Kasachstan im Überblick

Das riesige, dünn besiedelte Land ist in der Reisebranche ein unbeschriebenes Blatt. Dabei ist es viel mehr als das hierzulande nur schemenhaft wahrgenommene Steppenland, das man mit Nomaden in Verbindung bringt, aus dem dann und wann Raketen in den Weltraum aufsteigen, das sich im internationalen Ölgeschäft etabliert und mit den Umweltsünden einer unseligen Vergangenheit zu kämpfen hat.

Kasachstan

Foto: © Robert Fishman

Zwischen den Ufern des Kaspischen Meeres und den Höhenzügen an Chinas Westgrenze, vom Sibirischen Tiefland bis in das gletscherbedeckte Hochgebirge des Tien Shan überrascht Kasachstan mit einer berauschenden Vielfalt landschaftlicher Schönheiten. Mit blumenübersäten Bergtälern und Sandwüsten, grenzenlosen Steppenlandschaften, Salzseen, den Oasen an der Seidenstraße. Nicht weniger beeindruckend sind die Begegnungen mit den gastfreundlichen Menschen eines bunten Vielvölkergemischs im Herzland Mittelasiens.

Böse Zungen behaupten, Kasachstans Präsident habe ein unmissverständliches Zeichen setzen wollen, als er 1997 das im Norden gelegene alte Provinznest Akmola zur neuen Landeshauptstadt Astana bestimmte. Dazu bewegt habe ihn der beunruhigend große russische Bevölkerungsanteil in dieser Gegend und die in nationalistischen Kreisen Russlands (prominentestes Beispiel: Alexander Solschenyzin) häufig anzutreffende Parole, Nordkasachstan sei eigentlich Südrussland. Im 1.300 km entfernten Almaty reagierten Beamtenheer und Diplomatencorps mit heftigem Widerspruch. Sie sahen sich schon polaren Schneestürmen und glühender Steppensonne ausgesetzt, in das sterile Milieu einer Reißbrettstadt verpflanzt. So harren noch viele Jahre nach der Proklamierung etliche Behörden und nicht wenige Diplomaten in Almaty aus, zumal sich hier hartnäckig das Gerücht hält, der Nachfolger des jetzigen Präsidenten werde die Hauptstadtentscheidung umgehend rückgängig machen…

Derweil werden atemberaubende Summen in den Ausbau Astanas gesteckt. War es einst Oscar Niemeyer, der Brasilia als gigantische artifizielle Stadtskulptur entstehen ließ, so verwirklicht jetzt in Kasachstans Steppe der japanische Architekt Kisho Kurokawa seine Vorstellungen von einer metabolischen Stadt, nach der Städte wie ein Organismus wachsen und sterben. Im Jahre 2030, so seine Vision, dürfte Astana zu den modernsten Städten der Welt gehören und 800.000 Einwohner beherbergen.

Kasachstan, Marktstand

Foto: © Robert Fishman

Wer Abstand braucht von so viel futuristischem Pathos, von neobarocken und postmodernen Verkleidungen, findet in der „kasachischen Schweiz“ Entspannung. Diese wunderschöne, als Nationalpark Borowoje-Kokschetau ausgewiesene Landschaft liegt nördlich der unfertigen Metropole als grüne Insel inmitten der endlosen Steppe. Seine vielen, klaren Seen, bizarren Bergspitzen und reicher Waldbestand (Espen, Birken, Kiefern) machten diese Gegend schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu einem beliebten Erholungsgebiet. Hier gibt es Hotels und kleine Pensionen, Wanderwege und viel Ruhe ringsum. Ganz anders als diese fast mitteleuropäisch anmutende Landschaft zeigt sich rund 135 km südwestlich Astanas das für Mittelasien einzigartige Schutzgebiet Tengiz-Korgaltschin. Ein sogenannter „Steppenendsee“, der Tengiz-See (mit 1.600 km² dreimal größer als der Bodensee), bildet den Mittelpunkt eines weitläufigen Feuchtgebiets, das von dem Fluss Nura gespeist wird. Er durchfließt zunächst den fischreichen Korgaltschiner Süßwassersee (330 km²), um im salzigen Tengiz zu enden. Der hohe Salzgehalt, der den des Meerwassers um das Fünf- bis Sechsfache übersteigt, ist eine Folge der enormen Verdunstung. Das Schutzgebiet mit einer Fläche von etwa 2.400 km² ist ein Paradies für Zugvögel und die einheimische Vogelwelt. Hier trifft man auf Krauskopfpelikane, Rosa Flamingos, Steppenadler und Jungfernkraniche. 340 Pflanzenarten sind hier heimisch und unter den Säugetieren hält sich die seltene Saiga-Antilope und auch der langbeinige Steppenwolf. Überlegungen gehen dahin, das heutige Schutzgebiet zu einem UNESCO-Biosphärenreservat auszuweiten. Unter Mitwirkung des Naturschutzbundes Deutschland e. V. (NABU), der Universität Greifswald und der Akademie der Wissenschaften in Almaty entstand der Plan, eine breite Pufferzone, die schädliche Einflüsse verringert, um das dann auf 24.000 km² (etwa die Größe Sardiniens) erweiterte Schutzgebiet zu legen.

Und noch ein Ausflugsziel in der „näheren“ Umgebung Astanas lohnt einen Abstecher: der Nationalpark Bayanaul. Die bergige Waldoase im östlich gelegenen Bezirk Pavlodar bietet auf einer durch Wanderpfade erschlossenen Fläche von 450 km² bizarre Felsformationen, idyllische Seen und Steppenlandschaften.

Die Entfernungen im Land sind gewaltig. Es dauert Stunden, bis am östlichen Horizont die mächtigen Ausläufer des Altai-Gebirges auftauchen, dessen Hauptmasse sich über die Territorien Russlands, Chinas und der Mongolei verteilt. Der Anteil Kasachstans an diesem Hochgebirgssystem zählt zu den eindrucksvollsten Landschaften des Landes – ein traumhaftes Eldorado für Naturfreunde, ein grandioser Schauplatz unberührter Naturschönheiten wie Gletscherpartien, Nadelwald-Taiga, Tundren und Bergwiesen, Laubwäldern, unzähligen fischreichen Gewässern, einer unvorstellbaren Artenvielfalt. Spezialagenturen organisieren Berg- und Wandertouren, auch Kanufahrten und Ausritte zu Pferde. Und über allem thront die Belucha („die Weiße“), mit 4.506 m der höchste Gipfel des Altai. Fast 1.500 m hoch liegt der wunderschöne, kristallklare Markakol-See im Zentrum eines geschützten Naturreservats und im Altai-Vorland schlängelt sich der Zaisan-See durch Bergtäler und stark erodierte Wüstenlandschaften.

Einen großen Sprung südlich, jenseits von Targataj-Gebirge und Alakol-Salzsee, erstreckt sich längs der Grenze zu China der Dsungarische Alatau, ein noch unerschlossenes Bergmassiv voller vielversprechender touristischer Ziele. Vor seiner Nordflanke breitet sich die weite Ebene des Siebenstromlandes aus, so benannt nach den sieben Flüssen, die den Landstrich durchziehen. Es ist ein relativ dicht besiedeltes, intensiv bewässertes Gebiet, wo etwa 1/5 der kasachischen Bevölkerung lebt. Der Ile, Hauptfluss des Siebenstromlandes, bildet ein 8.000 km² umfassendes Delta an der Einmündung in den riesigen Balchasch-See, dem er allein 75 % des Wassers zuführt. Der abflusslose See stellt mit seinem Umfeld eines der weltweit größten See-Ökosysteme dar, freilich stark gefährdet durch Industrieansiedlungen und rücksichtslose Wasserentnahme aus den Zuflüssen. Je nach Wasserentnahme und Niederschlagsmengen im Quellgebiet der Flüsse schwankt die Größe des Sees zwischen 17.000 und 22.000 km². Er ist etwa 600 km lang und bis zu 70 km breit. An seiner schmalsten Stelle trennt eine Sandbank den See in eine westliche Süßwasserhälfte und in einen salzigen, mineralreichen Ostteil. Der von November bis März/April zugefrorene See ist von Halbwüsten im Norden und Sandwüsten im Süden umschlossen.

Kasachstan

Foto: © Robert Fishman

Almaty, Kasachstans heimliche Hauptstadt, hat nur wenig an Bedeutung eingebüßt, seit Astana ihr den Rang streitig macht. Ausgezeichnet mit dem Prädikat „Stadt mit besonderem Status“, ist das frühere Alma-Ata noch immer wichtigster Verkehrsknotenpunkt des Landes, sein Wirtschafts- und Finanzzentrum, kultureller und akademischer Mittelpunkt. Die Stadt breitet sich in lockerer Bauweise über die sanften Nordhänge des schneebedeckten Zaili Alatau in 750 – 1050 m Höhe aus, in der Ferne überragt von den Siebentausendern des Tien Shan. Almaty ist eine grüne, wasserreiche Stadt voller Parks und Gärten und sie ist „überreich an Apfelbäumen“, so die wörtliche Übersetzung von Almaty. Hier finden Touristen gute Hotels und Restaurants, anspruchsvolle kulturelle Events und sogar ein flottes Nachtleben. Reiseagenturen organisieren Ausflüge zu den renommierten Wintersportorten Medeu und Shymbulak, in die unberührte Bergwelt vor Almatys Haustür und zum weiter entfernten Charyn Canyon, der mit 80 km Länge und steilen, zerklüfteten, 100 – 300 m aufragenden Wänden nicht zu Unrecht „kleiner Bruder des Grand Canyon“ genannt wird. Auch die „Singenden Dünen“ sind ein lohnendes Ausflugsziel, ein einzigartiges Naturphänomen, 120 m hoch und bis zu 4 km lang, wo trockenes Klima und Wind den Sand zum „Singen“ bringen – ähnlich den Tönen einer Orgel.

Entlang der kirgisischen Grenze führt die Reise durch das westliche Tien Shan-Gebirge in das Aksu-Zhabagly-Naturreservat. Hier erwarten den Besucher Gletscher und Canyons, reißende Bergflüsse, viele endemische Pflanzen, seltene Tiere wie der Schneeleopard und wenn der Zufall es will, begegnet man sogar dem kasachischen Yeti, den sie hier „kiyik adam“, Schneemensch, nennen.

Die moderne Stadt Shymkent liegt an der mittleren Route der legendären Seidenstraße, an der sich zahllose kulturhistorisch und architektonisch interessante Orte aufreihen wie Taraz, die alte Handels- und Handwerkerstadt. An ihre Blütezeit erinnern zwei Herrschermausoleen, oder Otrar, Geburtsort des großen Denkers Al-Farabi, im Mittelalter ein wichtiger Handelsplatz, den gerade Archäologen freilegen. Schließlich ein muslimisches Pilgerziel, das wunderbar erhaltene Mausoleum des Arystan-Bab. Er war der Lehrer des Hodja Ahmed Yassawi, der im nahen Turkestan seine letzte Ruhestätte fand. Yassawi, der große Sufi-Poet und Relitionsstifter, der den Kasachen den Islam brachte, starb 1166. Mehr als 200 Jahre später ließ Mongolenführer Timur (der berüchtigte Tamerlan) das großartige Mausoleum zu Ehren Yassawis errichten, einen 46,5 x 65,5 m großen und bis zu 37,5 m hohen Prachtbau, dessen 2 – 3 m dicke Mauern eine türkisfarbene Kuppel von 18 m Durchmesser tragen. Der blockhaft geschlossen wirkende Bau erinnert nicht zufällig an die großen, persisch beeinflussten Medresen und Mausoleen in Usbekistan, war doch sein Architekt ein Perser aus Shiraz.

40 km nördlich von Turkestan erheben sich in der dürren Steppe die bröckelnden, aber noch immer beeindruckenden Mauerzüge, Tore und Bastionen der Festung Sauran. Burg und Stadt bildeten im Mittelalter ein bedeutendes Zentrum an der Seidenstraße.

Den Wüstenfluss Syrdarya abwärts, begleitet von den verwehten Spuren der Seidenstraße, einer Eisenbahntrasse und der Autopiste, bewegt man sich auf ein Terrain zu, das schlagartig berühmt wurde, als 1961 Juri Gagarin von hier zum ersten bemannten Weltraumflug aufstieg: Kosmodrom Baikonur. Bis vor wenigen Jahren noch hermetisch abgeriegelt, öffnet es sich jetzt zögernd ausländischen Besuchern. Russland hat 1994 für 20 Jahre 6.000 km² des Geländes mit etwa 80 zivilen und militärischen Abschussrampen zum Preis von 116 Mio. Dollar jährlich von Kasachstan gepachtet – einschließlich aller Schrottberge und hochgiftigen Treibstoffrückstände.

Der durch größenwahnsinnige Bewässerungsprojekte um sein Wasser gebrachte Syrdarya versickert nordwestlich von Baikonur in der Steppe. Wie sein „Bruderfluss“, der Amudarya in Usbekistan, erreicht auch er nicht mehr den Aral-See, sein eigentliches Ziel. So hat sich seit 1960 die Wasserfläche des einst viertgrößten Binnensees der Welt auf etwa 30.000 km² halbiert und in einzelne Becken aufgeteilt. Das Wasser ist inzwischen hoch salzhaltig, die Fischerei am Ende, ein ökologisches Desaster nimmt seinen Lauf.

Die Provinzen am Kaspischen Meer, Kasachstans ferner Westen, sind durch reiche Ölfunde in jüngster Vergangenheit in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Zweifellos steht der Region eine stürmische Entwicklung bevor. Sie mag der lahmenden Wirtschaft auf die Beine helfen, wird aber zwangsläufig die hier noch weitgehend intakte Natur gefährden, sagen besorgte Anwohner und erfahrene Naturschützer voraus. Das Hinterland von Atyrau am trägen, mäandernden Ural-Fluss, der die Grenze zwischen Europa und Asien markiert, und die Halbinsel Mangyschlak bis zum Ustjurt-Plateau an der usbekischen Grenze mit ihren großartigen, stark erodierten Wüsten- und Steppenlandschaften und der für solche Landformen typischen Vegetation und Tierwelt , sind in großen Teilen noch fast unberührte Naturparadiese. Das lässt sich so richtig zünftig erleben, wenn man im geschützten Mündungsdelta des Ural zwischen kleinen Inseln und Schilfwäldern dem Angelsport huldigt und dabei kapitale Exemplare an der Angel hat, von denen man daheim nur träumen kann. Wenn man das Abenteuer einer Jeep-Tour durch die hitzeflirrenden Wüstenregionen auf sich nimmt oder die unerwartet große Zahl historischer Bauten dieses Landstrichs erkundet (zehntausend sollen es angeblich sein). Auffallend besonders die vielen Nekropolen mit ihren aus Sandstein errichteten, phantasiereich ornamentierten und bis zu neun Meter hohen Mausoleen aus der Zeit zwischen dem 13. und 20. Jahrhundert. Oder eine andere Besonderheit: unterirdische Moscheen – tief in den anstehenden Fels geschlagene Versammlungsorte für die Gläubigen.

Eckart Fiene




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