Pizza, Vesuv und Sofia Loren

Neapel im Aufwind

Text und Fotos: Dominik Ruisinger

"Wenn ich an meine Beziehung zu Neapel denke, scheint es mir, dass ich sie nur in Bildern ausdrücken kann." Bilder, wie es der süditalienische Essayist Rafaele La Capria schreibt, werden jedem Neapel-Besucher durch den Kopf schießen. Spätestens wenn er einen Blick vom Hausberg, dem Monte Vomero, auf die 2-Millionenmetropole wirft: Einem Postkarten-Panorama gleich liegt ihm die Stadt zu Füßen. Und dahinter der mächtige Vesuv, der bei klarer Sicht greifbar nah erscheint.

Italien Neapel Panorama

Neapel: der Vesuv im Hintergrund

Als wir in das quirlige Altstadtherz Spaccanapoli hinabsteigen, sind die dicht besiedelten Gassen schwarz vor Menschen. Kleine Läden, die für Büffelkäse und Taralli, salzige Mürbeteigkringel, werben, säumen die Hauptadern Via dei Tribunali und Via San Biagio. Am Straßenrand bieten ältere Frauen Schmuggelzigaretten und Taschentücher feil. Auf Holzkarren und Autodächern türmen sich Zitrusfrüchte und Blumen, über den Köpfen weht frische Wäsche sacht im Winde. Die Luft ist durchdrungen von Düften und Geräuschen des Alltags, die durch geöffnete Türen wehen oder knatternden Vespas entweichen.

Aufbruch liegt in der Luft

Jahrelang hatte kaum ein Besucher den Fuß in die Stadt gesetzt. Neapel galt als Brutstätte von Korruption, Kriminalität und Schattenwirtschaft. Touristen nutzten höchstens den Hafen als Sprungbrett zu den Inseln Capri und Ischia. Doch wenn man heute durch die Heimat von Sofia Loren, Totò, dem Blues-Sänger Pino Daniele oder der einstigen Stimme Italiens, Enrico Caruso, schlendert, wird schnell deutlich, dass sich in den vergangenen Jahren viel verändert hat. Eine Aufbruchstimmung liegt in der Luft.

In der für die Krippenbauer berühmtem Via San Gregorio Armeno treffen wir auf den Protagonisten dieses Wandels - wenn auch nur als Tonfigur: Antonio Bassolino. Dem langjährigen amtierenden Bürgermeister haben die Menschen viel zu verdanken.

Italien Neapel Palast

Renovierte Fassaden

Engagiert ließ der linke Politiker Paläste sanieren, Fassaden restaurieren, autofreie Zonen einrichten, Kultureinrichtungen eröffnen und Kunstschätze aus den vergangenen Jahrhunderten sichtbar machen. Seitdem wird er geliebt und verehrt wie sonst nur der Stadtheilige San Gennaro, dessen verflüssigtes Blut die Bewohner zweimal im Jahr in den Dom zieht.

Eine Sinfonie der Stimmen

Es ist unübersehbar - Neapel ist aus der Umklammerung aufgewacht. Schritt für Schritt hat die Stadt ihr Camorra-Image abgelegt, hat sich zu einer der lebendigsten und aufregendsten Städte des italienischen Südens entwickelt. Viele Besucher kommen wieder, um in die Einkaufsstraßen, Galerien und zahllosen antiken Schätze einzutauchen oder einfach nur das pulsierende Leben einer Stadt zu genießen, die scheinbar nie aufhört zu atmen.

Italien Neapel Hafen

Am Morgen herrscht noch Ruhe im Hafen

Das heutige Neapel ist aufregend, lebendig und voller Stimmen und Laute. Wie zum Beispiel mitten in der Altstadt an der schönen Piazza San Domenico, die eine Geräuschkulisse umgibt, die der Komponist Hans Werner Henze einst als eine Sinfonie schilderte - "mit fantasievollen Modulationen, heißblütig, streichelnd, sehnsüchtige Schauer des Lebens, der Zeiten". Daran wird sich hier auch bis tief in den frühen Morgen nichts ändern. Denn die Jugend hat diesen stimmungsvollen Ort zum Treff auserkoren, um bei Dosenbier und Joints die Nacht durchzuplaudern, während sich Künstler und Musiker eher in den Bars rund um die Piazza Bellini einfinden.

Die Heimat der Pizza

Italien Neapel Pizza

Geburtsort der Pizza Margherita

Am südlichen Rand der Piazza San Domenico liegt das beliebte Café Scaturchio - ein wahrer Tempel neapolitanischer Konditorkunst. Eine seiner Spezialitäten: Babà, ein süßes Gebäck, wahlweise mit Creme oder in Limoncello getunkt. Wenige Meter weiter in der Second-Hand Bücherstraße Port D'Alba laden die Antica Pizzeria und die Pizzeria Bellini zur eigentlichen kulinarischen Erfindung der Stadt ein: zu einer Pizza. Denn ob Margherita oder Marinara, von Neapel aus soll der berühmte Teigfladen 1889 seinen weltweiten Triumphzug angetreten sein.

Italien Neapel Galleria

Gerade diese kontinuierliche Verbindung zwischen früher und heute, zwischen Tradition und Gegenwart bestimmt das Leben der Stadt. Dabei blickt Neapolis - neue Stadt, wie sie griechische Siedler einst tauften - auf eine fast dreitausendjährige Geschichte zurück. Seitdem ist die Stadt intensiv von zahlreichen Fremdherrschern geprägt worden. "Egal ob Römer, Normannen oder Bourbonen", erklärt Lucio Cimmino, der graumelierte Chef des Restaurants 'La Botte' mit gewissem Stolz in der Stimme, "alle kamen und gingen und hinterließen ihre sichtbaren Spuren." So gleicht das Straßenbild einem Architektur-Mix: Von der Barockkirche Gesù Nuovo bis zu Renaissance-Palazzi und dem Rokoko-Kloster von Santa Clara, hinter dem ein verwunschener Kreuzgang mit wunderschönen Majolika Kacheln Ruhe vor der hektischen Metropole bietet.

Hinter dem berühmten Opernhaus Teatro San Carlo und der mit Glas überdachten Shopping-Mall Galleria Umberto (Foto oben) verbirgt sich das andere Gesicht der Stadt: das reiche Neapel. Alle wichtigen Modeschöpfer haben entlang der schicken Einkaufsmeile Via Chiaia ihre elegante Heimat gefunden: Gucci, Giorgio Armani, Calvin Klein und noch viele mehr. Und es lohnt sich gerade hier einzukaufen. Denn die Preise liegen (noch) deutlich unter denen anderer italienischer Großstädte.

Stimmungsvolle Orte der Nacht

Am Kopf der Via Chiaia liegt das berühmteste Kaffeehaus der Stadt: Gambrinus. Wer im stuckverzierten Belle-Epoque-Saal aufblickt, wird an Nachbartischen auch Menschen antreffen, die "nicht nur Kaffee trinken", wie sie Luciano de Crescenzo in seinem Bestseller 'Also sprach Bellavista' charakterisiert, "sondern das Bedürfnis haben, in Kontakt mit der Menschheit zu treten".

Italien Neapel Vesuv

Die Stadt und ihr Vesuv

An der Hafenmole angekommen ist der Abend hereingebrochen. Jetzt ist der Moment, da sich die Jugend fein macht, um die Nacht in den In-Clubs von Pozzuoli und Bagnoli durchzutanzen. Derweil haben wir das viel besungene Fischerviertel Santa Lucia erreicht. Trotz einiger Touristen gehört es noch immer mit seinen zahlreichen Restaurants und Bars zu den stimmungsvollsten Orten der Nacht.

Extrovertiert und schön

In der gemütlichen Trattoria Tabaccaio lernen wir bei Schwertfisch und Muscheln Rosario kennen. Auf die Frage, wie er seine Stadt einem Fremden beschreiben würde, muss der schwarz gelockte Kellner lachen. "E una città estroversa pero bella". Extrovertiert und schön, aber auch gefährlich? Der gutaussehende Neapolitaner schüttelt den Kopf. "Nein, warum? Die Bilder, die beispielsweise in den Mafiafilmen von Lina Wertmüller vorkommen, haben mit meiner Stadt nichts zu tun. Klar können hier Dinge passieren. Doch das geschieht ebenfalls in Paris, Mailand oder Berlin."

Italien Neapel Gebäude

"E una città estroversa pero bella"

Während Rosario von seiner Stadt erzählt, fällt mir Pier Paolo Pasolini ein, der über ein typisches Erlebnis mit Neapel einst schrieb: "Einmal, während einer äußerst gefühlsgeladenen Episode mit einem Neapolitaner, habe ich plötzlich gemerkt, dass er mir gleichzeitig die Brieftasche mauste: Ich habe ihn einfach darauf aufmerksam gemacht, und wir haben uns noch mehr gemocht."

 

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