Christchurch

Die größte Stadt der Südinsel Neuseelands nach den Erdbeben 2010 und 2011

Text und Fotos:  Sissi Stein-Abel

Christchurch ist nach zwei schweren Erdbeben am 4. September 2010 und am 22. Februar 2011 schwer angeschlagen, aber nicht tot. Das ist die Botschaft, die der Tourismusverband der Region unermüdlich verkündet, um den Besucherrückgang seit den Naturkatastrophen nach den Beben der Stärke 7,1 und 6,3 auf der Richterskala zu stoppen. Schwerpunkt der PR-Offensive ist, Neuseeland-Besuchern klar zu machen, dass nicht die ganze Region Canterbury in Schutt und Asche liegt, nicht einmal ganz Christchurch.

Das stimmt. Und wer sich von den unregelmäßigen Nachbeben - die gelegentlich schon Angst einjagen können – nicht schrecken lässt, hat sogar in Christchurch einiges zu tun. Der Internationale Flughafen ist nach wie vor das Tor zur Südinsel Neuseelands. Fast alle Autoverleihfirmen und Motels haben geöffnet, der TranzAlpine-Zug zwischen Christchurch und Greymouth verkehrt täglich, und viele Traumziele sind nur eine Kurzreise entfernt: Arthur’s Pass, Kaikoura, die Banks-Halbinsel mit ihrem französisch geprägten Vorzeigeort Akaroa, Lake Tekapo, Edoras aus der „Herr der Ringe“-Trilogie, Hanmer Springs.

Neuseelnad - Christchurch - Dean’s Cottage, das älteste Haus der Stadt

Dean’s Cottage, das älteste Haus der Stadt

Auch zahlreiche Besucherattraktionen direkt in Christchurch haben längst wieder geöffnet, darunter die Wildparks The Willowbank und Orana Park, das Internationale Antarktis-Zentrum, das Luftwaffenmuseum, der Riccarton Bush und Dean’s Cottage, das älteste Haus der Stadt. Schon seit Ostern 2011 sind die Gondeln auf dem Avon einsatzbereit. Der Botanische Garten und der Hagley Park am Rande der abgesperrten Kernzone der größten Stadt der Südinsel Neuseelands sind so schön und einladend wie eh und je. Teile der Kammstraße in den Port Hills, die Christchurch und die Bucht von Lyttelton trennen, können befahren werden, viele Wanderwege sind begehbar.

Neuseeland - Christchurch - Hagley Park

Narzissenblüte im Hagley Park

Mehrere Wochenmärkte buhlen um Besucher, insbesondere jene in Lyttelton, am Riccarton House und der Rotary Market im Riccarton Park (an der Pferderennbahn). Zahlreiche Verkaufsbuden, die früher auf dem Cathedral Square und am Wochenende am Arts Centre zu finden waren, sind an die Oxford Terrace am Rande des Innenstadt-Sperrgebiets (Nähe Bridge of Remembrance) umgezogen. Die Art Gallery, die nach den beiden Katastrophen für mehrere Monate zum Einsatzzentrum des Zivilschutzes umfunktioniert worden war, wurde hingegen erst 2013 wiedereröffnet, da überraschenderweise umfassende Reparaturarbeiten nötig wurden. Das Canterbury-Museum war zwischendurch ein halbes Jahr geöffnet, weil es die Erdbeben nahezu unbeschädigt überstanden hatte. Aber nach einer weiteren Inspektion schloss wieder, ist allerdings wieder geöffnet. Es ist das tägliche Hin und Her, das die Menschen in Christchurch nur allzu gut kennen.

Christchurch Containers Cashmere Demolition

Christchurch Containers Cashmere Demolition

Jeden Tag feiern Restaurants, Cafés und Läden ihre Wiedereröffnung, allerdings nicht in der gewohnten Umgebung, sondern bunt verstreut in den Vororten, die einen in soliden Gebäuden, die anderen in Containern, die das neue Markenzeichen der Stadt geworden sind. Die quietschbunte Re:Start-Container-Mall (Cashel Mall, seit Ende 2012 an anderer Stelle) mit seinen Läden, Cafés und Fressbuden ist zu einer neuen Besucherattraktion geworden.

Neuseeland - Christchurch - beschädigte Kathedrale

Beschädigte Kathedrale

Davon können die Geschäftsleute der Innenstadt rund um die Anglikanische Kathedrale, deren Turm am 22. Februar um 12.51 Uhr in sich zusammenfiel und seither Symbol der unfassbaren Zerstörung ist, nur träumen. Noch lange wird ein hoher Zaun Einheimische und Fremde daran hindern, das einstige Geschäftszentrum zu betreten, zu gefährlich ist die „Rote Zone“ mit zahlreichen einsturzgefährdeten Hochhäusern, die nach und nach entweder repariert und verstärkt oder aber abgerissen werden. In der Stadt ist ein Kampf um die Erhaltung der beschädigten historischen Gebäude entstanden. Auf der einen Seite stehen die Pragmatiker, die möglichst schnell möglichst alles plattmachen wollen, was die Erdbeben nicht unversehrt überstanden hat, und die Stadt als Ansammlung moderner Schuhkarton-Gebäude aus Glas, Beton und Stahl wiederauferstehen lassen wollen. Auf der anderen Seite kämpfen geschichtsbewusste Cantabrians um die aufwendige Reparatur und Rekonstruktion der neugotischen Prachtbauten, die das Gesicht von Christchurch geprägt und definiert – und im Fall der Anglikanischen Kathedrale - sogar den Namen gegeben haben. Dieser Kampf ist auch gegen die (kanadische) Bischöfin und ihre Berater gerichtet, die das Wahrzeichen der Stadt verwahrlosen ließen, um es jetzt vollends zu „dekonstruieren“ und die Versicherungsgelder anderweitig zu investieren. Ende 2012 soll an anderer Stelle (am Latimer Square) eine temporäre Kathedrale aus Pappe und mit einem gelben Schweizer Käsefondue-Dach stehen.

Neuseeland - Christchurch - die Provincial Chambers

Wie ein trostloser Schutthaufen: die Provincial Chambers

Ohne hier Katastrophen-Tourismus anzupreisen, aber ein Spaziergang an den Absperrgittern entlang ist ein Augenöffner und erlaubt Einblick in die Zerstörungskraft eines Erdbebens, ohne dass man die Privatsphäre der Einheimischen stört, denn hier waren Geschäfte zu Hause, hier standen einige der Meisterwerke der neogotischen Architektur, die das Gesicht von Christchurch prägte, jene mit weißem Stein gesäumten schlanken Gebäude aus grauem Granit, die jetzt wie ein trostlose Schutthaufen darniederliegen, so wie die Provincial Chambers, oder ihre Giebel, Türmchen und Fassaden verloren haben, so wie das grandiose Arts Centre.

Neuseeland - Christchurch - Arts Centre

Arts Centre

Wer nicht viel über Erdbeben weiß, sieht, dass Holzgebäude die erbarmungslosen Rüttler besser weggesteckt haben als die aus Ziegelsteinen gemauerten Häuser. Den Leuten in Christchurch ist mittlerweile klar, dass die Stadt niemals in dieser morastigen Ebene hätte gebaut werden sollen, denn der instabile Untergrund verflüssigte sich bei den Beben, riss die Straßen auf, überflutete sie mit Sand und Schlamm, ließ Kanalisationsrohre bersten, verschluckte Existenzen und Erinnerungen.

Christchurch - zertrümmertes Auto

Aber hinterher ist man immer klüger. Bis zum September-Erdbeben wusste niemand, dass unter Christchurch überhaupt geologische Verwerfungslinien liegen. Wo andernorts abrupte Stufen in der Landschaft auf solche Phänomene hinweisen, waren diese Warnsignale der Natur hier unter dem Schwemmsand der Flüsse Waimakariri im Norden und Rakaia im Süden begraben. Christchurch galt als einigermaßen sicherer Ort in dem geologisch instabilen Land, das über der Schnittstelle zweier aneinander reibender Kontinentalplatten liegt. Die Frage war eigentlich nur, wie stark die Stadt im Falle eines Erdbebens der Stärke 8,0 auf der Großen Alpinen Verwerfungslinie, die von Nelson im Nordosten zum Milford Sound im Südwesten verläuft, in Mitleidenschaft gezogen würde.

Neuseeland - zerstörtes Backsteinhaus in Port Hills

Zerstörtes Backsteinhaus in Port Hills

Mit dem neuen Wissen hätte sicherlich auch niemand direkt auf den Klippen gebaut, wie in den Küstenvororten Redcliffs und Sumner, das dank seiner südländischen Promenade auch bei Touristen beliebt war. Große Teile dieser Klippen sind abgebrochen und in die Tiefe gestürzt. Einige Häuser wurden darunter begraben. In anderen Orten entlang der Port Hills zertrümmerten herabrollende Felsbrocken Gebäude. Die meisten der 181 Toten starben jedoch in zwei kollabierten Betonhochhäusern in der Stadtmitte.

Christchurch - umgestürzte Grabsteine auf einem Friedhof am Avon

Umgestürzte Grabsteine auf einem Friedhof am Avon

Das Erdbeben im September 2010 richtete in den westlichen Vororten einigen Schaden an, vornehmlich aber weiter draußen in der Nähe des 70 Kilometer von Christchurch entfernten Epizentrums in der Nähe des Ortes Darfield und in der Stadt selbst entlang der instabilen Ufergebiete des Flüsschens Avon. Die Zerstörungskraft im Februar 2011 war so massiv, weil das Epizentrum bei Lyttelton unter den Port Hills lag, nur zwölf Kilometer von der Kathedrale entfernt.

Nicht nur die City glich einem ausgebombten Kriegsgebiet, sondern auch Lyttelton, wo 1850 die ersten englischen Siedler anlegten, sämtliche küstennahen Vororte im Osten und erneut die Stadtteile entlang der Flüsse Avon und Heathcote. Diese Urgewalt der Natur ist beim Ruderclub am Avon (beim Porritt Park) besonders gut zu sehen. Dort, wo früher ein sauberer Rasen zum Hinsitzen einlud, klafft auf fast hundert Metern Länge ein mehrere Meter breiter tiefer Graben, der mittlerweile mit Sand zugeschüttet worden ist. Daneben hat sich der Kunstrasen des Hockey-Stadions in ein Wellenbad verwandelt.

Neuseeland - Christchurch - Erdverschiebungen im Porritt Park

Erdverschiebungen im Porritt Park

Wohngebiete sollte man tunlichst meiden; die Menschen sind schon gestresst genug angesichts ihrer zerstörten Häuser und Lebenspläne. Aber an den Stränden in New Brighton, Sumner und Taylor’s Mistake kann man wieder spazieren gehen. Dort zu baden, ist trotz sich bessernder Messwerte nicht zu empfehlen, solange das Kanalisationssystem nicht komplett repariert ist und Abwasser in die Flüsse geleitet wird.

Neuseeland - Christchurch - Strand in Sumner

Strand in Sumner

Wer durch Christchurch fährt, sollte dies mit größter Vorsicht tun, denn viele Straßen sind nur notdürftig repariert, aufgerissene Gräben mit Kies zugeschüttet. Von einem Meter zum anderen können plötzlich Kanaldeckel und Beulen überstehen. Glatter Asphalt führt direkt in eine von Schlaglöchern und Rissen übersäte Rüttelstrecke. Alles Folgen der viel diskutierten Verflüssigung des Untergrunds, auf Englisch: liquefaction.

Da die meisten großen Hotels im jetzt abgesperrten Zentrum lagen bzw. liegen, hat Christchurch mehrere tausend Gästebetten verloren. Von den Motels musste kaum eines schließen, mehr als einhundert sind verfügbar. Da aber viele auswärtige Arbeiter und Einsatzkräfte darin wohnen, empfiehlt es sich, auch außerhalb der Hochsaison Zimmer zu reservieren. Das soziale Leben hat sich in die Vororte verlagert, nach Riccarton, Merivale, Papanui, Sydenham und Addington. Wer Restaurants in der Nähe seiner Unterkunft finden möchte, sollte sich am besten in Riccarton oder Merivale einquartieren. An manchen Tagen ist es auch ratsam, einen Tisch im Restaurant zu reservieren, da auch diese Auswahl geringer geworden ist.

Reiseinformationen zu Christchurch

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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