Graz - Welterbe und Kulturhauptstadt

Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther

Hoch über der Stadt, deren Altstadt Teil des UNESCO-Weltkulturerbes ist, gibt der Uhrturm auf dem Schlossberg die Zeit vor, unten im Tal strömt die Mur reißend dahin. Mitten im Fluss liegt die Insel in der Mur, eine aufgeklappte Muschel aus Glas und Stahl. Sie ist Treffpunkt und zugleich Brückenschlag zwischen dem linken und rechten Murufer. Unübersehbar ist die rote Dachlandschaft der Altstadt, in der sich Renaissance, Barock, Historismus und Moderne ein Stelldichein geben. Laubengänge und Arkadenhöfe sind untrügliches Zeichen dafür, dass Italien nicht fern ist. Straßencafes locken bei den ersten Sonnenstrahlen zum Verweilen. In meist rustikal eingerichteten Gasthöfen und Restaurants pflegt man deftige steirische Küche.

Österreich / Graz / über den Dächern

Grazer Dachlandschaft

Von der Vorstadt in die Altstadt

Unablässig strömt die Mur zwischen Altstadt und Vorstadt, trennt die Sonnen- und die Schattenseite der Stadt: hier historisches Ambiente, dort die lange Zeit vernachlässigte Vorstadt rund um den Bahnhof. Nachdem mit dem Mursteg bereits ein Brückenschlag für Radler und Fußgänger gelungen war, ist nun die Insel in der Mur die neuste Attraktion der an avantgardistischer Architektur reichen Stadt. Zehntausende waren Zeugen, als die aus Glas und Stahl bestehende aufgeklappte „Riesenmuschel“ zu Beginn des Jahres 2003 zu Wasser gelassen wurde. Unablässig strömen nun die Grazer zu ihrer Murinsel, genießen ihren Kaffee im Inselcafé, flanieren von der einen zur anderen Murseite.

Österreich / Graz / Brückenschlag

Insel in der Mur: Treffpunkt und Brückenschlag

In beschwingtem Barock erhebt sich am rechten Murufer die Mariahilferkirche. Nebenan bewahrt das Diözesanmuseum steirische Kirchenschätze. Nur Schritte entfernt setzt sich das 21. Jahrhundert sein architektonisches Denkmal: das neue Kunsthaus zwischen Eisernem Haus und Palais Thienfeld. Ein amorphes Gebilde mit Ausstülpungen legt sich zwischen die historischen Bauten am Südtiroler Platz. Mal denkt man an ein Ufo, mal an einen Kraken mit amputierten Armen, mal an einen zusammengefallenen Fesselballon, betrachtet man die Architektur des für Wechselausstellungen genutzten Museumsneubaus.

Graz Kunsthaus

Von einem anderen Stern: Das Grazer Kunsthaus

An die Geschichte des Eisernen Hauses, das Mitte des 19. Jh. mit einem gusseisernen Kleid erbaut wurde, erinnern sich nur wenige. Im dortigen Café Meran wurde einst zu flotten Weisen getanzt und im Untergeschoss gab es einen der ersten Puffs der Murstadt. Nach der Restaurierung zieht nun die Camera Austria mit wechselnden Fotoausstellungen in dieses architektonische Juwel ein.

Dass es in der Nachbarschaft einen Frauenaufstand gab, war bisher nur eine historische Fußnote. Dank des Projektes „Woment!“ wird un mit einer Gedenktafel am Südtirolerplatz 11 an die Hungerrevolte der Frauen am 7. Juni 1920 erinnert. Es war ein Aufstand gegen die hohen Lebensmittelpreise, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen. Im Volksmund wurde dieser Aufstand abfällig als „Kirschenrummel“ bezeichnet.

Auch an anderen Orten in der Stadt gedenkt man dank des Projektes „Woment!“ bekannter Frauen und der Frauenbewegung, so an die Magnum-Fotografin Inge Morath, die im letzten Jahr verstarb, an die Schauspielerin Marisa Mell (1939-92), die der eine oder andere sicher aus „French Dressing“ (Regie Ken Russell) kennt, oder an Katharina Prato (1818-97), die Kochbuchautorin, von der das geflügelte „man nehme...“ stammt.

Bleiben wir noch eine Zeit auf der rechten Murseite. Die Mariahilferkirch ist wohl das dominante barocke Bauwerk nahe der Mur. Doch nur wenige Schritte entfernt, stoßen wir auf einen weiteren beschwingten Barockbau: die Barmherzigenkirche, die in die Fluchtlinie der angrenzenden Wohnbauten eingebunden ist. Erbaut wurde diese Kirche des Hospitalorden des heiligen Johannes von Gott an der ehemaligen „Richtstätte für Diebesgesindel und Lotterbuben“.

Österreich / Graz / Mursteg

Der Mursteg - für Fußgänger und Radler ein Weg von der Vorstadt in die Altstadt

Unmittelbar an der Mur erblickt man zwei imposante Hotelbauten, das Wiesler und das Weitzer – wahrhaftig zwei Grand Hotels. Überqueren wir die Mur in Richtung Andreas-Hofer-Platz, so können wir am Franz-Josef-Kai noch Reste der Stadtmauer ausmachen. Eine Gedenktafel am Andreas-Hofer-Platz 1 erinnert an den Orientforscher und ersten Präsidenten der österreichischen Akademie der Wissenschaft Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall, der hier am 9. Juni 1774 geboren wurde.

Österreich / Graz / Glockenturm

Geradezu magisch scheint der Uhrturm auf dem Schlossberg die Blicke auf sich zu ziehen (Foto), weil seine Uhr weithin sichtbar die Zeit vorgibt. Verschwunden ist leider der "Schattenturm", der als temporäre Installation im Kulturhauptstadtjahr 2003 errichtet wurde und die Schattenseiten der Stadt symbolisierte, die nicht nur erste judenfreie Stadt der so genannten Ostmark war, sondern nach dem so genannten Anschluss Österreichs auch den Ehrentitel „Stadt der Volkserhebung“ erhielt.

Österreich / Graz / Franziskanerkirche

Zu den wichtigen sakralen Baudenkmälern der Stadt gehört die Franziskanerkirche (Foto), die sich einst in die Stadtmauer einfügte, daher auch die „schiefe Stellung“ des Baus. Prächtige Palais erwarten den Besucher in der Sackstraße, darunter das barocke Palais Attems mit beeindruckenden floralen Stuckarbeiten im monumentalen Treppenhaus und mythologischen Deckengemälden in den Sälen der Obergeschosse. Gegenüber befinden sich im Palais Khuenburg – Geburtsort des in Sarajevo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand – das Stadtmuseum und nebenan die Neue Galerie, ein Haus der Kunst, in dem eine rege Sonderausstellungstätigkeit dafür sorgt, dass man nur selten einen Blick auf die Bestände der ständigen Sammlung werfen kann. Wer offen für Gegenwartskunst ist, ob sie nun von Damien Hirst oder Franz West stammt, sollte dieses Museum unbedingt besuchen.

Vom Schlossbergplatz auf den Schlossberg

Am Schlossbergplatz erblicken wir die hochbarocke Schaufassade der Dreifaltigkeitskirche und schräg gegenüber die Alte Münze, einst Münzprägestätte und heute ein Restaurant mit steirischer Küche. Wie wäre es mit Steirischem Ochsenfetzen oder Altsteirischem Apfelrostbraten mit Polenta zum Mittag? Wer Antiquitäten schätzt, wird – gleich um die Ecke – in der oberen Sackstraße allemal auf seine Kosten kommen.

Ältestes Haus am Platz ist der Reinerhof, in dessen Gewölbe ein Café eingerichtet wurde. Stehen wir auf dem Schlossplatz und wollen den Schlossberg bezwingen, so haben wir die Qual der Wahl. Wir können entweder den so genannten Friedenssteig mit seinen Treppen nutzen oder aber den Lift, der uns durch das Innere des Berges zum Uhrenturm bringt. Schließlich kann man auch mit der Bergbahn die Steigung des Schlossberges in Windeseile überwinden.

Kasematten auf dem Schlossberg

Einst stand auf dem Schlossberg eine mittelalterliche Burganlage, die jedoch während der napoleonischen Besetzung 1809 weitgehend durch Sprengung vernichtet wurde. Nur der Uhrturm mit einem Uhrwerk des frühen 18. Jh., die Stallbastion, die Kasematten – ursprünglich Gefängnis und heute für Konzerte und Theateraufführungen genutzt–, der so genannte Türkenbrunnen und der Glockenturm, deren Glocke „Liesl“ dreimal am Tag mit 101 dumpfen Schlägen erklingt, sind bis heute erhalten geblieben. Mit dem so genannten Hackher Löwe wird an die Tapferkeit des Majors Hackher und seiner Mannen gedacht, die 1809 den Berg gegen napoleonische Truppen verteidigten. Bei Sonnenschein lädt die Terrasse des Starcke Häuschens, ursprünglich Pulverturm und Weingartenhaus, zu einer wohlverdienten Pause ein. Von hier aus hat man einen prächtigen Blick auf die rote Dachlandschaft der Grazer Altstadt.

Grazer Altstadt

Da es in Graz viel zu entdecken gibt, steigen wir über die Serpentinenwege vom Schlossberg zum Karmeliterplatz hinab und schlendern durch die Sporgasse. Nicht nur florale Jugendstilpracht, sondern auch die Figur eines Türken, der aus einer Luke unter dem Dach herausragt, der lauschige Hof des Deutschherrenordens, so genannte Prellsteine, die die Hausecken schützen, und die Stiegenkirche, ziehen uns in ihren Bann. Blicken wir in der schmalen Gasse zum Himmel empor, so werden wir an einem Dachfirst Wasserspeier in Gestalt von Drachen entdecken können. Und beim Bummel durch die Sporgasse warten auf uns auch süße Verführungen: die Grazer Schlossbergkugeln der Konditorei Strehly.

Die Hofbäckerei, in der Frühaufsteher ab 7 Uhr frühstücken können

Zu entdecken gibt es in der Altstadt nicht nur die Reste der Burg – hier ist vor allem die gotische Doppelwendeltreppe besonders sehenswert –, den Dom und das Mausoleum, sondern auch die Stadtpfarrkirche zum hl. Blut, in deren Buntglasfenster man unter den Peinigern Christi auch Hitler und Mussolini entdecken kann. Das Landhaus mit seinem Arkadenhof und das frühbarocke Ständische Zeughaus gehören zu den besonders sehenswerten Zeugnissen der Grazer Baugeschichte und verraten den Einfluss italienischer Baumeister. Bis heute beherbergt das Zeughaus als authentisches Waffenmagazin aus der Zeit der Türkenkriege 32 000 Schutz- und Angriffswaffen. Wer übrigens am Glockenspielplatz verweilt, kann um 11, 15 oder 18 Uhr dem lieblichen Glockenspiel lauschen und einem geschnitzten Trachtenpärchen beim Tanze zuschauen.

Österreich / Graz / Landhaus

Italienisches Flair: Arkadenhof des Landhauses

Und auch ein prächtiges Schloss besitzt die Stadt, wenn auch weit vor ihren Toren: das Schloss Eggenberg, das von Giovanni Pietro de Pomis nach dem Vorbild des spanische Escorials entworfen wurde und einem mathematischen und allegorischen Programm folgt. Im Schloss mit seinen prächtigen Prunkräumen ist auch die Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung des Joanneums untergebracht. Prunkstück der Sammlung ist der so genannte Kesselwagen aus dem Fürstengrab von Strettweg. Aus der Fülle der Grazer Museen ist wegen seines besonderes Sammlungsgebietes das Schloss- und Schlüsselmuseum hervorzuheben. Gleich beim Betreten der Ausstellung – mehr als 10 000 Exponate werden gezeigt – kann man an mehreren Drehgestellen verschiedene Schlösser und so genannte Vexiere, Geheimschlösser, testen. Dies dürfte auch die jüngeren Besucher faszinieren. Dass man einst einen Sargschlüssel und einen Witwerschlüssel brauchte, erfährt man beim Besuch ebenso wie die Tatsache, dass auch Zuckerdosen ursprünglich verschlossen waren. Außerdem sind fein gearbeitete Kassetten aus dem Biedermeier und dem Jugendstil zu bewundern, ganz zu von schweigen von so genannten Tantalus-Flaschen und Keuschheitsgürteln.

Grazer Moderne

Graz

Grazer Universitätsbauten - Beispiel der Architektur der Moderne

Wer sich für moderne und postmoderne Architektur interessiert, wird in Graz auf seine Kosten kommen, zum Beispiel im Univiertel mit dem G. A. M. A. und dem RESOWI zwischen Heinrich- und Schubertstraße. Auch das Institut für Pflanzenphysiologie in der Schubertstraße ist ein Beispiel für die postmoderne Ergänzung des durch gründerzeitliche Stadtvillen geprägten Straßenbildes. Aus dem Erdreich scheinen die Parabelbögen der Gewächshäuser herauszubrechen, ein Versuch organisches Bauen und Natur zu verschmelzen.

Grazer Schule der Architektur: Die Gewächshäuser im Botanischen Garten

 

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