Text und Fotos: Judith Weibrecht
Luxemburg. 600 Kilometer an Radwegen gibt es im Großherzogtum, aus denen bald 900 Kilometer werden sollen. Radreisende können wählen zwischen 23 nationalen Radrouten, Radwegen durch die Stadt, flach verlaufenden auf ehemaligen Bahntrassen oder hügeligen durch die Ardennen.
Schengen, RTL, Großherzogtum, Sterneköche – was einem zu Luxemburg einfällt, passt im Normalfall auf eine Postkarte. Radsportbegeisterte werden vielleicht noch die Schleck-Brüder nennen. Also hinfahren, nachschauen: In „d' Stad“, in Luxemburg, hört man Lëtzebuergesch, Französisch, Deutsch und Portugiesisch. Die ersteren drei Sprachen sprechen die Einheimischen, die letztere spricht die größte Einwanderergruppe des kleinen Landes. Multikulti ist Normalität.
Moien!
Im Restaurant spricht man normalerweise Französisch, die Küche ist ja französisch angehaucht. Das Leibgericht der Luxemburger jedoch ist deftig: Judd mat Gaardebounen aus gepökeltem Schweinehals, dazu Saubohnen und Kartoffeln. Wenn es um Kultur geht, dann redet man oftmals Deutsch. Die Schwätzchen hingegen hält man auf Lëtzebuergesch. „Moiën!“ oder „Welkomm!“ heißt es, wenn man grüßt.
VelóH, öffentliches Fahrradverleihsystem in Luxemburg-Stadt
Durch die Stadt Luxemburg (1) gibt es vier verschiedene geführte Radtouren. Mithilfe des Fahrrad-Stadtplans „Bike promenade“ kann man sie auf eigene Faust unternehmen und vielleicht ein Rad des städtischen Verleihsystems Vel'oh ausliehen. Die auffälligen silbern-blauen Räder und die dazu gehörigen Mietstationen sind übers ganze Stadtgebiet verteilt. Wir jedoch mieten unsere Räder bei dem gemeinnützigen Verein „Vélo en ville“, der Jugendliche unterstützt, und fahren mit Touristguide Cathy Giorgetti los.
Denkmal für die luxemburgischen Gewinner der „Tour de France“
Das Herz der Stadt schlägt auf der Place d'Armes, wo man italienischen Cappuccino, französischen Wein oder belgisches Bier trinkt. In einem Park prangen Gedenktafeln für Charly Gaul, den „Engel der Berge“, und weitere berühmte Luxemburger Radfahrer. Er wäre von der Altstadt im Stadtteil Grund aus mit seiner sehenswerten Abtei Neumünster sicher schneller auf das Plateau und zu den Bockkasematten hoch geflitzt als wir. Doch auch Fahrradaufzüge stehen in der Stadt, die auf zwei Niveaus in Unter- und Oberstadt geteilt ist, zur Verfügung.
Im Stadtteil Grund
Oben auf dem Kirchberg bewundern wir die moderne Architektur: Prestigeträchtigen Bauwerke wie die neue Philharmonie, den Europäischen Gerichtshof, eine stählerne Skulptur von Richard Serra oder das futuristischen Mudam, Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean mit einer 40 Meter hohen Glaspyramide.
Philharmonie im Stadtteil Kirchberg
Die stählerne rote Brücke, Rout Bréck oder Pont Grande-Duchesse Charlotte spannt sich weit über dem Pfaffenthal aus. Von ihr waren früher viele Selbstmörder gesprungen und so hatte man sie in den 90er Jahren mit hohen, zur Straßenseite der Brücke hin gewölbten Plexiglaswänden zu beiden Seiten versehen. Auch in Tom Hillenbrands Luxemburg-Krimi begeht einer dort Selbstmord. Die Brücke scheint der rechte Platz dafür, wirkt sie doch nicht gerade wie ein hübsches Kunstwerk, sondern eher fremd, wie sie so rostrot die grüne Landschaft überspannt. „Der Architekt“, erzählt Brigitte Goergen vom ONT Luxemburg, „hat es auch nicht ausgehalten, dass sich von 'seiner' Brücke dauernd Leute in den Tod stürzten.
Ab Kleinbettingen (2) fährt man ganz gemütlich auf einer ehemaligen Bahntrasse auf dem Radweg Nr. 12, der Piste Cyclable de l'Attert. „Das ist einer der 600 Kilometer an Radwegen!“ sagt unser einheimischer Fahrradguide Norbert Streweler stolz und dass man schließlich nicht jeden Tag ein Land durchqueren könne. In Luxemburg jedoch sei das möglich. Das Land ist bis zu 54 Kilometer breit und 82 Kilometer lang und von Radwegen durchzogen. Radweg Nr. 12 führt uns geradewegs durch einen beleuchteten Tunnel und weiter unter dichtem Laubwerk und über grünes Land nach Beckerich (3).
Auf dem Radweg PC 12 „Piste cyclable de l'Attert“ geht’s durchs Miselerland
„Hier sind wir im wilden Westen!“, sagt Julia Schrell, die uns durch die Beckericher Mühle führt, „und an der Grenze zu Belgien“. Um die einstige Mühle kümmert sich seit 2004 der rührige, gemeinnützige Verein „d'Millen asbl“. Hier befindet sich ein Fair-Trade-Laden, eine Bücherstube, eine Kunstgalerie, ein Café und Restaurant mit regionalen Gerichten, und kulturelle Veranstaltungen werden organisiert. Die Bannmühle geht auf eine Gründung Johann des Blinden zurück, der sie 1328 an die Nonnen der Abtei Noble de Notre Dame von Clairefontaine abtrat. Seit 1797 klapperte die Mühle im Privatbesitz.
Im Asterix-Dorf
In der restaurierten Sägerei treffen wir den ehemaligen Schreiner Jos Schweicher, der hier zusammen mit anderen Pensionären die alten Maschinen wieder zum Laufen gebracht hat. Ganze 60 Handwerksberufe hat es rund um die Mühle einstmals gegeben. Die wichtigsten waren wohl die Korbmacher, denn rund um den Dorfweiher standen einst Weiden. Korbflechterkurse werden heutzutage wieder angeboten. „Beckerich ist ja das Asterix-Dorf Luxemburgs“, erzählt Schweicher, „denn es wollte unabhängig werden von der Stromversorgung.“ Tatsächlich war es eines der ersten Dörfer Luxemburgs, das über eine autarke Stromversorgung verfügte und ist heute „das grünste Dorf Luxemburgs“ mit Biogasanlage und der ersten Elektrotankstelle im Land. Die Häuser werden durch heißes Wasser beheizt. Nachhaltigkeit wurde durch das große Engagement der Bürger erreicht.
Jos Schweicher, einer der ehemaligen Mitarbeiter der Beckericher Sägerei, kümmert sich heute ehrenamtlich um die Maschinen und erklärt alles
Über Useldange (4) im Tal der Attert geht es auf Wald- und Wirtschaftswegen und kleinen Nebenstraßen nach Colmarberg (5). Leider schüttet es wie aus Eimern und der Bahnhof ist nirgends ausgeschildert. Das treibt auch den immer gut gelaunten Fahrradguide Streweler zur Weißglut: „Ein Bahnhof müsste doch am Radweg ausgeschildert sein!“ frotzelt er. Zwei Frauen weisen den Weg. Uff. Doch eine Durchsage bringt uns erneut auf Trapp: „Der Zug fährt heute ausnahmsweise von Gleis zwei ab!“ Also Rad geschultert, Treppe runter, Treppe wieder rauf und hinüber auf den anderen Bahnsteig. Gepäcktransport sei Dank reist unsere neunköpfige Gruppe nur mit leichtem Tagesrucksack oder kleiner Packtasche - ein Service der luxemburgischen bed + bike Gastbetriebe.
Stuff und Hunn
Die Züge der luxemburgischen Bahn bieten kostenlose Fahrradmitnahme. In den Sommermonaten oder als Gruppe sollte man allerdings vorreservieren. In Wilwerwiltz verlassen wir die gastlichen Zug und entern in Lellingen (6) zwecks Mittagessen die „Lellger Stuff“, Lellinger Stube, wo es gemütlich und rustikal zugeht. Regen durchtränkte, tropfende Radfahrer sind kein Problem. „Sooo, nur herein!“, sagt die Wirtin und serviert Deftiges.
Am Radweg PC 22 Piste cyclable des Ardennes, Ardennen-Radweg von Lellingen nach Vianden
Solchermaßen gestärkt geht’s nun auf dem Radweg 22 in die Ardennen und eine zwei Kilometer lange, 5%ige Steigung hinauf. Die 39 Kilometer nach Vianden (7) führen über die Ardennenhügel und auf Hochplateaus mit weiten Ausblicken auf nun wieder in der Sonne glitzernde Felder und Wälder, durch grüne Täler und friedliche Dörfer. Das putzige Vianden an der Our, von hoch aufragenden Hügeln und Felsen umgeben, ist unser Ziel. Auf einem thront die mächtige, mittelalterliche Schlossurg Vianden aus dem 9. Jahrhundert. Touristen schleichen auf Kopfsteinpflaster durch die Dorfgassen, vorbei an schmucken Adels- und Bürgerhäusern. In einem Haus an der Our_Brücke lebte 1871 Victor Hugo für drei Monate im Exil und schrieb. Heute ist darin das „Musée littéraire Victor Hugo“ untergebracht. Beim „Hunn“ im Ort wird Rustikales serviert, Fleischbacken oder Pferdefleisch vom Holzkohlen-Grill. Das sollte man pröblen, probieren. Auch das Ambiente passt dazu: Fachwerk.
Die Hofburg Vianden
Addi!
Morgens nach dem „Kaffi drénken“ radeln wir die Our und dann die Sûre oder Sauer entlang auf dem Radweg 3 „Piste cyclable des Trois Rivières“. Er führt uns vorbei an Sandsteinformationen und grünen Hügeln durch durch die Region Mullerthal, die Kleine Luxemburger Schweiz. Doch steil wie bei den Eidgenossen geht es hier nicht zu: Die Route verläuft flach, das letzte Stück direkt die sanft gluckernde Sûre entlang bis Echternach (8), die Stadt von Bischof Willibord. Alljährlich zieht am Dienstag nach Pfingsten die Springprozession durch die Stadt und Tausende von Schaulustigen an.
Für mich heißt es nun zurück in „d'Stad“ und „Addi!&ldquo
Hätten Sie gedacht, dass das Großherzogtum Luxemburg gerade mal so groß ist wie das benachbarte Saarland, bei einem Drittel der Einwohnerzahl? In keinem anderen Land Europas gelangen Sie so schnell von einer Landschaftsform zur anderen. Landschaften, die zudem noch sehr gegensätzlich sind, wie das Industriegebiet im Süden und die tiefen Ardennenwälder im Norden, die bizarren Felsformationen der Kleinen Luxemburger Schweiz und der Naturpark Obersauer, oder die Weinberge entlang der Mosel und die Burgen und Schlösser im Ösling.
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Erstmals in der Geschichte der Europäischen Kulturhauptstädte trägt Luxemburg den Titel nach 1995 im Jahr 2007 zum zweiten Mal. Ebenfalls zum ersten Mal hat die Europäische Kommission eine grenzüberschreitende Großregion zur Kulturhauptstadt ernannt: Das Großherzogtum Luxemburg, die deutschen Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland, Wallonien, die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens und das französische Lothringen - ein Gebiet mit rund elf Millionen Einwohnern auf 65.000 Quadratkilometern. Das wäre so, als würde man fast ganz Bayern zur Kulturhauptstadt erklären.
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Hauptstadt des Großherzogtums und die europäische Bankenmetropole schlechthin. Ohne Brückenschläge zwischen Oberstadt und den anderen Vierteln wäre das Leben dort sehr beschwerlich. Auch ein Aufzug von der Unterstadt in die Oberstadt erleichtert den Alltag. Neben der Adolphbrücke, die die Altstadt mit dem Bahnhofsviertel verbindet, und der Grande-Duchesse-Charlotte-Brücke zwischen Stadtzentrum und Bankenviertel sind es die dicken Festungsmauern und die Kasematten, die wie die Kirchtürme oder das hoch aufragende Europäische Zentrum das Stadtbild prägen.
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