REIHE UNTERWEGS

Fish’n’Chips vom Lebensretter

Rathlin Island / Nordirland

Text und Fotos: Winfried Dulisch

Wo landete ein milliardenschwerer Ballonfahrer, als ihm die heiße Luft ausging? – Auf Rathlin Island. – Wo beobachten die Birdwatchers eine Dreizehenmöwe und den Papageientaucher? – Auf Rathlin Island. – Und wo im Vereinigten Königreich aß Winfried Dulisch zwei große Portionen Fisch mit Kartoffel-Chips, obwohl er woanders immer ausdrücklich „fish’n’chips – but without chips“ verlangt? – Ebenfalls auf dieser kleinen Insel an der nordirischen Küste.

Nordirland - Rathlin Island, Hafeneinfahrt

Rathlin Island, Hafeneinfahrt

Bitte nicht verwechseln mit Rathlin O’Birne Island (irisch-gälisch: Reachlainn Uí Bhirn), denn dieses Atlantik-Eiland liegt im Nordwesten der Republik Irland zwei Kilometer vor der Küste von Donegal. Rathlin Island (1) mit dem irisch-gälischen Namen Reachlainn liegt zehn Kilometer vom nordirischen Festland entfernt, bei gutem Wetter sieht man von dieser Insel aus das 25 Kilometer weiter östlich liegende Schottland.

Das L-förmige Rathlin Island erstreckt sich in Ost-West-Richtung sieben Kilometer, von Nord nach Süd gerade mal vier. Dieser nördlichste Punkt von Nordirland hat nicht einmal ein Viertel der Größe von Sylt. 1845 wanderten ungefähr 500 Menschen von Rathlin aus nach den USA. Heute leben knapp 100 Menschen auf dieser einzigen nordirischen Insel, die noch bewohnt ist.

Als weitere nennenswerte Ereignisse verzeichnet die Insel-Chronik: 795 nach Christus landeten Wikinger auf Rathlin; 1575 töteten englische Soldaten hier schottische Frauen und Kinder, die auf die Insel geflohen waren; 1898 testete der Physik-Nobelpreisträger Guglielmo Marconi die Möglichkeit einer Funkverbindung zwischen dem Festland und Rathlin Island, die Verbindung klappte.

1987 plumpste der Heißluftballon von Sir Richard Charles Nicholas Branson nach einem erfolgreichen Atlantik-Weltrekordflug in die Nordsee vor Rathlin. Der Fährman Tommy Cecil und der Fischer Neil McFaul holten den Milliardär da wieder raus.

Nordirland - Rathlin Island - Neil McFaul auf der Fähre nach Rathlin

Neil McFaul auf der Fähre nach Rathlin

Richard Branson verdiente seine erste Million mit “Virgin Records”. Aus dieser Plattenfirma entwickelte sich „Virgin Airlines“. Neben dieser Luftfahrtgesellschaft betrieb er noch einen Formel-1-Rennstall, investierte drei Milliarden Dollar in erneuerbare Energien, bietet seit 2009 Kurzausflüge ins Weltall mit seinem Raumschiff „Space Ship Two“ an und wurde von der Queen zum Ritter geschlagen.

Aus Dankbarkeit für seine Rettung ließ Branson auf Rathlin Island mit einigen tausend Pfund-Sterling aus seiner Portokasse einen heruntergekommen Beherbergungsbetrieb restaurieren. Anschließend geschah lange Zeit nichts Aufregendes auf Rathlin Island. Also ideale Voraussetzungen für Ruhe suchende Touristen …

Nordirland - Rathlin Island - Emma

… bis dann die Tochter von einem der zwei Lebensretter 2011 ihr Schnellrestaurant eröffnete: Emma’s Chip Ahoy – keine fünf Minuten Fußweg entfernt vom Fähranleger. Emma McFaul garantiert: „Wir backen den besten panierten Fisch, den du dir vorstellen kannst.“ Na ja, das kann jeder behaupten.

Bester Neuling

Emma McFaul wurde sofort nach Eröffnung ihrer Fischbratküche von der Jury der “Northern Ireland's Chip Shop Awards“ zum „Best Newcomer“ des Jahres gewählt. – Na ja, das wissen wir ebenfalls nur zu gut, wie derartige Jury-Entscheidungen zustande kommen.

Dem Zweifler zeigt Emma ihr Gästebuch. Darin haben sich beinahe sämtliche der knapp 100 Bewohner von Rathlin Island verewigt. Aber die Laufkundschaft kommt auch aus ganz Europa, Nordamerika, Kolumbien und Südafrika. Und Emma verrät gerne das Geheimnis ihres Erfolges: “We are the slowest fastfood restaurant in the UK.”

Nordirland - Rathlin Island - Speisekarte

Für dieses langsamste Schnellrestaurant im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland – kurz: UK – arbeitet als Hauptlieferant Emmas Vater. Neil McFaul fährt jeden Morgen um vier mit seinem Fischerboot hinaus und kommt um acht zurück. Das ist Fish’n’Chips à la saison. „Caught daily – das gilt für alles, was hier auf den Tisch kommt“, garantiert Neil.

Außer im Winter. „Da kann es schon mal passieren, dass ich keine frischen Krabben fange“, bedauert der Branson-Lebensretter. Wenn der Atlantik mal wieder einen Strich durch die Speisekarte macht, empfiehlt Emma den Gästen ihren Crab-Burger – was mit „Krabbenbrötchen“ sehr unvollkommen übersetzt ist. 

Nordirland - Rathlin Island - Gast Crap Burger

Eine weitere Spezialität von Emma’s Chip Ahoy sind ihre „Fish Bits“ – ebenfalls tagesfrisch aus dem Meer.vor ihrer Haustür und nicht aus der Eiskiste. Die zufällig anwesenden Restaurantgäste bestätigen: „Wir Holländer nennen diese panierten Fischstückchen ‚Kibbeling’. Aber hier bei Emma schmecken sie am besten.“

„Aus Holland kommen auch die Kartoffeln für meine Chips. Aber die werden bei mir nicht gekühlt. Frag mal zuhause in Deutschland in einem Schnellrestaurant, woher die Kartoffeln kommen, die auf deinem Teller liegen“, empfiehlt sie ihrem Gast.

Nordirland - Rathlin Island - Fotograf

Er fotografiert lieber in Ruhe die malerischen Motive vor Emma’s Chip Ahoy, während Neil eine Makrele in die Pfanne legt. „Vom April bis November ist das der Lieblingsfisch unserer Stammkunden. Makrele kommt hier nicht in die Friteuse. Deshalb dauert es bei uns auch ein bisschen länger.“ Und was kommt in die Pfanne, wenn er mal keine Makrele fängt? – „Im Winter finde ich auf jeden Fall Seelachs. Im Sommer bringe ich meiner Tochter auch Kabeljau mit.“

Nachhaltiger Fischfang

Neil betrachtete sein Fischerei-Handwerk einst nur von der geschäftlichen Seite. Heute weckt er auch bei den Gästen von Emma’s Chip Ahoy das Bewusstsein für die Vorteile des nachhaltig betriebenen Fischfangs. „Ich fange nur noch soviel, wie meine Tochter für ihre Gäste benötigt.“ Und auf einer kleinen Insel wie Rathlin ist die Anzahl der Mahlzeiten, die von Tagesausflüglern und Urlaubsgästen verzehrt werden, leicht kalkulierbar.

Nordirland - Rathlin Island - Giants Causeway

Bevor die Touristen nach Rathlin Island kommen, besichtigen sie erst einmal die übrigen Sehenswürdigkeiten an der Küste von Antrim. Zum Beispiel die ungefähr 40.000 gleichmäßig geformten, 60 Millionen Jahren alten Basaltsäulen vom Giants Causeway (2). Dieser „Damm des Riesen“ wird von der UNESCO zum Weltnaturerbe gezählt.

Vor allem die Vogelbeobachter fahren anschließend weiter nach Ballycastle und setzen über zur Insel Rathlin. Dort nisten im Vogelschutzgebiet am Leuchtturm die Dreizehenmöwe und der Papageientaucher. Anschließend sitzen die Birdwatchers am liebsten vor Emma’s Chip Ahoy und lassen sich nicht stören vom Futterneid der neugierigen Robben, die sich am Strand tummeln.

Schaurige Geschichten

Gäste, die über Nacht auf Rathlin bleiben, sollten sich in Acht nehmen vor dem schwarzen Geisterpferd. Die nordirische Storytellerin Liz Weir kann schaurige Geschichten erzählen von diesem vierbeinigen Gespenst, das nach Einbruch der Dunkelheit über die Insel galoppiert.

Nordirland - Rathlin Island - Storytellerin Liz Weir

Liz nennt einen möglichen Grund, warum die Menschen auf Rathlin für derartige Geschichten immer noch ein offenes Ohr haben. „Als Bibliothekarin für den County Antrim Library Service bekam ich die meisten Anfragen für Leihbücher aus Rathlin. Die Insel war die letzte nordirische Region, die mit keinem TV-Programm versorgt wurde.“ Während anderswo das Fernsehen die sozialen und kulturellen Bindungen zerstörte, saßen die Menschen auf Rathlin immer noch abends zusammen. Dann erzählten sie Geschichten oder lasen vor.

Die Insel empfiehlt sich immer noch als eine Heimat von Zauberei und Mythen. An diese Tradition knüpfen Liz Weir und andere Kulturarbeiter an, wenn sie jedes Jahr im Mai das „Rathlin Sound Maritime Festival” ausrichten. Dann zeigen Bootsbauer und andere Handwerker ihre Produkte. Aber die meisten Festival-Besucher kommen für die Musik und die Geschichten.

Den Weg verkürzen

Mit dem Erzählen von Geschichten verkürzen sich Iren gerne den Weg oder lange Wartezeiten. „Shortening the road“ und „Storytelling“ bedeuten hier das Gleiche. Sogar in der Warteschlange vor Emma’s Chip Ahoy erzählen die Einheimischen schon mal eine Geschichte und erinnern sich zum Beispiel an Robert the Bruce, der als schottischer König seine Heimat von den Engländern befreien wollte.

Robert I., genannt „der Allmächtige“, war heimlich auf Rathlin gelandet und wollte von dort aus eine zweite Front gegen England aufbauen. In seinem Versteck beobachtete er eine Spinne. Von ihr lernte Robert, wie man immer wieder, immer wieder, immer wieder neu ein zerrissenes Spinnennetz flickt. Dieses Vorbild ermutigte ihn dazu, seinen aussichtslosen Kampf weiter zu führen.

Nordirland - Rathlin Island - tourist info

In den Zeiten von Robert the Bruce war das Leben auf Rathlin Island ein Geduldspiel, dessen Regeln vom Seegang bestimmt wurden. Zuletzt unterbrach 1938 ein Sturm 34 Tage lang die Verbindung mit dem sicheren Hafen von Ballycastle. „Heute stellt die Fähre höchstens mal für einen Tag oder zwei den Betrieb ein“, garantiert Harriet Hamilton vom Tourism Information Centre am Hafen in Ballycastle. „Solch ein Sturm ist nur noch unangenehm für meine Frisur.“

Wer gegen Seekrankheit immun ist, der kann die 45 Minuten auf der kleinen Fähre von Ballycastle rüber nach Rathlin Island genießen. Dem Besucher mit empfindlichem Magen empfiehlt Harriet die Katamaran-Fähre: „Die gleitet sanft über die Wogen und benötigt 25 Minuten. Am besten, du telefonierst von der Fähre aus mit Emma’s Chip Ahoy. Dann serviert Neil dir sofort nach der Ankunft deine Makrele frisch aus der Pfanne.“

Nordirland - Rathlin Island - Fischer mit Bratfisch

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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