Reiseführer Rom

„Mafia capitale“ oder: Die Unterwanderung Roms

Nicht, dass Rom keine Erfahrung mit Machenschaften der Unterwelt hätte, gab es doch den „Marseiller Clan“ in den frühen 70er Jahren, brutale Monopolisten des Drogengeschäfts, die sich aber nur für kurze Zeit sicher fühlen konnten. Um die Wende zu den 80er Jahren etablierte sich nämlich mit der „Banda della Magliana“ eine Gang nach mafiösem Vorbild. Wer sich ihr in den Weg stellte, wurde liquidiert, der Drogenhandel von ihr generalstabsmäßig geplant, das wilde Gangstertum vergangener Zeiten machte dem organisierten Verbrechen Platz. Territorien wurden abgesteckt, Geschäftsbeziehungen zur sizilianischen Cosa Nostra, zur neapolitanischen Camorra, zu südamerikanischen Drogenkartellen hergestellt. Dubiose Bruderschaften, zwielichtige Abteilungen bestimmter Geheimdienste und neofaschistische Organisationen gerieten in den Dunstkreis der „Banda“.   .

Rom: Antico Caffe Greco

Es bleibt noch viel zu tun für das Amt in der Via Giulia


1995 begann der Prozess gegen 69 Angeklagte. 17 wurden freigesprochen, rund 500 Jahre Gefängnis verteilten sich auf die restlichen 52. War dies nun das Ende der römischen Mafia? Offensichtlich nicht, denn im Juli 2013 hatte die Hauptstadtpresse einen neuen Aufreger: „In Rom gingen Ermittler mit etwa 500 Beamten gegen das organisierte Verbrechen vor . . . größte Aktion dieser Art in Rom . . . 51 Festnahmen.“

Doch der Mafiaskandal, der die Italiener wirklich erschütterte und die Römer in helle Wut versetzte, flog im Dezember 2014 auf. Wieder schwärmten ganze Hundertschaften römischer Gesetzeshüter aus, es kam zu filmreifen Verhaftungen, die man im Internet anklicken kann. Mehr als zwei Jahre war ermittelt worden, dann wurde zugeschlagen, 37 Personen kamen hinter Gitter, Anklagepunkte: Bildung einer mafiösen Vereinigung, Erpressung, Betrug, Wucher, Bestechung, Geldwäsche, Rechnungsfälschungen, Ausschreibungsmanipulationen.

Unter den Festgenommenen waren alte Bekannte wie Massimo Carminati, ein vorbestrafter Rechtsterrorist, ehemaliges Mitglied der neofaschistischen Nuclei Armati Rivoluzionari und der oben erwähnten Banda della Magliana. Auf der Flucht vor der Justiz wurde er (wieder) unbehelligt in Rom ansässig, blieb seinem Milieu treu und übernahm die Führung der „Mafia capitale“ als heimlicher „König Roms“. Ein anderer „Re di Roma“ aus dem gleichen Umfeld machte kürzlich von sich reden. Wir kommen später auf ihn zurück. Noch ein bekanntes Gesicht wurde im Dezember 2014 abgeführt: Carminatis enger Partner Salvatore Buzzi. Wegen Totschlags hatte er eingesessen, im Knast ein Studium absolviert, was ihm viel Bewunderung einbrachte und ihn als „Geläuterten“ in die römische Gesellschaft entließ. Er machte sich sogleich an die Arbeit, gründete in rascher Folge an die 40 „linke“ Genossenschaften mit guten Verbindungen zum Partito Democratico (PD), der sozialdemokratischen Partei des Ministerpräsidenten Matteo Renzi.

Das Firmenkartell des Salvatore Buzzi war das Fundament der „Mafia capitale“, ein idealer Deckmantel, um das Vertrauen von Funktionären und Politikern zu gewinnen. Denn „Roms Mafia der Neuzeit“, wie ein Beobachter die neue Gang nannte, arbeitete ohne den üblichen sakralen Hokuspokus, ohne Rituale und Ehrenkodex. Man orientierte sich nicht an Siziliens Cosa Nostra, nicht an der neapolitanischen Camorra oder der kalabresischen `Ndrangheta. Es wurde nicht mit Drogen oder Waffen gehandelt, offene Gewalt war verpönt. Die Mafia neuen Typs setzte ganz auf Korruption, füllte die weit geöffneten Taschen ihrer zahllosen angestellten oder beamteten Günstlinge mit ordentlichen Geldbündeln und erhielt im Gegenzug jede Menge lukrative öffentliche Aufträge, oft aufgrund gefälschter Ausschreibungen. Sie war aktiv bei der Müllentsorgung, bei Lieferungen für die Verkehrsbetriebe, der Reinigung von Parks, der Versorgung von Altenheimen und besonders bei der Bewirtschaftung von Lagern für die Roma am Stadtrand und – außerordentlich lukrativ – bei der Einrichtung und Betreuung von Flüchtlingslagern auch außerhalb Roms wie z. B. dem Lager Mimeo in Sizilien, dem größten Europas.

Sie waren sich ihrer Sache ziemlich sicher und ahnten nicht, dass sie mindestens zwei Jahre abgehört und gefilmt wurden und ihre derben, im römischen Slang vorgebrachten Gespräche ihnen später zum Verhängnis werden könnten. So hat man Buzzis triumphierende Feststellung, mit der Betreuung von Flüchtlingen könne man mehr Geld machen als im Drogenhandel, ebenso festgehalten wie Carminatis (bei seiner Verhaftung gab er sich arm aus mit nur einem Motorroller in seinem Besitz) Prahlerei gegenüber Buzzi: „Ich bin reich, das kann ich dir versichern, ich bin ein reicher Bandit. Doch wenn ich mein Geld zeigen würde, würden sie es mir wegnehmen.“ Oder Buzzis Mahnung, gerichtet an einen Lokalpolitiker: „Hey, du kennst doch die Metapher: Wenn du die Kuh melken willst, musst du ihr Essen geben. Und ihr habt sie schon stark, sehr stark gemolken.“ Und wie eine Stellenbeschreibung hört sich ein weiterer Telefonmitschnitt eines Carminati-Gesprächs an: „Denn auch die Leute in der Oberwelt sind daran interessiert, dass in der Unterwelt jemand für sie die Dinge erledigt, die sonst niemand macht.“



Immer mehr Details kommen ans Tageslicht und die Römer müssen fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass eine unheilige Allianz aus ehemaligen neofaschistischen Gewalttätern, „progressiven“ Unternehmern, korrupten Stadträten, Dezernenten und Lokalpolitikern linker wie rechter Couleur die Verwaltung der Hauptstadt unterwandert hat. Ein gefräßiges Monstrum hat sich der Stadt bemächtigt und hält sie in ihrem Korruptionsnetz gefangen. Am schlimmsten war es zwischen 2008 und 2013, der Amtszeit von Bürgermeister Gianni Alemanno, der einmal Berlusconis Landwirtschaftsminister war, nachdem er seine politische Karriere als faschistischer Schläger begonnen hatte und danach Rechtsaußenparteien angehörte. Auch gegen ihn wird ermittelt.

Seinem Nachfolger, dem PD-Mann Ignazio Marino, hinterließ Alemanno 2013 Schulden in Höhe von 23 Mrd. Euro und eine Stadtverwaltung, die 23.000 Mitarbeiter zählte, mit den Angestellten städtischer Unternehmen waren es sogar 60.000, die von der Stadt lebten. In seiner kurzen Amtszeit hat Marino einiges erreicht und auch die „Mafia Capitale“ hat es nicht mehr so leicht wie unter Alemanno. Als Warnung schickte sie ihm einen Brief mit zwei Patronen vom Kaliber neun Millimeter und der Drohung, seine Frau und Tochter zu ermorden, würde er so weitermachen und wenig später erreichte ihn eine zweite schriftliche Morddrohung zusammen mit Patrone und Patronenhülse und einer toten Taube.

Dass die römische Unterwelt sich noch lange nicht geschlagen gibt, beweist ihre unverfrorene, kinoreife Selbstdarstellung vor aller Augen anlässlich der Beisetzung des Clanchefs Vittorio Casamonica im August 2015. Der triumphale Trauerzug, eine freche Zurschaustellung von Mafia-Macht in und vor der Basilika San Giovanni Bosco besaß alle Zutaten eines schwülstigen Mafia-Dramas: Sechs schwere irische Rappen zogen eine pompöse Kutsche mit dem Sarg, gefolgt von einem Rolls Royce und einigen schwarz glänzenden Karossen einer deutschen Edelmarke, ein paar ältere füllige Damen des Clans trockneten mit weißen Spitzentüchern ihre reichlich fließenden Tränen, starke tätowierte Männerarme stemmten den Sarg wie zum Triumph in die Höhe, während die Trompeten einer Zigeunerkapelle schön schräg die Titelmelodie aus Francis Ford Coppolas „Paten“ anstimmten und aus einem Hubschrauber rote Rosenblätter auf die Szene herabregneten.

Für seinen Clan war Vittorio Casamonica der „König von Rom“. Der andere Titelträger, Massimo Carminati, nahm ihm das nicht übel. Sie pflegten geschäftliche Kontakte und hatten sich über den Zugriff auf Territorien und „Geschäftsfelder“ einigen können.

Auf Druck von Ministerpräsident Matteo Renzi trat Roms Bürgermeister Ignazio Marino im Oktober 2015 zurück. Renzi hatte sich immer einen anderen auf dem Posten des Bürgermeisters  gewünscht. Es gibt nicht wenige Römer, die vermuten, dass noch nicht enttarnte PD-Politiker des Mafia Capitale-Netzwerks den Sturz Marinos mitbetrieben haben. Marino jedenfalls äußerste die Befürchtung, "ohne ihn werde womöglich die Stadt wieder in die Hände der Mafia fallen".


Mafia Capitale – Nachtrag
Fast dreieinhalb Jahre gingen ins Land, bis die römischen Stadtoberen gegen Vittorio Casamonicas irdisches Paradies ins Feld zogen. Zur Erinnerung: Trauernde Angehörige hatten bei seiner Beerdigung im August 2015 ein Transparent mit der Aufschrift Du hast Rom erobert, jetzt erobere das Paradies aufgehängt. Acht illegal errichtete Villen nebst drei Dutzend Bewohnern wurden an einem grauen Novembermorgen 2018 von 600 Polizisten umzingelt, die den unsanft aus dem Schlaf gerissenen einen Beschluss zur Beschlagnahme ihrer Habe und zum Abriss der Villen unterbreiteten – unter den triumphierenden Blicken der bislang ziemlich glücklos agierenden Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung. Sie sprach von einem „historischen Tag“ und dass „wir dreißig Jahre illegaler Aktivitäten zu einem Ende bringen“. Und auch der notorische Saubermann von der Lega, Innenminister Matteo Salvini, war anwesend und verkündete: „Die Party für die Kriminellen ist vorbei!“

Was Drogenhandel, Glücksspiel, Zuhälterei, Schutzgelderpressung, Wucherkredite einbringen, umgesetzt in Kostbarkeiten und Geschmacklosigkeiten, kam nun bei der Durchsuchung der in knallbunte Farben gestrichenen Häuser zum Vorschein. Mehrere Lastwagen mussten eingesetzt werden, um Flachbildfernseher und vergoldete Möbel, lebensgroße Marmorskulpturen von Leoparden, Musikanlagen, vergoldete Pferdestatuetten, barockisierende Bettgestelle, schwere Vorhänge etc. abzutransportieren. Doch auch die Anwälte der Großfamilie blieben nicht untätig und beantragten – zunächst aber vergeblich – den Untergang von Vittorio Casamonicas irdischem Paradies zu stoppen.
Virginia Raggi dagegen war hochzufrieden, konnte sie doch endlich allen Zweiflern zeigen, dass sie die Stadt fest im Griff hat . . .





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