Reiseführer Rom

San Pietro in Vincoli

Wie vielen römischen Kirchen sieht man dem Gotteshaus am Fuß des Colle Oppio sein Alter nicht an. Hinzufügungen am Außenbau Anfang des 16. Jahrhunderts und einschneidende Veränderungen im Innenraum zweihundert Jahre später täuschen darüber hinweg, dass wir es mit einem frühchristlichen Bau, einer dreischiffigen Basilika, zu tun haben. Sie zählt zu den ältesten Kirchen Roms.

Rom: San  Pietro in Vincoli

Ihre Entstehungsgeschichte ist recht zuverlässig dokumentiert. Eine im Mittelalter kopierte Stiftungsinschrift berichtet, dass der Bau während der Amtszeit von Papst Sixtus III. (432-440) entstand. Ein weiteres Dokument erwähnt Kaiserin Licinia Eudoxia, Ehefrau des weströmischen Kaisers Valentinian III. (425 – 455), die das Versprechen ihrer Eltern, den Bau der Kirche zu fördern, eingelöst habe. Die Basilika kann also als eine päpstliche Gründung mit kaiserlicher Förderung bezeichnet werden. Was aber hat es mit dem Versprechen auf sich? Die Kaiserinmutter, Gemahlin des oströmischen Kaisers Theodosius II., hatte von einer Wallfahrt nach Jerusalem die Ketten des heiligen Petrus nach Konstantinopel gebracht, mit denen nach christlicher Überlieferung Petrus während seiner Gefangenschaft in Palästina gefesselt war. Endgültiger Aufbewahrungsort der Ketten sollte die neu zu errichtende römische Basilika sein, dessen Anhängsel „in vincoli“ nichts anderes heißt als „in Ketten“.

Es war ein dicht bebautes Gelände, auf dem die Kirche entstand. Die Reste einiger Stadthäuser wurden für ihr Fundament genutzt und inzwischen ist auch nachgewiesen, dass ein ebenfalls dreischiffiger älterer Vorläuferbau existiert hat, von dem einige Teile in den Neubau integriert wurden.

Ein besonders weites Mittelschiff und zwei schmale Seitenschiffe sowie das Querschiff mit drei Apsiden strukturieren die Basilika. Besonders eindrucksvoll: die Kolonnaden aus dorischen Säulen, die von einem römisch-antiken Bauwerk stammen, man weiß nur nicht, von welchem. Ihre kräftig kannelierten Schäfte aus prokonnesischem Marmor, je zehn auf jeder Seite, trennen das Hauptschiff von den Seitenschiffen.

Die nachhaltige Verwandlung des spätantiken Baus begann unter Kardinal Giuliano della Rovere, dem späteren Papst Julius II. Er beauftragte im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts den Renaissance-Architekten Meo dell Caprino mit der Anlage der fünf Bögen des eleganten Portikus, der den Zugang zum Marmorportal beschirmt. Querschiff und Seitenschiffe bekamen Kreuzgratgewölbe. 1701 bis 1705 zog der Barockarchitekt Francesco Fontana eine flach gewölbte Decke über dem Mittelschiff ein, die ein prächtiges Fresko von Giovanni Battista Parodi trägt. Es widmet sich dem Thema „Kettenwunder“, jenem Vorfall, als sich die Kette aus Palästina mit der Kette, die Petrus in Roms Mamertinischem Kerker getragen haben soll, auf wundersame Weise zu einer Kette zusammenfügten. Sie wird heute als Reliquie in einem Glasschrein unter dem Altar aufbewahrt.

Die Ausstattung der Kirche birgt etliche Überraschungen. Grabmäler, Gemälde, Portraits, geschaffen von den Großen des 17. Jahrhunderts wie Guercino und Domenichino, sind zu bewundern oder ein Relief von Andrea Bregno (15. Jahrh.), eine Kreuzabnahme von Cristoforo Pomarancio (16. Jahrh.) und Luigi Capponis Grabmonument für die Künstler Pietro und Antonio Pollaiuolo (um 1500).

In die linke Wand des Seitenschiffs ist die Grabplatte des bedeutenden Humanisten, Theologen und Wissenschaftlers Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus) eingelassen. Sein Körper wurde in Rom beigesetzt, sein Herz aber, seinem Wunsche entsprechend, in seinem Geburtsort Kues an der Mosel. Der Kirchenmann war von 1448 bis 1464 Titularkardinal von San Pietro in Vincoli. Während dieser Jahre ließ er Dach und Mauerwerk der Kirche gründlich restaurieren.

Rom: Grabplatte von Nicolaus Cusanus

Grabplatte von Nicolaus Cusanus

Die meisten Besucher eilen ohne Umweg in das rechte Querschiff vor das berühmte Schmuckstück der Kirche. Es ist das Grabmal für Papst Julius II., das der Kirchenführer schon kurz nach Antritt seines Pontifikats bei Michelangelo in Auftrag gegeben hatte und damit nichtsahnend den vielbeschäftigten Meister in arge Kalamitäten stürzte.

Nach den ursprünglichen Plänen sollte das Grabmal um ein Vierfaches größer sein, nicht weniger als vierzig Statuen sollten es ausschmücken und allein die Peterskirche war als Standort vorgesehen. Aber es kam zu Verzögerungen, Julius` Nachfolger und Feind war gegen das Projekt, überdies war Michelangelo mit der Ausmalung der Sixtinischen Kapelle und anderer päpstlicher Aufträge voll ausgelastet. Das Vorhaben wurde auf die lange Bank geschoben, um Jahrzehnte später von den Erben des Julius wiederbelebt zu werden. Sie konnten den alten Michelangelo dazu bewegen, die in seiner Jugend begonnen Statuen zu vollenden, den Umfang des Grabmals aber drastisch zu verkleinern. Andere Künstler wurden hinzugezogen. Michelangelo war zutiefst unglücklich über das Ergebnis und klagte: „Ich habe meine Jugend, an dieses Grabmal gekettet, vergeudet.“

Rom: Moses

Moses
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Im Mittelpunkt steht Moses und zu seinen Seiten Rahel und Lea, die die vita contemplativa und die vita attiva (das beschauliche und das tätige Leben) versinnbildlichen. Diese drei Gestalten sind das Werk Michelangelos. Die übrigen Figuren sind, wie es heißt, „mittelmäßige Werkstattarbeiten“. An Moses, der Hauptfigur und einer der bedeutendsten Werke Michelangelos, haben sich unzählige kunstbegeisterte Interpreten abgearbeitet wie etwa Jacob Burckhardt und nach ihm Siegmund Freud, der 1914 in der psychoanalytischen Zeitschrift „Imago“ unter dem Titel „Der Moses des Michelangelo“ seine Beobachtungen und Deutungen veröffentlichte, allerdings anonym, oder in unserer Zeit der Kunsthistoriker Franz-Joachim Verspohl, der der gängigen Interpretation des „Moses“ eine überzeugende Wendung gab.

(Piazza di San Pietro in Vincoli)





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