Mord in der Lagune

Mit Commissario Brunetti auf der Insel Pellestrina bei Venedig

Text und Fotos: Norbert Suchanek

Italien Pellestrina Lagune

„Pellestrina ist eine lange schmale Insel aus Sand, der im Lauf der Jahrhunderte zu bebaubarem Grund wurde. Sie verläuft in Nord-Süd-Richtung von San Pietro in Volta bis Caroman und zwar zehn Kilometer lang, aber an keiner Stelle breiter als ein paar hundert Meter.“ So beginnt „Das Gesetz der Lagune“, Commissario Brunettis zehnter Fall. Die in Venedig lebende Krimiautorin Donna Leon beschreibt damit in wenigen Zeilen die eigenwillige und ursprüngliche Fischerinsel in der Lagune von Venedig, wo es für ihren Commissario einen Doppelmord aufzuklären gilt.

Italien Pellestrina Sonnenuntergang

Sonnenuntergang zwischen Venedig und Pellestrina

Wie es sich für eine Insel gehört, ist Pellestrina nur mit dem Boot zu erreichen. An ihrer Ostseite beginnt die Adria mit ihrer Brandung und dem Wind. Ihre Westseite begrenzt die Weite der Lagune. Schon die Bootsfahrt von Venedig aus nach Pellestrina ist ein Erlebnis und eine Augenweide. Auch für Commissario Brunetti, der darüber selbst den Schrecken eines Mordes vergessen kann.

Die Welt vergessen

Man passiert die kleinen Laguneninseln San Servolo, Santa Maria della Grazia, San Clemente, Santo Spirito und Poveglia. Bei der Durchquerung der Porta di Malamocco, wo sich die Lagune zum offenen Meer hin öffnet, sorgt meist etwas Wellengang für Abwechslung. Und dann taucht sie auch schon auf, Pellestrina.

Italien Pellestrina Häuser

Die bunten Häuser prägen das Stadtbild von Pellestrina

Bunte, höchstens zweistöckige Häuser reihen sich Kilometer lang aneinander: Rosa, Gelb. Orange, leuchtend Rot und dazwischen auch mal ein in dunkles Grün gestrichenes Gebäude mit weißen Fensterrahmen; eine herrlich pittoreske Häuserzeile, unterbrochen nur gelegentlich von schmalen Durchgängen, einer Gasse, einer Kirche mit Fußball spielenden Kindern davor oder einem kleinen charmanten Platz voller Atmosphäre. Und davor die lange Mole, die Riva, die sich vom Dorfanfang bis zu seinem Ende zieht und an der Dutzende von Fischerbooten und Muschelfängern vertäut liegen.

Pellestrina ist ein Ort zum Ausspannen, zum die Welt vergessen. Nur ein schmales Dünenband und eine kalksteinerne Schutzmauer trennen die andere Inselseite von der besonders im Winter stürmischen Adria.

Italien Pellestrina Dünen

Das Dünenband als Schutzmauer vor der Adria

Gesegnet mit glasklarem Wasser und zahlreichem Strandgut ist der Sandstrand im Sommer ein idealer Spielplatz sowohl für Badehungrige als auch für Muschelsammler und Strandpiraten. Sonnenstuhlreihen oder Strandbuden gibt es hier genauso wenig wie Pauschaltouristen. Wenn die Lagune von Venedig als die „Perle der Adria“ gilt, dann ist Pellestrina die „Perle der Lagune“.

Italien Pellestrina Strandgut

Strandgut

Japanische Muscheln für Italiens Nationalgericht

Haupterwerbszweig der Pellestrinotti ist - wie seit Jahrhunderten in der Lagune üblich - der Muschelfang. Genauer gesagt, der Fang der Vongola, der italienischen Teppichmuscheln, ohne die Italiens köstliches Nationalgericht „Spaghetti alle vongole“ nicht denkbar wäre. Nach Erinnerung der Fischer waren die Vongole, die man im Watt der Lagune fast nur aufzusammeln braucht, stets Teil der regionalen Küche und Wirtschaft. Mit dem modernen Italientourismus aber gewann die Teppichmuschel von Norditaliens Küste bald auch die Herzen der Feinschmecker weltweit – was zusammen mit einer wachsenden Meeresverschmutzung vor rund 25 Jahren faktisch zum Zusammenbruch ihrer Bestände in der Lagune führte. Als Alternative ließen sich die italienischen Behörden 1983 auf ein Experiment ein. Die im Geschmack sehr ähnliche japanische Teppichmuschel wurde in die Lagune von Venedig verpflanzt, da sie widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Witterungsschwankungen und vor allem vermehrungsfreudiger ist.

Legale und illegale Fänge

„Unser Küstenökosystem ist mit dem der japanischen Teppichmuschel vergleichbar: Das Wasser weist einen geringen Salzgehalt auf, weil hier viele Flüsse ins Meer münden“, so der venezianische Biologe Michele Pellizzato, der an dem Experiment mitwirkte, welches - wie es heute aussieht - geglückt ist. Die auch als „Manila-Teppichmuschel“ bezeichnete Art breitete sich nämlich schnell an der venezianischen Küste aus und half mit, die Arbeitsplätze in der Fischerei zu erhalten: Allein auf den Laguneninseln Burano, Chioggia und Pellestrina finden so mehr als zweitausend Fischer bis heute ein Auskommen. Jährlich fangen oder besser gesagt sammeln sie mit Ihren Kuttern, den „Vongolare“ mit den rechteckigen metallenen Sieben, die sie über den Meeresboden ziehen, einen Großteil von Italiens 52.000 Tonnen Teppichmuscheln ein.

Italien Pellestrina Boot

Fischer auf ihrem Boot

Ein nachhaltiges, ehrliches Geschäft für die Fischer, die den Genossenschaften angehören. „Das Problem ist“, erklärt Michele Pellizzato, „dass viele Fischer illegal sind, das heißt sie sind nicht bei den offiziellen Vereinigungen eingetragen. Sie arbeiten ohne Lizenz und Quoten und setzen die ordnungsgemäß arbeitenden Fischer so einem unlauteren Wettbewerb aus. Da sie ihre Fänge nicht in den traditionellen Kreisläufen absetzen dürfen, versorgen sie zudem den Schwarzmarkt mit ungereinigten Weichtieren.“ Besonders schwerwiegend sei dieses Problem im südlichen Teil der Lagune von Venedig, womit wir wieder auf Pellestrina und bei Commissario Brunettis zehntem Fall sind, der im illegalen Muschelfang und im konkurrenzträchtigen Kampf um lukrative Muschelbänke seinen wahren Kern hat.

Alle Männer sind Fischer

„Alle Männer des Dorfs sind Fischer. Mein Vater war Fischer und ich war es nach ihm.“ So die typische Antwort der alten Pellestrinotti auf die Frage nach dem Beruf. Obwohl das benachbarte Venedig jährlich mehr als zehn Millionen Urlauber aus aller Welt anzieht, arbeiten hier auch heute nur wenige im Tourismus, der auf Pellestrina in erster Linie auf den Sommer sowie auf Gastronomie und einheimische Tagesgäste beschränkt ist. An den Wochenenden kommen sie meist aus Venedig, vom Lido oder von Chioggia, um frische Meeresfrüchte zu essen und den herben, frischen Weißwein zu trinken, der in den Bars und Restaurants von Pellestrina ausgeschenkt wird.

Italien Pellestrina Fischerboot

.. ruhige Momente

Vom südlichen Teil Pellestrinas kann man über den steinernen Schutzdamm bis zur wildromantischen Halbinsel Caroman wandern. Ihre herrlichen Dünenberge zeigen, wie es einst auch an den Stränden von Jesolo bis Rimini ausgesehen haben mag. Caromans unter Naturschutz stehende Dünenlandschaft erscheint fast skandinavisch, nur dass hier in den Dünentälern duftende Pinienhaine und Agaven wachsen und dass große Betonbunker, Reste des Zweiten Weltkriegs, wie Maya-Tempel von der mediterranen Natur überwuchert werden. Donna Leon hätte keinen besseren Ort auswählen können für das dramatische Ende ihres Kriminalromans rund um Pellestrina.

 

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