REIHE UNTERWEGS

Friede, Freude, Sachertorte

Die Geheimnisse einer Wiener Süßspeise

Text: Winfried Dulisch
Fotos: Hotel Sacher

Man nehme: 95 Tonnen Zucker, 80 Tonnen Schokolade, 64 Tonnen Marillen-Marmelade, 30 Tonnen Butter, 35 Tonnen Mehl und 1,4 Millionen Eier. Daraus produzieren 16 Konditoren jedes Jahr 360.000 Original Sacher-Torten. Unser Autor Winfried Dulisch ließ sich die Wiener Spezialität einmal auf der Zunge zergehen.

Österreich - Wien - Hotel Sacher

Hotel-Page mit Sachertorte © Hotel Sacher

Überall auf der Welt darf sich eine Torte, die mit Marillen-Marmelade bestrichen und mit Schokolade überzogen wurde, „Sachertorte“ nennen. In ihrem Ursprungsland aber nimmt der Gesetzgeber den Gattungsbegriff „Sachertorte“ viel genauer. Im Geltungsbereich des Österreichischen Lebensmittelkodex verliert eine apricotierte und schokoglacierte Mehlspeise das Recht, eine Sachertorte zu sein, wenn ihr zum Beispiel Marzipan, Kaffeecreme oder Nüsse hinzugefügt wurden. Die Bezeichnung „Original Sacher-Torte“ ist sogar ein geschütztes Markenzeichen, es darf nur verwendet werden vom Wiener Hotel Sacher und keinem anderen Wider-Sacher.

Österreich - Wien - Hotel Sacher bei Nacht

Hotel Sacher in Wien bei Nacht © Hotel Sacher

Bis 1965 pochte der kaiserliche und königliche Hofzuckerbäcker Demel auf das Recht, sein Produkt "Original Sacher-Torte" nennen zu dürfen. Nach langjährigem Rechtsstreit, wie er wohl nur in der Republik Österreich ausgetragen werden konnte, einigten sich die Kontrahenten darauf: Bei „Demel's Sachertorte“ befindet sich die Marmelade-Schicht nur unterhalb der Kuvertüre, beim „Original“ steckt im Inneren der Torte eine weitere Schicht. Strittig war lange Zeit auch die Frage: Darf bei der Herstellung dieses nationalen Kulturguts anstelle von Butter auch Margarine verwendet werden? Die Antwort lautet im Falle der Original Sacher-Torte verbindlich: „Nein!“.

Das süße Geheimnis bleibt ein Rätsel

Konsequent verweigert sich die Original Sacher Torte allen Sonderwünschen. Auch wenn einzelne Nationalitäten es eher lieblich süß oder kernig fruchtig mögen – die Menge der einzelnen Zutaten steht nicht zur Disposition. Und obwohl immer wieder Anfragen von Diabetikern aus aller Welt im Sacher eintreffen, wird auch beim Zuckergehalt der Original Torte keine Ausnahme gemacht.

Von Miniatur-Versionen bis hinauf zur Hochzeitstorte mit zwölf Stockwerken ist das Original in zahlreichen Abwandlungen erhältlich. Die 1998 – damals noch im Kellergeschoss des Hotel Sacher - produzierte Torte mit einem Durchmesser von 2,50 Metern wurde sogar in das "Guinness Buch der Rekorde" aufgenommen. Auch nach dem Umzug der Torten-Produktion in den Wiener Bezirk Simmering erlaubt die Geheim-Rezeptur den Sacher-Konditoren geschmacklich keinen Spielraum. Und das süße Geheimnis wurde bislang nicht enträtselt. Erwiesen ist nur, dass der Schokoladen-Mantel für den Geschmack verantwortlich ist. Drei unterschiedliche Hersteller in Lübeck und Belgien produzieren die Zutaten dieser Glasur für das Hotel Sacher

Österreich - Wien - Sachertorte

Es ist serviert: Sachertorte © Hotel Sacher

Donauwalzer und Sachertorte

Zurück zu den historischen Eckdaten einer Vom-Küchenjungen-zum-Millionär-Legende: 1832 sollte der 16-jährige Franz Sacher, Azubi am Hofe des Fürsten Metternich, den Küchenchef vertreten und ein Dessert für anspruchsvolle Gäste kreieren. Seine mit Marillen-Marmelade verfeinerte Schokotorte entlockte den hohen Herrschaften begeisterte Komplimente. Und Franz Sacher startete – ungefähr zeitgleich mit dem musikalischen Süßwaren-Hersteller Johann Strauß („Donauwalzer“) - eine Karriere als Konditor, die ihn über das Habsburger Reich hinaus berühmt werden ließ.

Franz Sacher starb 1907 als erfolgreicher Geschäftsmann im Alter von 91 Jahren. Notorische Grantler unter den Gourmet-Historikern erinnern ständig daran, dass eine Vorläuferin seiner Torte bereits 1718 erwähnt wurde. Andere behaupten, der Bub habe es dem "Wienerischen bewährten Kochbuch" von 1749 entnommen. Aber seit Katharina Prato in ihrem volkstümlichen Lehrbuch in "Die Süddeutsche Küche" (1858) eine "Chocolade-Torte à la Sacher" vorstellte, sind Schokoguss und Marillen-Marmelade untrennbar verbunden mit dem Namen Sacher.

1876 investierte Franz Sachers Sohn Eduard den guten Namen und das Vermögen seiner Familie in den Bau des „Hotel de l’ Opéra“. Es wurde errichtet an jener Stelle, wo einst Beethoven seine Neunte Sinfonie („Freude schöner Götterfunken“) uraufgeführt hatte. Sachers Gastronomie- und Beherbergungsbetrieb wurde wegen der vorzüglichen Küche und Weinkarte schnell zur ersten Restaurant-Adresse für die feine Gesellschaft in der Donau-Metropole. Eine neumodische Errungenschaft – die nach französischem Vorbild eingerichteten und in Wien zuvor unbekannten Chambres séparées – machten das Haus zum Geheimtipp. Hier konnte man diskret soupieren und sich dabei geschäftlich, politisch und sogar privat näher kommen.

Österreich - Wien - Hotel Sacher

Erst einmal perfekt reisen, danach perfekt speisen: Rolls Royce und Hotel Sacher © Hotel Sacher

Die Sacher-Chronik verweist mit Stolz darauf, dass der Anstand immer gewahrt blieb. Da kannte vor allem Eduard Sachers Tochter Anna kein Pardon. Als ein Erzherzog – sein Name wird heute noch verschwiegen – im Ersten Weltkrieg hier Freunde zum Souper eingeladen hatte, wurden nach ungarischer Sitte Gläser an die Wand geworfen. Aber diese Scherben brachten ihm kein Glück. Denn die strenge Anna Sacher stellte den Trunkenbold zur Rede: „Sagen Sie, Kaiserliche Hoheit, wie stellen S’ Ihnen das eigentlich vor? Wir passen auf das Zeug weiß Gott wie auf, weil man in dieser Zeit eh nix kriegt, und Sie schmeißen damit umanand.“

Wilde Sitten

Die Sitten verwilderten noch weiter. In den 20er Jahren wurde sogar Jazz-Tanzmusik als akustische Beilage zur Sachertorte an ihrem Originalschauplatz gereicht. 1938 wehte die Hakenkreuzfahne auch vor der Sacher-Hotelfassade. Den anschließenden Neuanfang markierte „Der dritte Mann“; als Graham Greene für diesen Roman im zerbombten Wien recherchierte, logierte er im Sacher und verabredete sich dort mit Informanten.

Sein Schriftsteller-Kollege Leopold von Sacher-Masoch (geboren 1836 in Graz) ist Namensgeber einer Schokotorte, die ironisch mit der Sachertorte kokettiert. 2003 gestaltete die Performance-Künstlerin Irene Andessner im Grazer Hotel Erzherzog Johann ein Zimmer zur Erinnerung an jenen Mann, nach dem der Masochismus benannt wurde. Karl Fröhlich, Patisseur im Erzherzog Johann, kreierte aus diesem Anlass die Sacher-Masoch-Torte. Als Inspiration diente ihm Leopold von Sacher-Masochs 1870 erschienener Skandal-Roman „Venus im Pelz“. - Enthält seine Torte vielleicht aphrodisierende Zutaten? - Karl Fröhlich macht daraus kein Geheimnis: „Wilde Preiselbeeren und eine dünne Schicht Marzipan. Außerdem ist sie überzogen mit einer Schicht Zartbitter-Schokolade.“ Die Sacher-Masoch-Torte ist also auch für minderjährige Naschkatzen geeignet.

Sachertorte für den Weltfrieden

Das Grazer Pendant kann den Erfolg des Originals nicht toppen. Heute werden im Wiener Hotel Sacher und dem dazu gehörenden Café jährlich 120.000 Exemplare der gleichnamigen Torte serviert – und zwar mit ungesüßtem Schlagobers (österreichisch für: Sahne) als Beilage. Der Oberkellner vom Café Sacher bestätigt: „Die meisten Gäste lieben diese für unser Haus traditionelle Zusammenstellung. Wenn das Schlagobers nicht konsumiert wird, lassen sich daraus keine Schlüsse auf geschmackliche Besonderheiten einzelner Nationen ziehen.“

Österreich - Wien - Cafe Sacher

Café Sacher in Wien © Hotel Sacher

Weitere 120.000 Original Sacher Torten verteilen sich jedes Jahr auf die übrigen offiziellen Verkaufsstellen: das Hotel Sacher in Salzburg (ehemals "Österreichischer Hof"), die beiden Sacher Cafés in Graz und Innsbruck sowie den Sacher Shop in Bozen/Südtirol. Außerdem ist die Original Sacher Torte im Abflug-Bereich des Flughafens Wien erhältlich. Wer das süße Österreich-Souvenir nicht selbst importieren möchte, kann sich ein Stückchen abschneiden lassen von jenem Drittel der Jahresproduktion, das in alle Welt verschickt wird. 25 Verpacker sorgen dafür, dass jede Torte frisch ankommt.

Das Image der Torte wurde in den mehr als 175 Jahren nach ihrer offiziellen Erfindung immer wieder frisch gehalten von Kulturschaffenden der unterschiedlichsten Genres. In zahlreichen Filmen erscheint die süße Beilage als Requisit – wenn nicht gar als Hauptdarsteller. Der Schlagerkomponist Peter Kreuder veröffentlichte 1968 sogar den zuckersüßen Konzertwalzer „Sacher-Torte”. Im Jahr darauf heirateten Yoko Ono und John Lennon. Das Paar nutzte die Hochzeitsreise für ihre Hotelbett-Pressekonferenzen („Bed-Ins“), um gegen den Vietnam-Krieg zu protestieren. In Wien krochen sie vor den Augen der Journalisten in einen Sack und aßen darin Sachertorte für den Weltfrieden. Der Nachwelt erhalten ist dieser „lightning trip to Vienna / eating chocolate cake in a bag“ durch den Beatles-Hit „The Ballad of John and Yoko“. Die zwei Friedensaktivisten okkupierten die Sacher-Suite 312, deshalb wird in der Hotel-Chronik diese Textzeile heute genüsslich fehlinterpretiert als „chocolate cake in a bed“.

Österreich - Wien - Hotel Sacher  Ausblick

Aussicht von der Terrasse des Hotel Sacher auf die Albertina und Wien © Hotel Sacher

Neben Polit-Amateuren wie Yoko und John vertrauen auch Profis auf die Frieden stiftende Wirkung von Musik und Franz Sachers Mehlspeisen-Kreation. Österreichische Politiker nehmen gerne die Wiener Sängerknaben oder Philharmoniker als Begleitpersonal mit auf ihre Staatsbesuche. Als weitere Freudenspender transportieren sie im Diplomatengepäck oft ein paar Sachertörtchen.

 

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