Romagna, Romagna mia

Vom Fahrrad in die Fluten

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Die abwechslungsreiche Landschaft der Romagna bietet Radrouten im flachen Küstenstreifen und an den Sandstränden der Adria genauso wie hügeliges grünes Hinterland und jede Menge Sehenswürdigkeiten.

Italien - Romagna - Radfahren zwischen Castrocaro und Faenza (Igor Baccini, Bike-Guide)

Radfahren zwischen Castrocaro und Faenza (Igor Baccini, Bike-Guide)

Fratta Terme (1) liegt im Zentrum der legendären Nove-Colli-Radrundfahrt, die jedes Jahr Tausende anlockt. Hier im Hinterland der Romagna gibt es viele Strecken, die sich ab Fratta Terme bequem abradeln lassen. Das große Plus verrät außerdem schon der Ortsname: Nach der Tour geht’s in die Therme zur Entspannung. Sechs Kilometer sind es nur bis ins mittelalterliche Bertinoro (2) mit seiner Bischofsburg, die heute u. a. ein interreligiöses Museum beherbergt. Der Anstieg hat sich gelohnt und bietet weite Blicke bis zur Küste. Abends leuchten flackernde Lichter herauf, das Meer schimmert im Hintergrund, und man speist auf der Terrasse des Restaurants „Belvedere“ mit Aussicht. Bekanntlich ist die Emilia Romagna eine Gegend für Feinschmecker: Hier ist man stolz auf den Formaggio di Fossa, einen Käse, der in Stroh oder Tücher eingewickelt mehrere Monate lang in Erdlöchern reift und sodann mit Rotweinsoße serviert wird. Zum Nachtisch reicht man Albana di Romagna passito, einen golden funkelnden Dessertwein, der Bertinoro der Legende nach seinen Namen gab. „Berti in oro“, aus Gold sollte man dich trinken, soll die Tochter des Kaisers Theodosius ausgerufen haben.

Auf kleinen Nebenstraßen geht es über den Appenin und eine 14 %-ige Steigung hinauf, allerdings nur 270 Höhenmeter. Die längeren Anstiege überlassen wir den Rennradfahrern, die hier in Gruppen immer wieder an uns vorbeiflitzen und grüßen „Buongiorno!“ oder einfach „Giorno!“. Geschafft. Von hier aus sieht man bis Cesena, unser Ziel, und ein Schild verkündet, dass ich tatsächlich einen Teil der Nove Colli gefahren bin. „Ab Colinello gibt es dann fünf Kilometer Downhill“, weiß Bike Guide Igor Baccini. Das macht Spaß und zudem gibt es keinerlei Autoverkehr, aber Olivenbäume und Weinreben, Hühner und Hähne, die am Straßenrand gackern, und weiße Pfirsiche, die Cesenate genannt werden. Ein guter Radfahrersnack.

Italien - Romagna - In der Bibliothek der Malatesta/Biblioteca Malatestiana in Cesena

In der Bibliothek der Malatesta/Biblioteca Malatestiana in Cesena

In Cesena (3) besuchen wir die Bibliothek der Malatesta, die 1454 eröffnet wurde und zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. „Es ist die einzige Bücherei aus dieser Zeit, die weltweit erhalten ist“, erzählt Paola Errani, die uns führt. Malatesta Novello, letzter Stadtherr von Cesena, hatte seinerzeit einen Architekten beauftragt, diese zu bauen, was fünf Jahre dauerte. Wappentier der Familie ist der über der Tür eingelassene Elefant. „Der Elefant fürchtet die Mücken nicht“, lautet die lateinische Inschrift darüber übersetzt.

Im hallenartigen Leseraum der ersten öffentlichen Bibliothek Italiens befinden sich wie Kirchenbänke anmutende Sitzgelegenheiten und an Pulten angekettete Manuskripte, teils aus dem 9. bis 15. Jahrhundert. „Hier studierte man nur im Sommer, denn es gab keine Heizung und nur wenig Licht“, sagt Paola. Man las über Philosophie, Theologie, Medizin auf Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, und die Bücher werden auch heute noch gelesen. Matthias Köhler, ein Kopist aus Deutschland, notierte einst, dass er das gesamte Geld, das er hier mit Abschreiben verdient, für Wein und Frauen ausgegeben habe.

Italien - Romagna - Italien - Romagna - In der Bibliothek der Malatesta/Biblioteca Malatestiana in Cesena

Von Cesena nach Cesenatico - Vom Meerwasser ins Thermenwasser

Wir rollen weiter bis zum Hafenkanal in Cesenatico (4), den einst Leonardo da Vinci projektiert hatte zum Schutz vor Flutwellen und Sandablagerungen. Restaurierte Barken mit bunten Segeln dümpeln darin. Sie sind Teil des schwimmenden Marinemuseums, das im angeschlossenen Gebäude mehr zu den hier typischen Schiffen und dem Leben mit und vom Meer erklärt. Schräg gegenüber im Ristorante „Il Pirata“ stärken wir uns mit allem, was das Meer hergibt, und wer will, wagt noch einen Sprung in die Adria. Wieder im Gran Hotel Terme della Fratta ist nach der Anspannung Entspannung in der Therme angesagt: Dampfbäder, Erlebnisduschen, Wasserfall, Thermalschwimmbad oder einfach eine lockernde Massage. Man ist auf Radfahrer spezialisiert und bietet zudem eine Fahrradwerkstatt. So können einen auch die Hügel und Buckel der Romagna nicht schrecken.

Italien - Romagna - Burg in Forlimpopoli

Burg in Forlimpopoli

Anderntags probieren wir die Route nach Forlimpópoli (5). Im archäologischen Museum in der 1360 erbauten Burg sind Amphoren ausgestellt, die einst zum Transport von Lebensmitteln genutzt wurden. Vor der Rocca fand schon immer der Markt statt mit allem, was die Gegend zu bieten hat. Es wundert einen nicht, dass gerade in der für ihre Kulinaria bekannten Emilia Romagna der Vater der modernen italienischen Gastronomie wirkte: Pellegrino Artusi (1820 – 1911). In der Casa Artusi, einst ein Kloster (1460 – 80 erbaut), kann man alles über den Feinschmecker und die Kochkunst erfahren. Rezepte sammelte er mit Leidenschaft und gab dazu einen Band heraus „La Scienza in cucina y l’arte di mangiar bene“ (Von der Wissenschaft des Kochens und der Kunst des Genießens). In der ersten Ausgabe, 1891 erschienen, fanden sich 475 Kochrezepte, in der letzten, 1911 erschienenen, 790. Auch ins Deutsche wurde das Werk übersetzt.

Italien - Romagna - Piazza in Forlimpopoli

Piazza in Forlimpopoli

In diesem Kulturzentrum für Gastronomie kann man alles Mögliche erfahren und erlernen. Ich entscheide mich fahrradfahrergerecht für Kohlenhydrate bzw. Nudeln. In einem Pasta-Kochkurs lerne ich von der quirligen Carla Brigladori Pastateig kneten, ausrollen, ausstechen, kochen. Im angeschlossenen Restaurant gibt es heute ein Menü mit Cappelletti-Nudeln als Vorspeise, „kleinen Hüten“ auf Romagna Art, gefüllt mit Ricotta. Zugegeben, sie sind hübscher als die meiner Machart und schmecken hervorragend. Die muss ich nun wieder abstrampeln auf der Weiterfahrt.

Italien - Romagna - Nach dem Radfahren: Pasta-Kochkurs in der Casa Artusi mit Carla Brigladori

Nach dem Radfahren: Pasta-Kochkurs in
der Casa Artusi mit Carla Brigladori

Kein Problem. Die Tour von Fratta Terme via Castrocaro nach Faenza (6) und zurück ist ca. 70 Kilometer lang. Wieder geht es auf kleinen Sträßchen durch die Landschaft und vorbei an Weinreben und Obstbäumen. Doch was sind das für Gewächse? „Kiwis!“, erklärt Igor vom Rad aus. „Hier wachsen die meisten Kiwis außerhalb von Neuseeland.“ Schade, dass sie noch nicht reif sind. Im Agroturismo „La Vezzana“ bei Faenza essen wir zu Mittag und erstehen ein paar Gläschen der hausgemachten Marmelade. Faenza selbst ist berühmt für seine raffinierte Keramik, deren Tradition zurückgeht bis auf die Römer. „I bianchi di Faenza“ wurden schon früher bis nach Preußen, Frankreich und England verkauft. In der Werkstatt „Ceramiche l’Odissea“ dürfen wir Morena und Daniele über die Schulter sehen, wie das Dekor der Fayencen aus einer Wasser- und Glasmixtur aufgemalt und später bei einer Temperatur von 900 ° C Grad acht Stunden lang gebrannt wird.

Italien - Romagna - Keramik in Faenza, hier die „Ceramiche l’Odissea“

Keramik in Faenza, hier die „Ceramiche l’Odissea“

Fazit: Grünes Hinterland, Hügel, verkehrsarme Nebenstraßen, kulinarische Genüsse, jede Menge Sehenswürdigkeiten und nicht zuletzt das Grand Hotel Terme della Fratta mit seinen Entspannungsmöglichkeiten für Radfahrer machen die Region zu einem Highlight. „Romagna mia“ heißt ein bekanntes Lied, das die Region verklärt. Wir singen mit.

 

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