REIHE UNTERWEGS

Linzer Torte und Linzertorte

Text: Winfried Dulisch
Fotos: Tourismusverband Linz (2) & Winfried Dulisch (7)

Die Haselnusstorte mit dem Gitternetz hat nicht nur viele Väter, sondern auch mehrere Geburtsorte. In der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz an der Donau fragte unser Autor Winfried Dulisch mal nach: Wie schreibt man eigentlich …?

Österreich - Lnz - Linzer Torte

© Tourismusverband Linz

Der Wiener Kaffeehaus-Poet Alfred Polgar war ein unbequemer Zeitgenosse. Aber mit einem einzigen Kompliment schmeichelte sich dieser literarische Grantler bei den Bewohnern – und vor allem bei den Konditoren - seiner Heimatstadt für alle Ewigkeit ein. In seiner 1928 erschienenen Glosse „Städte, die ich nie erreichte“ behauptet Alfred Polgar, ein „Wiener Konditor namens Linzer“ habe jene Torte erfunden, die heute dessen Namen trägt. Demnach muss die grammatikalisch korrekte Schreibweise für diese Mandel-Mehlspeise lauten:

Linzertorte

150 Kilometer weiter aufwärts der Donau klingt die Entstehungsgeschichte des weltberühmten Naschwerks natürlich vollkommen anders. Denn vor allem für Österreich-Urlauber aus Übersee ist es durchaus wichtig zu wissen, ob sie dieses süße Mitbringsel bei einem Souvenirhändler in Wien oder in Linz an der Donau kaufen sollen. Die Oberösterreicher argumentieren damit, dass die Donau-abwärts von Linz lebenden Wiener neidisch sind auf alles, was nicht aus ihrer Stadt kommt; und deshalb glauben sie in Wien immer noch allzu gerne an Polgars Lügenmärchen.

Österreich - Linz - Linzer Torte

Als die Wiener ihre Behauptung wissenschaftlich untermauern wollten, stellte sich allerdings heraus: In den historischen Quellen zum Zuckerbäckerwesen in Wien von 1400 bis in das Jahr 1814 findet sich kein Konditor und kein Vertreter eines vergleichbaren Gewerbes, der den Namen „Linzer“ trug. Und die „Bürger-Eidbücher“ des Wiener Stadt- und Landesarchivs verzeichnen ebenfalls keinen möglichen Erfinder der „Linzertorte“.

Die Sachertorte war Mitte des 19. Jahrhunderts zwar nach ihrem Erfinder Franz Sacher benannt worden. Aber in den Zeiten davor verdankten die Speisen ihre Namen ausschließlich geographischen Gesichtspunkten, allenfalls wurden sie einem bedeutenden Namensgeber gewidmet. Denn entsprechend dem damaligen Klassendünkel gehörten die Köche und Zuckerbäcker einem sehr niedrigen Stande an. Also beharren die Bewohner von Linz heute auf dieser Schreibweise:

Linzer Torte

Damit ist „Linzer Torte“ aber längst noch keine historisch verbürgte Herkunftsbezeichnung. Im Gegenteil. Ausgerechnet die Bibliothek der Oberösterreichischen Landesmuseen in Linz verweist mit Stolz auf seine Sammlung von Kochbüchern, in denen für eine Linzer Torte mehr als 80 Backanleitungen aus der Zeit von 1646 bis hinein ins 20. Jahrhundert enthalten sind – und diese stammen aus dem gesamten alpenländischen Raum.

Österreich - Linz - Konditormeister

Konditormeister Christian Rötzer mit Mandeln und Ribisel-Marmelade

Es kommt noch schlimmer. Die Stiftsbibliothek Admont in der Steiermark verwahrt eine Rezeptsammlung von anno 1653. Das handschriftliche Kochbuch stammt aus der Küche eines adeligen Haushalts im oberitalienischen Verona. Vier Kuchen-Backanleitungen tragen darin die Bezeichnung „Linz“ im Namen. Deshalb ist es für die Historiker das älteste Gericht mit einer exakten geographischen Zuordnung – vorausgesetzt, mit dieser Ortsbezeichnung ist wirklich die Stadt Linz an der Donau und nicht etwa Lienz in Osttirol oder gar eine andere Ortschaft mit dem gleichen oder einem ähnlich klingenden Namen gemeint.

Gerne genommen als Entstehungsgeschichte für die Linzer Torte – pardon, in diesem Falle müsste es natürlich „Linzertorte“ heißen – wird auch diese Legende: Ein k.u.k-Leutnant namens Rudolf Linzer wurde 1849 in Budapest bei einem Konditor einquartiert, sie freundeten sich miteinander an, als Zeichen ihrer Freundschaft ... – Mit ein wenig Fantasie lässt sich diese Story leicht weiterspinnen zu der Behauptung, dass die Torte eigentlich eine ungarische Erfindung ist.

Österreich - Linz - Kirche

In Linz harmonieren unterschiedliche Zutaten bestens miteinander

Der Rezept-Autor ist also nicht mehr aufzufinden. Verbürgt ist allerdings der Name jenes Mannes, der den Ruhm der süßen Linzerin begründete. Es war der fränkische Konditor Johann Conrad Vogel. 1823 heiratete er ein in einen Linzer Zuckerbäcker-Betrieb und machte zu deren Spezialität jene Torte, die ein beliebtes Reisemitbringsel für Linz-Besucher wurde. Das hohe Ansehen bei den Mitbürgern verdankte Konditormeister Vogel seinerzeit jedoch eher seinen Wohltaten für die Armen von Linz.

Süßes Stückchen good old Europe

Einer von diesen armen Leuten war Franz Hölzlhuber. So wie viele andere Bewohner europäischer Regionen, in denen die Menschen vom Hunger bedroht waren, wanderte Hölzlhuber 1856 aus nach den USA. Dort machte er die Linzer Torte vor allem in Auswanderer-Kreisen populär als ein süßes Stückchen good old Europe.

Österreich - Linz - Linzer Torte

Die Ribisel-Marmelade kommt auf die Torte

Heute wird die von Johann Conrad Vogel geschaffene Tradition am konsequentesten gepflegt vom Linzer Konditoren-Innungsmeister Leo Jindrak. Überall auf der Welt dürfen Konditoren aus Mandelkernen und Haselnüssen eine Torte nach Linzer Rezept backen. Aber das Etikett „Original Linzer“ darf eine Backware nur dann tragen, wenn sie in Linz hergestellt wurde. Und Leo Jindraks Backstube gilt als jener Ort, an dem die originalste Original Linzertorte - pardon: Linzer Torte – gebacken wird. Die Rezeptur ist kein Geheimnis:

200 g Butter, 330 g Mehl, 200 g Staubzucker (nördlich des Mains sagt man „Puderzucker“), 130 g geröstete Haselnuss-Stückchen, 10 g Backpulver, 400 g Ribisel-Marmelade („Ribisel“ nennt man im schwäbisch-österreichischen Sprachraum die rote Johannisbeere), 60 g gehobelte Mandeln, zwei Eier. Als Gewürze kommen hinzu: Vanille, Zitrone, Zimt und Nelkenpulver. Na ja, über ein paar speziellere Gewürz-Zutaten schweigt Konditormeister Christian Rötzer sich aus, wenn er seine Gäste in der Backstube von Leo Jindrak begrüßt.

Österreich - Linz - Linzer Torte

Stattdessen sollen die Teilnehmer seines Back-Workshops erst einmal die Butter und den Zucker verkneten. Anschließend erklärt Christian Rötzer den interessierten Amateuren die weiteren Schritte: „Das gesiebte und mit Backpulver vermischte Mehl, die Nüsse, die Eier und die Gewürze dazu kneten. Den fertigen Teig dann für einige Zeit in den Kühlschrank geben und nach dem Einkühlen in vier Teile schneiden.“ Aus drei Vierteln des Teiges wird anschließend der ungefähr 1,5 cm dicke Boden ausgerollt und die Ribiselmarmelade draufgestrichen.

Leo Jindraks „Haus der Original Linzer Torte“ ist keine Schaubäckerei, sondern eine Mitmach-Backstube. Mehlspeisen-Fans aus aller Welt kommen hier zusammen, um sich das Geheimnis der süßen Linzerin erklären zu lassen. Christian Rötzer: „Zuletzt habe ich mit Gruppen aus den USA und Frankreich gebacken. Die hatten sogar ihre eigenen Dolmetscher mitgebracht.“

Österreich - Linz - Rathausfassade

Wie aus einem Torten-Zuckerguss: Rathaus-Fassade in Linz an der Donau

Dabei braucht jeder Teilnehmer dieses Backkurses nur die einzelnen Schritte des Konditormeisters nachzuahmen, falls er Christian Rötzers weitere Anweisungen nicht versteht. „Wir formen jetzt den restlichen Teig zu Rollen. Diese Rollen legen wir als Gitter über die Marmelade. Anschließend mit Ei bestreichen und die gehobelten Mandeln am Rand entlang streuen und in den Backofen schieben bei ungefähr 190 Grad.“

40 bis 45 Minuten später ist eine individuell gefertigte Linzer Torte fertig. Für gute Freunde verrät Christian Rötzer auch schon mal das Geheimnis der übrigen 80.000 Linzer Torten, die jedes Jahr die Backstube von Leo Jindrak verlassen: „Hier sehen Sie unsere Tortengitterstanze.“ – Damit lässt sich das weltberühmte Gittermuster gleichmäßiger anfertigen als in Handarbeit.

Österreich - Linz - Linzer Torte

Ein Geheimnis der Original Linzer Torte: Die Tortengitterstanze

Die Frage nach der Herkunft des Tortenrezepts ist damit immer noch nicht beantwortet. Und auf Plakaten und in Anzeigen, mit denen Leo Jindrak für die Gitternetz-verzierte Mehlspeise wirbt, nennt er seine Original-Creation mal eine Linzertorte, dann wieder Linzer Torte.

Linzer Sinfonie

Aber wir können uns vielleicht darauf einigen: Dieses Genussmittel wurde – wie Mozarts „Linzer Sinfonie“ – erschaffen aus weit gereisten und allerfeinsten Zutaten, die erst in Linz zu dem uns heute bekannten Meisterwerk zusammengefügt wurden. Und weder die Torte noch die Sinfonie C-Dur KV 425 wurden komponiert von einem Herrn namens Linzer.

Österreich - Linz - Linzer Torte

© Tourismusverband Linz

Weitere Informationen

www.linzertorte.at

www.linz.at/tourismus

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