Kathedralen des Wissens

Portugals Bibliotheken

Text und Fotos: Beate Schümann

Ich brauche Wahrheit und Aspirin, schrieb der Dichter Fernando Pessoa einmal. Wahrheit, um zu leben, Aspirin, um die Wahrheit zu ertragen. „Oder man liest ein Buch“, sagt augenzwinkernd José Manuel Lello, der die gleichnamige Buchhandlung in Porto in der vierten Generation führt. In der Livraria Lello & Irmão findet der Leser für jede Gemütslage etwas, von hoher Literatur über Schmöker, Krimis und Sachbücher bis zu Coffee Table Books und Reiseführern, einige auch auf Deutsch. Der Existenzialist Pessoa sowie der Literaturnobelpreisträger José Saramago sind die Bestseller.

Portugal - Porto - Livraria Lello & Irmão von 1919

Livraria Lello & Irmão von 1919

Schon morgens bilden sich lange Warteschlangen vor dem schmalen Gebäude, das Portuenser liebevoll „Kathedrale der Bücher“ nennen. Die Bücherstube hat sich zum Pilgerziel entwickelt. Hinter der weißen Jugendstil-Fassade, den zierlichen Türmchen, Pilastern, Bordüren, Allegorien von Kunst und Wissenschaft verbirgt sich ein verzauberndes Reich des Wissens und der Fantasie. Auf 230 Quadratmetern türmen sich 150 000 Bücher auf Präsentiertischen und in Regalen bis unter die Holzdecke. Über der offenen Galerie lässt ein buntes Glasdachfenster gedämpftes Licht herein.

Portugal - Porto - Livraria Lello & Irmão innen

In der Livraria Lello & Irmão

Das beste Stück im Raum ist allerdings die Treppe mit den knallrot lackierten Stufen. Erst windet sie sich einfach, dann doppelseitig zum Obergeschoss hoch. Es kursiert das hübsche Gerücht, dass es womöglich diese faszinierende Treppe gewesen sein könnte, die die britische Schriftstellerin Joanne K. Rowling zu den schwingenden Aufgängen in Hogwarts Zauberinternat inspiriert hat. Immerhin hat die Harry-Potter-Schöpferin zwei Jahre in Porto gelebt und als Lehrerin auch die Studenten in ihren traditionellen, langen schwarzen Umhängen kennengelernt.

Portugal - Porto - Livraria Lello & Irmão Treppe im Innenraum

Treppe im Livraria Lello & Irmão

Lello schätzt es, wenn seine Livraria voller Menschen ist, als Ort der Kultur und Kommunikation. Dafür gibt es oben ein Café, in dem man bei Espresso oder Port schmökern kann. Doch etwas musste sich ändern. Um den Laden zu retten, der täglich von Hundertschaften gestürmt wird, die meisten nur um zu fotografieren. In der Hochsaison sind es um die 5 000 Besucher am Tag. Deshalb führte der Herr der Bücher das Voucher-System ein. Besucher zahlen drei Euro Eintritt, die beim Kauf eines Buches angerechnet werden. Lello wollte, dass die Besucher wieder zu Lesern würden.

Dalila Correira, Archäologin im Museu do Côa, erklärt die paläolithische Gravurenkunst. Unesco Welterbe, Vila Nova de Foz Côa, Portugal

Dalila Correira, Archäologin im Museu do Côa, erklärt die paläolithische Gravurenkunst

Porto liegt am Douro. Man braucht nur dem Flussverlauf zu folgen, um die nächste Bibliothek zu finden. Eine, wie man sie kaum erwartet, die aber das Wissen frühzeitlicher Menschen bewahrt. Sie befindet sich im canyonartigen Tal des Côa, einem linken Nebenfluss des Douro. Hier ritzten Bewohner der Altsteinzeit Auerochsen, Hirsche, Pferde, Ziegen, Fische von enormer Eleganz in die Felsen. Auf einer Strecke von zwanzig Kilometern fand man an 72 verschiedenen Stellen 1 200 Steinritzbilder. „Nirgendwo gibt es diese Dichte und Anhäufung paläolithischer Gravuren unter freiem Himmel“, sagt die Archäologin Dalila Correia. Sie berichteten von der Lebensweise der nomadischen Jäger und Sammler, die heute nur gedeutet werden könnten. Die Magie der paläolithischen Kunst liege darin, so die Expertin, dass vieles im Ungewissen bleibe.

Paläolothische Rock Art wie dieses eingeritzte Pferd in Penacosa, sieht man nachts bei künstlichem Licht am besten. Parque Arqueológico Vale do Côa, Unesco Welterbe, Vila Nova de Foz Côa, Portugal

Paläolothische Rock Art wie dieses eingeritzte Pferd in Penacosa, sieht man nachts bei künstlichem Licht am besten

Ursprünglich sollte im Mündungsgebiet des Côa ein Staudamm entstehen, das Tal geflutet werden. Der Bau war weit fortgeschritten, als der Geologe Nelson Rebanda 1994 auf prähistorische Felsgravuren stieß. Die Fachwelt war sich einig: er hatte über 20 000 Jahre alte Rock-Art von unschätzbarem archäologischem Wert gefunden. 1998 war sie bereits im Welterbe gelistet. „Zum ersten Mal in Europa wird Kunst produziert“, urteilt Correia. Nach heftigen Protesten stoppte die Lissabonner Regierung den Bau, um die Steinzeit-Bibliothek zu bewahren. 1996 wurde der Archäologische Freiluftpark eröffnet, vier Jahre später das aufregend designte Côa-Museum.

Biblioteca Joanina, die barocke Bibliothek der Universität, finanziert aus dem Gold aus Brasilien, Coimbra, Portugal

Biblioteca Joanina, die barocke Bibliothek der Universität, finanziert aus dem Gold aus Brasilien

Die Universität von Coimbra ist nicht nur geographisch der Gipfel, weil sie den höchsten Punkt der Stadt besetzt. Sondern auch wegen ihrer Tradition seit 1308 und ihrer Prunkbibliothek. Die Alma Mater ist die älteste des Landes und eine der ältesten Europas. Portugals bedeutendste Dichter und Denker haben ihre Doktorhüte in Coimbra erhalten, etwa Luís de Camões und Eça de Queirós, oder die seit der Nelkenrevolution von 1974 bekannten Politiker Mário Soares und Álvaro Cunhal, aber auch der von ihnen gestürzte Diktator Manuel de Oliveira Salazar.

Studentinnen in ihrer Tracht und der typischen Haltung vor der Neuen Bibliothek, Universität Coimbra, Portugal

Studentinnen in ihrer Tracht und der typischen Haltung vor der Neuen Bibliothek

Man studierte in Coimbra, bis heute. Rund 30.000 Studenten sind immatrikuliert – das bedeutet Kneipen, Cafés und Diskos, nicht nur oben auf dem Olymp. Vom Campus aus betritt man eine der weltweit spektakulärsten Bibliotheken, die Biblioteca Joanina. Hier wird freilich nicht mehr gebüffelt, sondern nur noch gestaunt. Die barocke Dekorationslust springt einen förmlich an, verschnörkelte Triumphbögen für drei Abteilungen, kunstvolle Holzschnitzereien, überreich mit Blattgold verzierte Regale und Buchrücken über zwei Etagen. An der Stirnwand hängt das Gemälde des verschwenderischen Bauherren: König João V., der Anfang des 18. Jahrhunderts die ganze Pracht mit dem Gold aus seiner Kolonie Brasilien finanzierte, um zu zeigen, dass Portugal das reichste Land der Welt war. Sogar an die Konservierung der Schätze war gedacht. Die bis zu zwei Meter dicken Außenwände und die Vertäfelung aus Eichenholz gewährleisten durchweg konstante Raumtemperaturen von zwanzig Grad. Gegen Ungeziefer wird nach Besucherschluss eine Spezialtruppe eingesetzt. Nachts flattern zig Fledermäuse aus ihren Verstecken, die sich über schädliche Insekten hermachen.

Biblioteca Joanina, die barocke Bibliothek der Universität, finanziert aus dem Gold aus Brasilien, Coimbra, Portugal

Biblioteca Joanina, die barocke Bibliothek der Universität von innen

Zu den Kostbarkeiten der Bibliothek gehören rund 300 000 Bände, Handschriften und Drucke, von denen die wertvollsten aus Sicherheitsgründen in der Neuen Bibliothek lagern. Zu den ältesten Werken gehören eine Erstausgabe von Camões‘ Nationalepos „Die Lusiaden“ und der Gregorianische Kalender von 1612 des Bamberger Mathematikers Christophorus Clavius.

Nördlich von Lissabon hat sich gleich ein ganzer Ort dem Buch verschrieben: Óbidos. Natürlich kommt der fremdsprachige Besucher nicht zum Lesen her, sondern vor allem, um das mittelalterliche 150-Seelen-Dorf mit seiner intakten Burgmauer und den blumengeschmückten Gassen zu erkunden. Es geht um Atmosphäre, auch beim „Literarischen Städtchen“, wie Óbidos sich seit 2013 nennt. „Der Name ist eigentlich eine Utopie, weil wir so klein sind, “ sagt Celeste Afonso, die Stadträtin für Kultur. Literatur passe aber perfekt zum Óbidos-Touristen.

Livraria do Mercado Biológico, ein Antiquariat plus biomarkt unter einem Dach. Eine von vielen Buchhandlungen in der Vila Literária, Óbidos, Portugal

Livraria do Mercado Biológico, ein Antiquariat plus Biomarkt unter einem Dach

Seither öffnen ständig neue Buchläden, sogar Privatleute ihre Bibliotheken. Im Herbst findet das Literatur-Festival „Folio“ statt. Auf der Rua Direita, der Hauptgasse, gelangt man zu acht Buchläden. Zu den interessantesten zählt die Livraria de Adega, die in einem alten Weinkeller untergebracht ist. Sie hat sich auf Bücher über Wein spezialisiert und schenkt natürlich auch einen guten Tropfen aus. Oder die Livraria do Mercado, ein Antiquariat, in dem man zugleich Biokost kaufen kann. Am aufregendsten ist die Livraria Igreja Santiago. Wer eintritt, ist versucht, ins Weihwasserbecken zu greifen. Doch es ist leer. Denn die Kirche ist entweiht; sie dient nur noch der Literatur.

Buchhandlung in der entweihten Igreja Santiago, 1186 erbaut, nach dem Erdbeben von 1755 wiederaufgebaut. Höhepunkt der Vila Literária, Óbidos, Portugal

Buchhandlung in der entweihten Igreja Santiago in Óbidos, 1186 erbaut, nach dem Erdbeben von 1755 wiederaufgebaut

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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