oktober 1972 entdeckten die zwei Jäger aus Uummannaq das Grab mehrerer Mumien. Sie deckten sie wieder zu und setzten umgehend die Behörden in Kenntnis. Trotzdem dauerte es bis zum Jahr 1978, ehe erste wissenschaftliche Untersuchungen der Grabstätte stattfanden und bald darauf die Mumien nach Kopenhagen zur Untersuchung überführt wurden.

1982 wurden die Mumien im Zuge der Rückführung grönländischer Kulturgüter wieder nach Grönland zurückgebracht. An ihrem jetzigen Aufbewahrungsort im Grönländischen Nationalmuseum (Kalaallit Nunaata Katersugaasivia) in Nuuk sind die vier besterhaltenen Mumien öffentlich ausgestellt und stellen eine der größten Touristenattraktionen Nuuks dar. Die Radiokohlenstoffdatierung der Mumien ergab als wahrscheinlichen Todeszeitpunkt das Jahr 1475 mit einer Fehlertoleranz von +/- 50 Jahren. Alle Mumien waren vollständig bekleidet, sodass nicht nur die Kleidung, sondern auch ihre Verwendung hinreichend untersucht werden konnte. Die Sitte, Menschen bekleidet zu begraben, leitet sich von der Vorstellung der Grönländer ab, die Verstorbenen bräuchten diese Kleidung auf ihrer Reise ins Land der Toten. Das Museum beherbergt noch eine Reihe anderer sehenswerter Schätze. Wer nichts für Mumien übrig hat, sollte sich unbedingt die liebevoll zusammengetragene Sammlung von Kinderspielzeug aus Tierknochen anschauen. Rund um das Nationalmuseum findet man noch einige andere Sehenswürdigkeiten.

Grönland - Nuuk

Zu erwähnen ist der Briefkasten des grönländischen Weihnachtsmanns, in den man seine Weihnachtswünsche einwerfen kann, und der große künstliche, etwas kitschig wirkende Weihnachtsbaum auf dem Platz vor dem Museum. Hier findet man auch die Touristeninformation mit Post und einem kleinen Souvenirshop, deren Mitarbeiter sich geradezu rührend um die Gäste kümmern. Informationsmaterial in deutscher Sprache ist allerdings so gut wie nicht zu bekommen. Geradezu herzig ist die Säule neben dem Briefkasten des Weihnachtsmanns: In diese Säule können die kleinen Grönländer ihre Schnuller einwerfen, - als Zeichen, dass sie dem Säuglingsalter entwachsen sind

In einem alten Gebäude gegenüber dem Nationalmuseum ist eine alte Böttcherwerkstatt aus der Walfängerzeit eingerichtet. Die Werkstatt stammt aus dem Jahr 1852, das Gebäude ist aber älter. An dieser Stelle stand früher die 1765 erbaute erste Kirche Nuuks. Von hier aus sind es nur ein paar Meter zum alten Kajak-Club. Hier findet man u.a. eine Ausstellung alter Boote. Kajakfahren erfährt bei der Jugend Grönlands wieder eine Renaissance.

Nur wenige hundert Meter vom Nationalmuseum entfernt liegt, ebenfalls direkt an der Küste, das alte Krankenhaus. Es wurde im Jahr 1903 errichtet und ist - wie in früheren Zeiten alle Krankenhäuser - farblich in Gelb gehalten. Noch bis in die 1950er Jahre wurden hier vor allem Tuberkulosekranke behandelt.

Grönland - Nuuk - ehemaliges Krankenhaus

In Sichtweite des Krankenhauses steht auf einer kleinen Anhöhe das Hans Egede Denkmal.Vom Hügel aus bietet sich ein guter Rundblick über die Stadt. Wunderschön leuchtet im Sonnenlicht üppig wachsender arktischer Mohn. Direkt zu Füßen des Denkmals befindet sich die Domkirche (Erlöserkirche). Während die Kirche selbst bereits 1849 geweiht wurde, kam der Turm erst 1884 hinzu. Das ansonsten schlichte Innere der Kirche zieren Ölgemälde von Carl Rasmussen und ein Marmorrelief, das Hans Egede und seine Frau Gertrud darstellt. Im roten Haus neben der Kirche befand sich früher das Lehrerseminar, heute wohnt dort der Bischof von Grönland.

Grönland - Nuuk - Kirche

Geht man von der Kirche in Richtung Stadtzentrum, sind es nur ein paar Schritte zum örtlichen Markt, dem "Braedet". Das mehrsprachige Willkommensschild ist allerdings fast grösser als das Warenangebot. Einheimische Fischer und Jäger bieten hier ihren Fang an. Neben Robbenfleisch kann man hier auch Moschusochsenfleisch, Rentierfleisch, Walfleisch und verschiede Fische wie Dorsch und Seewolf kaufen. Für zartbesaitete Gemüter ist der Anblick des Robbenfleisches allerdings nur bedingt geeignet. Viel Umsatz machen die Verkäufer nicht, obwohl das Wochenende vor der Tür steht. Die jungen Leute kaufen im Supermarkt, ein paar Straßenzüge weiter, dessen Werbung durch die Treppenhäuser der Blocks flattert. Moschusochse ist diese Woche im Sonderangebot. Abgepackt und tiefgefroren. Die Nachfolgegeneration der Robben- und Rentierjäger ist im 21. Jahrhundert angekommen.

Grönland - Nuuk - Fisch

Weiter Richtung „City“ erhebt sich vor dem Parlamentsgebäude die auffällige Skulptur „Kaassassuk“ . Sie stammt von dem grönländischen Künstler Simon Kristofferson und zeigt einen Waisenjungen, der als Kind schlecht behandelt wurde. Nachdem es ihm mit Hilfe des Geistes der Kraft, Pissaap inua, gelungen war, groß und stark zu werden, rächte er sich an seinen Peinigern. Die Skulptur stammt aus dem Jahr 1989 und symbolisiert den Gedanken der Eigenständigkeit Grönlands. Aufgestellt wurde sie 10 Jahre nach der grönländischen Selbstverwaltung. „Die Geschichte von „Kaassassuk“, „sagt ein Reiseführer, kennt in Grönland jedes Kind“. Ein ähnlicher Hinweis findet sich auch auf der Homepage des grönländischen Touristikverbandes. Als ich in der Touristik-Information nach der Geschichte von „Kaassassuk“ frage, schaut man mich mit grossen Augen an. Ja, das Denkmal ist bekannt, - aber die Geschichte dazu ?? „Ich kann ja mal im PC nachschauen“, sagt die junge Grönländerin, findet aber nichts. Geschichte und Geschichten sind halt so eine Sache.

Grönland - Nuuk - Denkmal

Nicht weit davon entfernt liegt an einer der Hauptstraßen von Nuuk das Kulturzentrum Katuaq. Es wurde von einem dänischen Architekten geplant, 1997 eingeweiht und wird für Kongresse, Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen aller Art genutzt. Hier befindet sich auch das einzige Kino des Landes. Renner der Kinofilme war im Jahr 2010 nicht etwa ein grönländischer Film, sondern „Sex and the City“. Am Rande der Einkaufsstraße gegenüber von einem hypermodernen Technik-Fachgeschäft mit Flachbildbernsehern, i-Pods und Telefonen fällt mir Schild für einen „Hundeparkplatz“ auf.

Grönland - Nuuk - Schild

Wo aber sind die Schlittenhunde, die man mit Grönland gemein hin in Verbindung bringt ? Man sucht sie in Nuuk vergeblich: Schlittenhunde findet man nur nördlich des „Schlittenhundäquators“, also des Polarkreises. Wenn schon kein Schlittenhund, dann wenigstens ein Hundeparkplatz.

Grönland - Ewigkeitsfjord

Als ich zurück zum Schiff komme, scheint die Sonne noch immer. Sie scheint auch noch, als unser Schiff Kurs auf Kangeq nimmt, wo einst Hans Egede anlandete, und am nächsten Morgen, als wir in den Ewigkeitsfjord einfahren. Hier erwartet uns das „andere Grönland“: Gletscher und Gebirgszüge, eine unendliche Stille, eine majestätische Natur und eine kristallklare Luft. Ich glaube, es stimmt: Nuuk ist nicht Grönland.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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