Kreuz und quer durch Graz: Architektur und Kunst

Die Gestaltung des Färberplatzes in der Altstadt, die Neugestaltung des Südtiroler Platzes in der Murvorstadt oder des Grazer Hauptplatzes markieren Meilensteine in der Grazer Stadtentwicklung hin zu einer Stadt, die sich nicht sklavisch vor dem Individualverkehr verneigt, sondern den öffentlichen Nahverkehr fördert und den Fußgängern die Stadt zurückgibt. Stadtraum und Kunst ist ein wichtiges Element in der Entwicklung der Stadt, ob nun eine Brunnenanlage unweit der Barmherzigenkirche und auf dem Färberplatz oder Kunst im und am RESOWI und G.A.M.A., zwei hypermodernen Universitätsbauten jenseits der ehemaligen Grazer Stadtumwallung. Die größte Plastik im öffentlichen Raum ist das „Lichtschwert“ vor der Oper. Diese riesige Skulptur von Hartmut Skerbisch greift das Thema der weltbekannten Freiheitsstatue auf ganz eigene Weise auf. 

Österreich - Reiseführer Graz - Skulptur Lichtschwert

An der Oper: Hartmut Skerbischs Statue Lichtschwert

Mit der Tram 5 begeben wir uns hinaus zum Zentralfriedhof, auf dem nicht nur der Rennfahrer Jochen Rindt, sondern auch der Gründer der Puch-Werke, Johann Puch, seine letzte Ruhe gefunden hat. Ins Auge springen die gewaltige, backsteinerne Kirche zum gekreuzigten Heiland und die Gruftarkaden, ganz zu schweigen von der üppigen Grabarchitektur. Gleichfalls nicht zu übersehen ist die Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die von Boris Kobè stammt und aus einem Gewölbebogen, einem Altarsockel und einer 20 Meter hohen Säule besteht. Zu den Künstlern, die auf dem Zentralfriedhof Grabmäler schufen, gehört Hans Brandstetter, der auch die „Styria“ und „Austria“ im Stadtpark entwarf. Das Marmorrelief „Abschied“ ist eine der wichtigen Arbeiten Brandstetters auf dem Zentralfriedhof. Weitere Künstler, die mit Arbeiten auf dem Friedhof vertreten sind, sind Richard Jakitsch (Grabmal für Josef Schaffer) und Theodor Charlemont (Porträtmedaillon für Crista Franz) sowie Wilhelm Gösser (Kreuztragender Christus vor einer Wandstele für Rudolf Poschenreiter). Ausdrucksstark ist die Plastik eines zusammensinkenden Mannes, ein Werk von Anton Weinkopf für die Grabstelle des Arztes August Ortner.

Österreich - Reiseführer Graz - Zentralfriedhof

Geschäftsportale und die Mitwirkung am Umbau des Hauptbahnhofs von 1870 bis 1876 waren die Projekte, mit denen sich der Hoftischlermeister Anton Irschick befasste. Den Entwurf seines Grabmal übernahm er selbst.

Verlassen wir den Zentralfriedhof und begeben uns mit dem Bus 67 zur Bundespolizeidirektion Graz in der Karlauerstraße.  An dem Bau selbst ist nichts außergewöhnlich. Doch auf dem Vorplatz sieht man scheinbar wahllos verstreut räumliche Objekte, deren Bemalung an Himmelsbilder erinnern. Tritt man näher, so meint man Bruchstücke aus abgetragenen Gebäuden zu sehen oder auch archäologische Baufunde, die als „Kunst am Bau“ fungieren.

Österreich - Reiseführer Graz - Kunst vor Polizeihaus

"Kunst am Bau" vor der Polizeidirektion

Auf dem Weg hierher haben wir zuvor die Karlauerkirche zur heiligsten Dreifaltigkeit passiert, die auf das 18. Jahrhundert zurückgeht und ein sehenswertes Hochaltarbild des steirischen Barockmalers Hans Adam Weissenkircher besitzt.

Von der Bundespolizeidirektion geht es zu Fuß weiter durch den Stadtteil Gries mit dem Griesplatz und der Griesgasse. Auf dem Platz steht in Gedenken an die Pest von 1680 eine wundervoll gearbeitete Ecce-Homo-Säule. Die Welsche Kirche, am Rande des Griesplatzes, wurde 1725 durch die Bruderschaft zum heiligen Franz von Padua in Auftrag gegeben. Es ist eine der letzten Kirchen in Graz, die – ganz unter italienischem Einfluss stehend – entworfen und gebaut wurde. Nur wenige Schritte weiter steht man in der Griesgasse vor dem Haus des Griesbäckers, einem Bäckerladen aus dem 17. Jahrhundert und dem einzig erhalten gebliebene Bauwerk seiner Art in Graz. Ansonsten ist die Griesgasse eher eine unansehnliche Ecke der Stadt, in der zwielichtige Bars und Spielhöllen dominieren. Ganz am Ende der Gasse befindet sich der Zugang zu den größten Hotels der Stadt, dem Weitzer und dem Wiesler.

 Zu empfehlen ist ein kleiner Abstecher an den Grieskai, wo sich gegenüber des Augartens die neue Synagoge befindet. Errichtet wurde der Neubau, der von Jörg und Ingrid Mayr entworfen wurde, auf den Mauern der 1938 zerstörten Synagoge.  Beim Neubau wurde mit der gläsernen Kuppel architektonisch Bezug auf den gewaltigen Kuppelbau des ausgehenden 19. Jahrhunderts genommen, ohne aber eine Rekonstruktion der in der Reichspogromnacht niedergebrannten Synagoge zu intendieren. Für die Umfriedung, aus dem der Synagogenneubau sich erhebt, wurden Ziegel verwendet, die aus der niedergebrannten Synagoge stammen. So verbindet sich Neues mit Altem, Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft.

Lenken wir nun unsere Schritte zum Südtiroler Platz – hier ist Gelegenheit, im Tribeka am Grieskai oder in einem der anderen Cafés zwischen Südtiroler Platz und Mariahilferplatz bei einem Snack oder Kaffee ein wenig auszuspannen. Zu den architektonischen Highlights dieses Teils der Murvorstadt gehört gewiss das futuristische bläulich schimmernde Kunsthaus, das sich an den eisernen Skelettbau des Eisenern Hauses anschmiegt. Ganz in der Nähe schwingt sich die Fassade der Barmherzigenkirche in den Himmel. Vor ihr stößt man auf eine eher ungewöhnliche Brunnenanlage: Es ist ein kubisches Glasobjekt und damit kein klassischer Brunnen, den sich Harmut Skerbisch ausgedacht hat. Fortwährend rinnt das Wasser über die Glasfront. Durch die nachträglich vorgesetzten Poller wird das Kunstwerk allerdings in seiner Ästhetik beeinträchtigt.

Österreich - Reiseführer Graz - Eisernes Haus

Das Eiserne Haus - heute Teil des Kunsthauses

Über den Murstieg geht es hinüber zum Schlossplatz und zur Sackstraße mit dem Palais Attems, das wegen seiner feinen Stuckierungen und brillanten Deckengemälde besonderer Erwähnung bedarf. Auf dem Schlossbergplatz steht der Taubenbrunnen mit vier großen Tauben, eine Arbeit von Walter Ritter. Aus vier schlangenförmigen Rohren ergießt sich das Wasser in ein frei stehendes Becken. Noch kurz einen Blick auf den Uhrturm auf dem Schlossberg geworfen und dann schlendern wir zum oberen Ende der Sackstraße. Was wir dort finden, ist ein grauer Steinsockel mit eingravierten Figuren und Anweisungen, die uns Erwin Wurm hinterlassen hat. Dieser fordert die zufällig vorbeilaufenden Passanten auf, sich in „Skulpturen“ zu verwandeln, nachdem sie auf den Sockel gestiegen sind. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt!

Mit der Tram 4 oder 5 geht es anschließend in die Körösistraße 157. Dort steht die Ziegelskulptur eines der bekanntesten dänischen Künstler der Gegenwart, Per Kirkeby, der auch in Kopenhagen und im Antwerpener Skulpturengarten Middelheim mit seinen Archiskulpturen für Aufsehen gesorgt hat. Gegenüber dem mächtigen Schulgebäude, vor dem die Skulptur ihren Platz hat, nimmt sich das funktionslose, an einen Pavillon erinnernde Gebilde klein aus. Sockel und Dach fehlen Kirkebys Werk, dass mit den Pfeilern und Bogenkonstruktionen Architektur zitiert, aber aufgrund der Offenheit der Struktur eben auch das Skulpturale zum Ausdruck bringt.

Nach unserem kurzen Abstecher nach Geidorf, kehren wir wieder zurück in die Altstadt von Graz. Vom Hauptplatz aus gehen wir durch die Sporgasse zum Karmeliterplatz – Süßmäuler probieren unterwegs in der Konditorei Strehly eine kalorienreiche Schlossbergkugel. Unterwegs kommen wir nicht nur an der Stiegenkirche vorbei, sondern werfen einen Blick in den Innenhof des Hauses des Deutschen Ritterordens, über dessen Portal das Ordenskreuz angebracht ist. Im gotischen Innenhof taucht man in eine Welt jenseits von Boutiquen, Cafés und Bars ein, die das Bild der Sporgasse bestimmen. Über diese Gasse erreichen wir schließlich den Karmeliterplatz, auf der sich die Dreifaltigkeitssäule in den Himmel streckt. Zu ihren Füßen haben sich Grazer und Nicht-Grazer eingefunden und genießen im In-Lokal Stern (Sporgasse 38) ein kühles Bier.

Längst befindet sich kein Kloster mehr am Karmeliterplatz. In das ehemalige Kloster ist das Landesarchiv eingezogen, dessen Giebelfront von einem Wandgemälde bedeckt ist, das die Milchstraße am nächtlichen Himmel zeigt und von Wolfgang Buchner stammt. Gegenüber dem Landesarchiv zieht die von Herbert Pukarthofer geschaffene Plastik „Bausteine für eine demokratische Kommunikationsskulptur“ die Blicke der Vorbeigehenden auf sich: eine offene Struktur aus rostigem Eisen. Außer dieser Raumskulptur steht die „Königin Kiringula“ von Gerhard Moswitzer vor dem ehemaligen Palais Galler, einem breit gelagerten Bau mit geometrischem Felderzier als Fassadenschmuck.

Über den Freiheitsplatz und vorbei am Dom spazieren wir durch das Burgtor in den Stadtpark, der vor der ehemaligen Stadtbefestigung liegt. Auf einer Böschung steht eine Stele mit einem stilisierten Adler, der seine Schwingen ausbreitet. Fünf Jahre nach dem Österreichischen Staatsvertrag wurde das Befreiungsdenkmal von Wolfgang Skala auf der ehemaligen Burgbastei errichtet. Im seichten Burggraben hat die Libellengruppe von Alexander Wahl ihren Platz gefunden. Gleichsam als Kontrapunkt zum traditionellen Franz-Joseph-Brunnen ist das Brunnenwerk von Serge Spitzer zu verstehen. Es gleicht einem schräg stehenden (Sonnen)schirm, der als Wasserschale dient. Außerdem haben im Stadtpark Hans Brandstetters „Styria“ und „Austria“ ihren Standort.

Österreich - Reiseführer Graz - Stadtpark

Befreiungsdenkmal (1960) von Wolgang Skala
im Stadtpark

Nach Queren der Glacisstraße begeben wir uns zunächst zur frühgotischen Leechkirche und dann zu den Neubauten der Grazer Universität, RESOWI und G.A.M.A. Dabei handelt es sich um die wohl ambitioniertesten Universitätsneubauten der Stadt. Das G.A.M.A. zeichnet sich an der Straßenseite durch drei kompakt erscheinende Kuben aus – dahinter verbergen sich die Institutsbibliotheken. Einen Blick ins Innere des Instituts sollte man sich nicht entgehen lassen: Die über alle Geschosse reichende zentrale Halle mit Glasdach besitzt eine himmelsleiterartige, durchlaufende Treppe, in deren Stufen diagonal Lichtbänder eingesetzt
sind. Der rechtwinklige Block des RESOWI bietet Raum für 14000 Studenten. Angedockt und eingeschoben wurden in den schmalen Baukörper Mensa, Hörsäle und Bibliothek. Dass zu solch avantgardistischen Bauten auch avantgardistische Kunst gehört, ist nahe liegend.

Österreich - Reiseführer Graz - RESOWI

Sichtbares Tragwerk, stufenweise Vorkragen, geschwungene Glaseinheiten - das RESOWI

Vor dem Zugang zum RESOWI an der Heinrichstraße steht man einer mehrteiligen Landschaftsinstallation gegenüber, die den Titel „Wasserlauf vom Naturstein zum Kulturstein“ trägt: Aus einem Felsen sprudelt das Wasser in eine Rinne, das durch ein Portal fließt und dann in einem mächtigen Kubus verschwindet, gleichsam ein Sinnbild für die gezähmte Natur in einer urbanen Umwelt. Für das Foyer des Hörsaals im ehemaligen Heizhaus (Universitätsstraße 2-4) hat Jerrit Tornquist eine Farb- und Lichtkunst geschaffen. Nur in der Dunkelheit kommt sie allerdings zur vollen Geltung: Dann „spiegelt“ sich in einem zentralen Metallzylinder das verzerrte Mosaikbild der Venus von Botticelli. Licht und Klang sind auch die Medien für die künstlerische Inszenierung des Treppenhauses des G.A.M.A., das zu einer „Himmelsleiter“ mutiert. Nicht zu übersehen ist Heinz Gappmayers „Zeit“ auf der Außenwand der Universitätsbibliothek. Wer das RESOWI (Universitätsstraße 15 AE) betritt, der kann eine Arbeit von Jannis Kounellis und die „Wandmalerei“ von Franz Graf bestaunen, der mit Zahlenwerk eine Wand bespielt.

Begeben wir uns zur Brandhofgasse, so gelangen wir zur Universität für Musik und darstellende Kunst. Vor deren Neubau wurde Erwin Wurms Vier-Hosen-Plastik installiert. In vier Vitrinen hat der Künstler Männerhosen über einen vertikalen Kern gestülpt und damit den Alltagsgegenstand Hose verfremdet. Im Park des 1843 erbauten Palais Meran, das gleichfalls von der Universität für Musik und darstellende Kunst genutzt wird und ursprünglich das Stadtschloss von Erzherzog Johann war, stoßen wir auf Arbeiten der Grazer Künstlerin Katja Krusche. Sie hat als Auftragsarbeiten die Skulpturen für Arnold Schönberg („Moses und Aron“), Anton Webern („Symphonie op. 21“) und Alban Berg („Violinkonzert“) geschaffen. Mit Musik hat auch Gerhard Lojens „Raumpartitur" zu tun, die als Bodenplastik an einem Treppenabgang vor den Remisen des ehemaligen Palais Meran zu sehen ist. Zum Abschluss der Stadterkundung zwischen Kunst und Architektur sollte man den Campus Inffeldgasse besuchen, wo sich Teile der Technischen Universität der Stadt befinden: Um von einer Uni zur anderen zu kommen, nutzt man am besten die Tram 1 (bis Jacominiplatz) und die Tram 6 Richtung St.Peter.

Österreich - Reiseführer Graz - Plastik Soax up

Bruno Gironcolis "Soax up"

Sobald man einige hundert Meter die Inffeldgasse hinaufgelaufen ist, schreitet man unter der von Richard Kriesche geschaffenen Plastik „Der Himmel über uns – die Erde unter uns“ hindurch. Die Plastik besteht aus einem breiten, trichterförmigen Korbgebilde, das an zwei Masten aufgehängt ist und von Grün umschlungen wird. Das Kunstwerk im öffentlichen Raum ist gleichsam das Portal des Campus, auf dem sich u. a. die Maschinentechnischen und Informationstechnischen Institute befinden. Weiter die Gasse hinaufgehend stehen wir vor Bruno Gironcolis „Soax up“. In dieser Arbeit vereinen sich Maschinenteile und anthropomorphe organische Formen zu einem Gebilde, das man mit ein wenig Fantasie als einen Thron mit einem Herrscherpaar ansehen kann. Betritt man die Informationstechnische Institute, so nimmt man erst bei genauem Hinsehen eine blaue Schlaufe wahr, die sich durch alle Ebenen des Gebäudekomplexes zieht. Mit dieser Schlaufe, „Schmetterlingsflug“ genannt, durchstößt Marijke de Goey die starr gefügte Architektur und schafft zwischen verschiedenen Elementen des Baus Verbindungen jenseits der Treppenaufgänge und Flure. Im benachbarten Studienzentrum (Inffeldgasse 10) hängt als Kunstobjekt eine Schaukel im Treppenhaus – unerreichbar für jeden. Mit diesem Objekt, das funktionslos ist, setzte Markus Wilfling, ein Gegengewicht gegen die Funktionalität der Architektur.

 

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