Symphonie in Weiß

Eine Winterreise nach Island

Text und Fotos: Uwe Lexow

Langsam wird es hell im Thingvellir-Nationalpark. Nein, von "hell" kann man eigentlich nicht sprechen. Immerhin ist es schon nach 10.00 Uhr, als das fahle Winterlicht auf Islands größten See fällt. Ein majestätischer Anblick.

Island - Thingvellir-Nationalpark

Winter auf Island - Wer ihn einmal erlebt hat, ist süchtig danach, süchtig nach einer Symphonie in Weiß, nach Stille und winterlicher Erhabenheit. Nichts ist zu spüren vom Massentourismus, der die Insel im Nordatlantik im Sommer an ihre Grenzen gelangen lässt. Bei 1 Million Touristen, die vornehmlich in den Monaten Juli und August ins Land kommen, ist es im Sommer schwierig, individuelle Eindrücke zu sammeln. Jetzt im Winter scheint es, als gehöre das Land einem allein. Zugegeben, der Tag ist nicht besonders lang in den Monaten zwischen November und Februar. Vor 10.00 Uhr wird es kaum hell, und ab 16.00 h ist es wieder stockfinster, und besonders gut fährt es sich auf tief verschneiten oder eisglatten Straßen selbst mit Allradantrieb und Spikes nicht, aber unvergessliche Landschaftseindrücke wiegen die Beschwerlichkeit des Reisens allemal auf.

Zurück nach Thingvellir (1), einem für die Isländer bedeutenden Ort mit historischer wie geologischer Bedeutung. An kaum einer Stelle auf der Erde ist die Drift der Kontinente so deutlich sichtbar. Hier stoßen die amerikanische und die europäische Kontinentalplatte zusammen, und hier driftet die Insel pro Jahr bis zu 4 cm auseinander. Aber Thingvellir hat auch historische Bedeutung. Im Jahre 930 gründeten die aus Norwegen stammenden Wikinger hier das Erste Althing, ihre gesetzgebende Versammlung und Vorstufe einer der ältesten Demokratien der Welt.

Island - Thingvellir-Nationalpark

Durch die Almannagjá stapfe ich hinunter bis zur sogenannten "Pfennigschlucht". Das Gebiet ist von tiefen Spalten durchzogen, die teilweise mit kristallklarem Wasser gefüllt sind. Bis zu 18 Meter geht es in die Tiefe. Auch jetzt ist das Wasser nicht gefroren. Richtige Wintertage sind in Islands Süden eher selten: Der Golfstrom sorgt dafür, dass es im Süden eher "schmuddelig" als winterlich ist. Heute ist Thingvellir ein Traum in Weiß.

Dort, wo sich im Sommer Busladungen mit Touristen ihren Weg durch die Schlucht bahnen, sind es heute nur wenige Fotografen, die schliddernd Winterbilder machen.

Island - Thingvellir-Nationalpark

Wir sind dankbar, als uns ein Bulldozer einen Weg durch den Schnee "freikämpft". Die Wege ins Landesinnere sind unpassierbar und bleiben gesperrt.

Island - Thingvellir-Nationalpark

Der Weg zum Gullfoss (2), Islands wohl schönsten Wasserfall, ist ein Albtraum. Inzwischen hat es zu regnen begonnen, ein mildes Lüftchen weht von Süden, und die Straße verwandelt sich binnen weniger Minuten in eine Eisbahn. Über 3 Stunden benötige ich für die paar Kilometer zum Wasserfall, aber der Weg lohnt sich.

Kein Mensch weit und breit, wie von Menschenhand unberührt stürzen sich die Wassermassen in die Tiefe, teilweise sind die Fälle eingefroren.

Island - Thingvellir-Nationalpark

Nur knapp 4 Kilometer sind es von hier ins Haukadalur, dem Gebiet des großen Geysirs und anderer geothermaler Erscheinungen. Durch das warme Wasser hält sich hier kaum Schnee.

Island - Geysir

Ganz anders sieht es in Akureyri (3) in Nordisland aus, eine knappe Flugstunde von Reykjavik entfernt. Akureyri, die Stadt, die gerne Hauptstadt des Landes geworden wäre, hält Winterschlaf. Kaum Touristen sitzen in der Maschine, außer einer weißen Winterlandschaft sieht man aus dem Flugzeugfenster nichts. Der Schnee hat Berge, Vulkane, Täler und Flüsse zugedeckt. Es ist stürmisch geworden.

Island

Am Mietwagenschalter bin ich der einzige Kunde, im Hotel ist nichts los, an der Bar sitzt niemand. Auch in der Stadt selbst tut sich nichts. Es schneit ohne Ende, anders als in Reykjavik, wo die weiße Pracht ein paar Tage später wieder weg ist.

Kaum Autos sind unterwegs; ohne die Räumfahrzeuge, die versuchen wenigstens die Nationalstrasse Nr.1 freizuhalten, würde der Verkehr völlig zum Erliegen kommen. Am nächsten Tag ist der Flughafen wegen Schneesturm gesperrt.

Island - Akureyis

Akureyris Stadtkirche sieht bei Schnee einfach toll aus, die kleine Fußgängerzone ist verwaist, alles, wirklich alles, versinkt im Schnee.

Island - Akureyis

Mit dem Auto zum Museumsdorf Laufás zu kommen, ist fast ein Abenteuer. Statt 20 Minuten brauche ich 1 1/2 Stunden für die 25 Kilometer. Fahren möchte ich die Fortbewegung nicht nennen.

Die einzigen Lebewesen, an denen ich vorbei komme, sind ein paar Islandpferde, die auf der Weide den winterlichen Bedingungen trotzen.

Island - Islandpferde

Auch in Laufás (4) kein Mensch weit und breit. Meine Spuren im Schnee sind die einzigen, die zu den Häuschen führen, die man im Winter von Innen nicht besichtigen kann. Die Hofgebäude wurden um 1840 errichtet, der Gemeindepfarrer wohnte hier bis 1936. Bis zu 30 Menschen haben in den Gebäudekomplexen gewohnt und auf dem Hof gearbeitet.

Für ein paar Minuten hört der Schneefall auf, als wollte der liebe Gott mir die Gelegenheit zum Fotografieren geben, ein paar Sonnenstrahlen, eine unvergessliche Stille. Wie einsam muss es hier für die Bewohner hier früher zur Winterzeit gewesen sein ?

Island - Laufas

Auf dem Rückweg beginnt es wieder zu schneien. Der Flughafen bleibt gesperrt.

Als ich mich am nächsten Morgen auf den Weg zum Myvatn mache, treibt der Wind noch immer Schnee ohne Ende vor sich her. Ich habe das Glück, dass vor mir ein Räumfahrzeug den Weg über die Passstraße frei macht. Ich komme am Godafoss (5) vorbei.

Auch der Wasserfall der Götter, in dem einst der Gode Thorgeir im Jahre 1000 nach der Übernahme des Christentums seine Götzenbilder in den Fluss geworfen haben soll, ist in den Seitenbereichen eingefroren. Jedes Leben scheint erstarrt zu sein

Island im Winter

Das Gebiet um den Myvatn (6) gehört zu den interessantesten Gebieten der Insel. Hier ist "mein Island", hier kenne ich jede Felsformation. Das Gebiet ist durchzogen von der geologisch aktiven Zone, die sich von Nordost nach Südwest erstreckt. Der See selbst ist bis auf einen Zuflussbereich thermaler Quellen im Osten zugefroren. Tief verschneit sind die Pseudokrater bei Skutustadir.

Anfang Oktober habe ich hier noch Aufnahmen vor farblich-bunter Herbstkulisse gemacht. Jetzt ist alles erstarrt, die Straße ist völlig vereist. Selbst mit Spikes unter den Schuhen kommt man kaum voran. Und doch: Um keinen Preis der Welt möchte ich die winterliche Erfahrung hier missen.

Island im Winter

Touristen gibt es hier um diese Zeit noch weniger als in Akureyri. Bei dem eisigem Wind hält man es nicht lange draußen aus. Selbst Outdoorbekleidung hilft wenig.

Island im Winter

Selbst ein Teil der Solfataren im Bereich Námarkard, dem alten Mienenberg, ist zugefroren, die Erdspalten zugeweht. Wege durch die Kraterlandschaft sind nicht zu sehen. Immer wieder versinke ich in tiefem Schnee. Nur dort, wo heißer Dampf austritt, ist der Schnee verschwunden, und das Gelb der Schwefelkristalle bietet einen farblichen Kontrast zur winterlichen Schneedecke.

Island im Winter

Ich bin heilfroh, dass der Wagen wieder anspringt und die Heizung funktioniert. Selten habe ich einen heißen Tee so genossen wie in dem kleinen Cafe bei den Erdbädern, der "Blauen Lagune" vom Myvatn. Obwohl das Wasser 38 Grad hat, badet hier heute niemand. Schnee türmt sich vor den Fenstern, und es wird wieder dunkel.

Island im Winter

Drei Tage später bin ich zurück in der Hauptstadt. Der Schnee ist weggetaut, und es regnet. Es sind über 10 Grad. Auf den Eisresten des Stadtweihers spiegeln sich die Häuser. Schnee liegt nur noch auf Reykjaviks Hausberg Esjá.

Island - Reykjavik

Im Hotel tobt abends wieder der Bär. Neben mir sitzt eine junge Amerikanerin. "Iceland ist great in winter-time" meint sie und nippt an ihrem Drink. Ich kann das bestätigen, aber ich bezweifele, dass wir dasselbe meinen.......

Winter in Island

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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