Das Tintenfass Gottes 

Grönland Schlittenhund Natürlich gibt es wieder jede Menge Schlittenhunde zu sehen, sogar nur wenige Tage alte Welpen, Gestelle mit Streifen von Grönlandhai, Robbenfleisch und Robbenfelle, blaue Schlitten. Über den Türen einiger Häuser hängen Jagdtrophäen: Karibu-Geweihe und Walrossschädel – das ist nicht nur etwas für Fotografen.Heute scheint in Qeqertarsuaq Waschtag zu sein. Überall sind Wäscheleinen gespannt. Die Hausfrauen nutzen das Wetter aus. 15 Grad und leichter Wind, da wird die Wäsche schnell trocken.

Die in der Stadtmitte stehende achteckige Kirche passt nicht so richtig ins Stadtbild. „Tintenfass Gottes“ heißt sie wegen ihrer Form im Volksmund. Neben der arktischen Station liegt ein Zeltplatz, auf dem Jung und Alt den Sommertag genießen. Schnell ist der Grill aufgestellt und es riecht angenehm nach Bratfisch. Allerdings: Dort, wo es Wasser gibt, sind auch die Mücken zu finden, Tausende, nein Millionen, nein, Milliarden von Mücken. Gegen die Mückenangriffe hat man kaum eine Chance - und über das von uns importierte Autan-Spray scheinen die stechenden Plagegeister nur zu lachen. Wohl dem, der ein Mückennetz dabei hat. Wir haben es nicht.

Grönland großer Eisberg

Eisberge - keiner sieht aus wie der andere

Unser weiterer Kurs führt uns zunächst ein Stück nach Osten und dann nach Norden. Eisberge kommen in Sicht, Eisberge in allen Formen und Farben, Eisberge ohne Zahl, Eisberge, denen man ansieht, dass sie eine lange Geschichte hinter sich haben. Es sind Abbruchstücke des aktivsten Gletschers der nördlichen Hemisphäre, des Jakobshavn Isbrae. Der Gletscher bewegt sich täglich zwischen 25 und 30 Metern (eine Geschwindigkeit, die Alpengletscher im Jahr erreichen ) und produziert auf einer Breite von 10 Kilometern bis zu 20 Millionen Tonnen Gletschereis täglich! Kein Wunder, dass es hier vor Eisbergen geradezu wimmelt. Kein Eisberg gleicht dem anderen: Einige sind schneeweiß, andere grau, andere schimmern blaugrün. Je dunkler die Farbe, desto dichter zusammengepresst ist das Eis. Blaue Linien zeugen davon, dass hier einmal eine Spalte war, die sich mit Wasser gefüllt hat, das dann gefroren ist.

Eisberge, Eisberge, Eisberge

Grönland kleine Eisberge

Hier wird das Leben vom Eis bestimmt

Eis, immer noch Eis, und es ist eisig an Deck. Ein kalter Wind fegt die tief hängenden Wolkenfetzen über das Meer, als die MS Brand Polaris am nächsten Morgen vor Uummannaq ankert. Die Stimmung ist etwas unheimlich: Die Sonne versucht, die Nebelschwaden zu vertreiben, zum ersten Mal auf dieser Reise empfinden wir die Kälte als unangenehm, und von Zeit zu Zeit ist ein Donnern zu hören. Es ist nicht etwa ein Gewitter, sondern das Geräusch auseinander brechender Eisberge. Gegen Mittag setzt sich die Sonne endgültig durch und die Eisberge glitzern im Sonnenlicht vor dem 1763 gegründeten Städtchen Uummannaq am Fuße des 1175 hohen Berges, der die Insel dominiert. Dieser Fels hat die Form eines Robbenherzens, und so heißt der Berg dann auch: „der Herzförmige“.

Grönland  Uummannaq Häuser

Farbtupfer auf grauem Hintergrund

Das Städtchen ist am Berghang gebaut, und so heißt es klettern. Im Stadtzentrum befindet sich eine Steinkirche aus dem Jahr 1935. Sie ist aus heimischem Granit errichtet. In das Museum kommen wir zunächst nicht hinein, weil die Tür verschlossen ist, treffen aber die Verwalterin auf dem Weg durch den Ort. Im Museum gibt es Trachten zu sehen, Nachbildungen der Mumien von Qilatiksoq und einige Exponate aus der Zeit der Entdeckung. Eine Ecke im Museum ist dem Meteorologen und Polarforscher Alfred Wegener gewidmet, der hier in Uummannaq 1930 zu seiner Inlandeisexpedition aufbrach, von der er nicht mehr zurückgekehrt ist.

Das Wetter ist wenig einladend, als die MS Brand Polaris gegen 8 Uhr des nächsten Tages vor der Fischersiedlung Saqqaq im nördlichen Teil der Disko-Bucht den Anker wirft: Es ist nasskalt und es nieselt. Von der „Sonnenseite“, was Saqqaq im Grönländischen bedeutet, ist beim besten Willen nichts zu sehen. Statt der Fleece-Jacken kommen heute die gelben „Friesennerze“ zum Einsatz, - sie sind wenigstens wasserdicht. Mit hochgeschlagenem Kragen, Kapuze, Rettungsweste und dem Rucksack mit den Fotosachen gehen wir an Bord der Zodiacs

Beim grönländischen Weihnachtsmann

In dem 200-Seelen-Örtchen kann man sich eigentlich nicht verlaufen. Gleich neben der Post ist ein Supermarkt, mal sehen, wie der sortiert ist. Wir sind überrascht: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Angefangen von Lebensmitteln über Zeitschriften und technische Geräte, Postkarten, Tiefkühlkost aller Art bis zu Fertigsuppen und Linseneintopf deutscher Herstellung fehlt nichts in den Regalen.

Grönland Inuit -Frau

Ist alles eingekauft?

Sogar ein Laptop und Christbaumschmuck werden angeboten. Möglicherweise hat der Julemand, der grönländische Weihnachtsmann, hier ein Auslieferungslager, und die Preise sind im Hinblick auf die hohen Transportkosten durchaus passabel.

Als wir das Geschäft wieder verlassen, hat der Nieselregen aufgehört, und die Sonne kommt durch. Gleich ist der Ort wie verzaubert: Blauer Himmel, blaue Häuser, eine Bucht mit Eisbergen und natürlich Schlittenhunde, die die Sonne mit durchdringendem Gejaule begrüßen, das sich über die ganze Insel fortzusetzen scheint. Vorbei am Gemeinschaftshaus gehen wir zunächst zur Fischfabrik. Im Gemeinschaftshaus steht die zentrale Dusche für den Ort, und natürlich ist dort auch die Pumpstation für das Wasser. Fließendes Wasser gibt es in Saqqaq nicht. Entweder man besorgt das benötigte Wasser per Kanister von der Zapfsäule, oder man holt per Schiff ein Stück Eisberg, den man dann schmilzt. Die hübsche Kirche aus dem Jahr 1908 ist offen. Für die kleine Gemeinde mutet das Gotteshaus geradezu riesig an, in der Mitte hängt das obligatorische Segelschiff und am nächsten Sonntag wird das Lied Nr. 19 gesungen – jedenfalls steht das auf der Tafel an der Wand

Im Dickicht der Gletscher

Gegen 17 Uhr erreicht die MS Brand Polaris den Eqip Sermia Gletscher, 40 Kilometer nördlich von Ilulissat gelegen, der sich in einer Breite von sieben Kilometern und einer Abbruchkante von ca. 80 Metern ins Meer schiebt. Das Eis kracht, die Luft ist einmalig klar, und rund um das Zodiac knistert es, wenn die im Eis seit Jahrhunderten eingeschlossene Luft entweicht. Irgendwie fühlt man sich der Ewigkeit ein Stück näher, und inmitten des Eises verschwindet das Zeitgefühl. Wir brauchen nur die Hand auszustrecken, um kristallklare Eisstückchen einsammeln zu können und jedes von der Gletscherzunge abbrechende größere Eisstück bringt das Schlauchboot ganz schön ins Schaukeln. So gern wie wir eine größere Kalbung erleben möchten - mit dem Zodiac sollten wir nicht in Reichweite sein, wenn so ein Brocken von der Größe eines Einfamilienhauses ins Wasser kracht!

Grönland Eisberglandschaft

Kein kleiner Brocken

Der Kangia, der Jacobshavn Isbrae, muss jede Menge Eisberge produziert haben, die sich im Licht der tief stehenden Sonne spiegeln, und die in allen Farben schimmern. Immer wieder knallen große Eisstücke gegen die Bordwand und geht ein Rucken durchs Schiff, wenn es mit den Eisstücken kollidiert. Die MS Brand Polaris steckt buchstäblich mitten im Eis. Kapitän Nilsen versucht, wenigstens den ganz großen Brocken auszuweichen, die seinen Kurs kreuzen. Der Radarschirm zeigt neben der Küstenlinie nur noch Eisberge. Eisberge soweit das Auge reicht. Der Kapitän steht auf der Brücke, als sei es die leichteste Sache der Welt, das Schiff durch die Eisbarrieren zu manövrieren. Fernglas und Funkgerät in der Hand, schaut er nach vorn und gibt seine Kommandos. Keine Sekunde herrscht Hektik auf der Brücke. Alles, was eine Kamera halten kann, ist an Deck und schaut fasziniert zu, wie sich die MS Brand Polaris durch das Eis vorwärts kämpft.

Es ist weit nach Mitternacht, die Sonne ist für ein paar kurze Momente hinter dem Horizont verschwunden, und man hat das Gefühl, dass das Eis noch dichter geworden ist. Die Eisberge schimmern jetzt rosa. Die Stimmung an Bord ist nicht zu beschreiben. Jeder an Deck ist gebannt von diesem Schauspiel. Gegen 1 Uhr kommt der Koch mit einer Platte belegter Brötchen und ein paar Kannen Kaffee auf die Brücke, was geradezu als freundschaftliche Geste empfunden wird. Jeder hier an Deck kann sich dem Zauber des Eises und dem Zauber der Situation nicht entziehen. Um kurz nach 2 Uhr, mit drei Stunden Verspätung, macht die MS Brand Polaris schließlich am Kai von Ilulissat fest

Wenn Gletscher sich stauen

„Ilulissat“ - das bedeutet in der Sprache der Eskimos „Eisberge“, und die gibt es hier mehr als reichlich. Einen kleinen Vorgeschmack haben wir ja bereits heute Nacht erlebt. Beim Frühstück spricht sich dann herum, warum heute Nacht so viele Eisberge im Meer getrieben sind: Der Jacobshavn-Gletscher produziert täglich bis zu 20 Millionen Tonnen Eis. Der Gletscher ergießt sich in den 47 Kilometer langen Ilulissat-Eisford.

Grönland Eisberggebirge

Eisberge von bestechender Schönheit

Dieser Fjord ist ca. 1.500 m tief. Etwa zwei Jahre benötigen die Eisberge für ihren Weg von der Abbruchkante bis zum Ausgang des Fjords, wo viele der Eisberge zunächst auf einer 300 Meter tiefen Endmoräne am Fjordausgang stranden, bis sie schließlich von den nachdrückenden Eismassen über die „Stolperstelle“ geschoben werden und schließlich in die Disko-Bucht und den Nordatlantik hinaus treiben. Während der letzten Tage hatten sich die Eismassen im Bereich der Moräne dermaßen aufgestaut, dass ein Einlaufen in den Hafen unmöglich war. Gestern nun war der Tag, an dem das nachschiebende Eis die Barriere überwand und eine Vielzahl von Eisbergen ins offene Meer hinaus geschoben wurden - und eben durch diese Eismassen musste sich heute Nacht die MS Brand Polaris hindurch kämpfen.

Wir gehen um 8 Uhr von Bord, um zunächst mit dem Hubschrauber zur Abbruchkante des Jacobshavn Gletschers zu fliegen, - es ist eine der Attraktionen der Reise. Der Helikopter fliegt zunächst ein kleines Stück die Küste und dann rund 40 Kilometer am Fjord entlang, bis er schließlich auf einer Felskappe in der Nähe der Abbruchkante landet, wobei einem die Mächtigkeit der Eisgebirge zunächst gar nicht so bewusst wird, weil die bizarren Eisberge aus der Luft recht klein aussehen. Die Eismassen sind gigantisch, auch wenn man die Verzweigungen des Gletschers nicht sehen kann, die mehrere hundert Kilometer weit ins Inlandeis hineinragen. Die Formen der Eisberge sind nicht zu beschreiben, und da ist wieder die Vorstellung, dass nur ein kleiner des Eisberges aus dem Wasser heraus ragt und der größte Teil unter der Wasseroberfläche verborgen liegen. Die Sonne kommt durch, als wir wieder in den Hubschrauber klettern und auf der anderen Seite des Kangia entlang fliegen. Blau leuchten Gletscherspalten und Seen herauf – ein unvergessliches Bild.

Grönland Eisberge im Sonnenlicht

Unvergessene Momente im Eis

Unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit sich das Wetter ändert. Das Thermometer auf der „Nebelseite“ fällt innerhalb von ein paar Minuten von plus 15 auf sage und schreibe minus 4 Grad, und ein ekliger Nieselregen setzt ein. Abschied von Grönland, leicht gemacht. Aber wir werden wieder kommen in diese Welt aus Eis, die jeden in ihren Bann zieht, der sie einmal erlebt hat.

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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