Astschere statt Strandliege

Urlaub der etwas anderen Art in den Zillertaler Alpen

Text und Fotos: Beate Schümann

Unter dem mintgrünen T-Shirt des Naturparks Zillertaler Alpen rinnt der Schweiß der freiwilligen Helfer nur so herunter. Freischneiden, was sich die Natur auf den ungenutzten Weideflächen der Waxeggalm zurückgeholt hat, das geht an die Knochen. Schwendarbeit ist Schwerarbeit. Da heißt es: die Muskel anspannen, nicht lange überlegen und die Astschere wieder in die Hand nehmen, schnipp, schnapp.

Volunteering Tirol: Waxeggalm im Zemmgrund, Hochgebirgsnaturpark Zillertaler Alpen, Tirol, Österreich

Waxeggalm im Zemmgrund

Mit anpacken. Das ist Urlaub der etwas anderen Art. Das wollten die acht Volunteers, die zur Almpflege ins Zemmgrund-Tal kamen. Runter vom Bürostuhl, rauf auf die Alm - raus aus dem Hörsaalmief, rein in die frische Bergluft. Ums Chillen, den Liegestuhl am Strand oder eine Extremtour wie den „Westweg“ durch den Schwarzwald ging es niemandem. Veronika Ellecosta aus Südtirol wollte sich auf der Umweltbaustelle nicht nur körperlich auspowern. Die 20-Jährige, die in Salzburg Sprachen studiert, suchte gezielt den Gegensatz zur Kopfarbeit: Körperarbeit. „Sonst hätte ich ja zum Klettern oder zum Segeln gehen können.“ Beim Sport stehe das Ego im Zentrum, sagt sie. Sie wollte etwas mit mehr Sinn tun.

Volunteering Tirol: Säuberung der Hänge zur Rückgewinnung von Weideland für die Waxeggalm im Zemmgrund, Hochgebirgsnaturpark Zillertaler Alpen, Tirol, Österreich

Säuberung der Hänge zur Rückgewinnung von Weideland für die Waxeggalm

Vom Almensterben hatte Isabelle Klein aus Stuttgart schon gelesen, und dagegen wollte sie etwas unternehmen, wenigsten für eine Ferienwoche. Dass das kein Zuckerschlecken würde, war ihr klar. „Ich bin Anstrengung gewohnt“, sagt die sportliche Abiturientin. „Die traditionelle Landschaft soll erhalten bleiben“, das sieht auch der Sauerländer Marius Klotz so. Er studiert in Münster Landschaftsökologie und ist im Zillertaler Naturpark Praktikant. „Eine Generationenverantwortung“, findet der 23-Jährige, der die Berge liebt, in der Freizeit zum Bouldern geht und selbst wie ein Felsen gebaut ist. Ohne Hilfe, sagt er, wären die Almbauern aufgeschmissen. Die 19-jährige Studentin Sara Widhalm ist dabei, weil sie zu viel vor dem Computer sitzt, die Reise kostengünstig und sie gern in der Gruppe ist. Die 32-jährige Veronika Schlaipfer, eine Klavierlehrerin aus Salzburg, sucht Herausforderung und Abwechslung.

Volunteering Tirol: Sophie unterbricht die Schwendarbeit, um die neugierigen Kühe zu streicheln. Waxeggalm im Zemmgrund, Hochgebirgsnaturpark Zillertaler Alpen, Tirol, Österreich

Sophie unterbricht die Schwendarbeit, um die neugierigen Kühe zu streicheln

„Auf den ersten Blick mag alles in Ordnung sein“, sagt Almwirt Alfred Mühlbauer, der auf der Holzbank vor seiner Almhütte sitzt. Der Zemm, der sich aus zwei Gletscherbächen speist, trennt rauschend das Tal, eines der wenigen ohne Lift und öffentliche Straße. Die weißen Gletschergipfel von Hornkees, Schwarzensteinkees und Waxeggkees strahlen in der Sonne, obwohl die Eisriesen schon bessere Zeiten gesehen haben. Die Endmoräne läuft wohlgeformt oberhalb der Waxeggalm aus. Hier klingt es nach Kuhglocken, schmeckt nach klarem Quellwasser, duftet es nach Heu und der selbstgebackenen Torte von Ottilie. Seit drei Jahren bewirtschaften die Mühlbauers die Waxeggalm, ein Jugendtraum.

Alfred und Ottilie Mühlbauer, die Almwirte der Waxeggalm im Zemmgrund, Zillertal, Tirol, Österreich

Alfred und Ottilie Mühlbauer, die Almwirte der Waxeggalm

Jahrelang war nichts geschehen. Die 258 Hektar aus Wiese, Wald und Berg standen zum Verkauf. Doch keiner wollte sie. Latschenkiefern, Wacholder und Alpenrose machten sich breit, deckten die Weideflächen wie Teppiche zu. Die Kühe blieben im Tal. „Eine Alm ist keine schöne bunte Welt“, sagt Alfred ernst, „sondern harte Arbeit.“ Das Paar aus Krems hatte sich dafür entschieden. „In der Natur wird dir bewusst, was wichtig ist im Leben“, sagt der dynamische Neubauer, der sonst in Oberösterreich Fliesen verlegt und Kamine baut. Die Pensionierung sei kein Ziel für sie, so der 58-Jährige, großes Geld schon gar nicht.

Der Hochgebirgsnaturpark Zillertaler Alpen sah in der neuen Bewirtschaftung eine Chance, die aussterbende Kulturlandschaft im Tal zu bewahren. „Almbauern sind alpine Landschaftspfleger“, sagt Naturparkbetreuerin Katharina Weißkopf. Ohne sie wächst alles zu. Nur auf offenen Flächen gedeihen Enzian, Steinbrech, Hauswurz und Arnika. „Der Erhalt der Alpenflora liegt im Interesse des Naturparks“, betont Weißkopf, die auch die Umweltbaustelle im Zemmgrund leitet.

Volunteering Tirol: Lauter neugierige Kühe. Alex Wopfner amüsiert sich drüber. Schwendarbeit auf der Waxegg im zemmgrund, Hochgebirgsnaturpark Zillertaler Alpen, Tirol, Österreich

Lauter neugierige Kühe. Alex Wopfner amüsiert sich drüber

Seit 2001 werden jährlich mehrere Freiwilligenprojekte durchgeführt. 2009 rückten die Almen stärker in den Fokus. „Eine Lawine im Winter, und der Almwirt muss von vorn anfangen“, erklärt Weißkopf. Vor zwei Jahren wurden die rund 70 Almen im 379 Quadratkilometer großen Schutzgebiet bewertet und die förderungswürdigen bestimmt, auch die Waxeggalm war darunter. Bei den Umweltbaustellen übernimmt der Alpenverein die Schirmherrschaft, der Naturpark Organisation und Projektleitung, die Almwirte Kost und Logis. Unter den Volunteers finden sich alle Berufe, Männer wie Frauen, meist Menschen über 50 Jahre und überwiegend Städter. Sie suchen Nähe zur Natur, Kontakt zu Gleichgesinnten und Einheimischen, wollen etwas anderes erleben und den Körper spüren. „Man gibt und bekommt“, sagt Weißkopf. „Das ist das Schöne.“ Und die Nachfrage steigt. Neu ist, dass so viele Frauen dabei sind und so junge Teilnehmer.

Geld gibt es nicht. Die Anreise müssen alle sogar selbst bezahlen. Für das Wohlbefinden der Hiwi-Almwirte legen sich die Mühlbauers deshalb schwer ins Zeug. Statt der in Berghütten oft üblichen Massenlager hat die Waxeggalm komfortable Zwei- bis Vierbettzimmer mit eigenem Waschbecken, was beinah Suite-Charakter hat. Frühstück ist immer um Acht. Ottilie serviert draußen am langen Tisch mit Quellwasser gebrühten Kaffee, Semmeln, Honig und selbstgemachte Marmelade. Alle sitzen in den mintgrünen Shirts des Naturparks.

Volunteering Tirol: Schwendarbeit am Steilhang, Wanderer staunen. Projekt für die Waxeggalm im Zemmgrund zur Rückgewinnung von Weideland, Hochgebirgsnaturpark Zillertaler Alpen, Tirol, Österreich

Schwendarbeit am Steilhang, Wanderer staunen

Alfred hatte am Steilhang vorarbeiten, die Hänge von bezahlten „Almputzern“ mit der Motorsäge säubern lassen. Nun kommt das Wegräumen. Bäume, Büsche, Äste, dicke Wurzeln abwärts transportieren und unten stapeln, damit es verbrannt werden kann. Manche Stellen sind so schräg, dass man beim Runterzerren der gewaltigen Äste das Gleichgewicht behält. Im athletischen Diskuswurf schleudert Isabelle das bis zu zwei Meter lange Geäst hinab auf den langsam anwachsenden Zweighaufen. Besonders Latschenkiefer und Wacholder zeigen exzellente Flugeigenschaften. Bücken, Äste greifen, zerren, werfen, stapeln. Immer wieder. „Den Schluck Wasser nicht vergessen“, ruft Gruppen-Boss Marius den Öko-Zivis zu. Quadratmeter für Quadratmeter arbeitet man sich im Dickicht mit der Astschere voran. Langsam verschwinden Gedanken. Der Körper ist hundert Prozent gefordert, der Kopf ist auf Urlaub. Herrlich.

Wenn die Sonne am höchsten steht, bringt Alfred in seinem roten Pick-up die Mittagsjause. Dick belegte Brote mit Schinken, Käse, Tomaten und Gurke, dazu jede Menge Getränke. „Gut gemacht“, lobt der Almwirt. Die Gruppe legt sich zufrieden ins Gras. Der Bach rauscht, Schmetterlinge flattern, Grillen zirpen, das Fleckvieh muht, aus dem Unterholz hüpft eine fette Kröte.

Volunteering Tirol: Marius, Isabelle und Ioana machen Pause von der Schwendarbeit am Steilhang, Waxeggalm im Zemmgrund, Hochgebirsnaturpark Zillertaler Alpen, Tirol, Österreich

Marius, Isabelle und Ioana machen Pause von der Schwendarbeit am Steilhang

Um Fünf gehen alle zur Waxeggalm zurück, wo sich die letzten Wanderer zum Talgang rüsten. „Griaßt eich“, ruft Alfred seinen eintreffenden Helfern zu. Zum Sonnenuntergang sitzen alle wieder am großen Tisch. Mit Heißhunger stürzen sie sich auf das, was Ottilie zubereitet hat – mal Wildragout, mal Kasnockerln mit Röstzwiebeln. Danach spielt Marius auf der Gitarre, die Nacht zaubert Sterne in den Himmel.

Nach sechs Tagen Bäumeausreißen haben alle reichlich Muskelkater-Erfahrung. Im Rücken ziept es, blaue Flecken und Schrammen hier und da, die Schulter tut weh – jeder hat etwas davon. Erschöpft sind alle, aber glücklich.

 

 

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