<Vom Wallis nach Graubünden mit dem Fahrrad

Tour de Suisse für Amateure

Durchs "Veloland Schweiz": vom Wallis nach Graubünden

Text und Fotos: Judith Weibrecht

„Auf wie viel Höhenmetern leben Sie denn ?“ fragt man mich, und ich komme leicht ins Stottern. „Na ja, ca. 250 Meter“, ist meine kleinlaute Antwort und ich werde belehrt, dass ein Schweizer stets ganz genau wisse, auf wie viel Höhenmetern er lebe. Daraus schließen zu wollen, dass es bei den Eidgenossen für Radfahrer nur steil zuginge, wäre dennoch schlichtweg falsch. Auf der Rhône-Route zum Beispiel fährt man durch ganz verschiedene Regionen gemütlich vor sich hin, immer abwärts, wie der Lauf des Flusses.

Beginnen wir im malerischen Bergdorf Oberwald (Höhenmeter 1.370!) mit seinen alten Walliser Holzhäusern am Fuße der imposanten Bergkulisse in der alpinen Region Goms, einem der schönsten Hochtäler der Alpen. Die Rhône ist hier noch jung und heißt auf deutsch „Rotten“. Majestätische Berggipfel und optimale Beschilderung begleiten uns. Der Radweg ist zunächst breit und geteert, später führt er ein kurzes Stück auf erdigen, holprigen Wegen durch Wälder oder auch mal eine Landstraße entlang.

Schweiz - nationale Veloroute zw. Oberwald und Brig

Auf der Nationalen Veloroute 1, Rhône-Route, zwischen Oberwald und Brig mit Blick aufs Weißhorn

Über die Sprachgrenze hinweg

Pause machen wir im historischen Dorf Ernen mit seinem Ortsbild aus dem 18. Jahrhundert bei einem Walliser Käseteller. Das ist ein mit Wein vollgesaugtes Brot, darüber Käse, Schinken, Champignons und Paprika. Bis in die historische Handelsstadt Brig geht es heute, den türkisfarbenen Fluss entlang, der auch von Gletscherwasser gespeist wird und sich zuweilen recht wild gibt. Das Stockalperschloss mit seinen leuchtenden Türmen grüßt als Wahrzeichen der Stadt.

Schweiz - Stockalperschloss in Brig

Das Stockalper Schloss in Brig

Ab Brig ändert sich die Landschaft schlagartig: Das Flusstal wird weit, der Name Wallis, Val, Valais erklärt sich hier wie von selbst. Mächtige Viertausender stehen Spalier. Welch beeindruckende Landschaft! Von der Sonne beschienene Weinberge ziehen sich die Hänge hinauf und versprechen Köstlichkeiten. Hier wachsen in mediterranem Klima prächtiger Fendant, duftender Dôle, Pinot Noir, Johannisberg Riesling. Im Wallis, dem größten Weinkanton, gibt es ganze 45 Rebsorten, die die Kehle erfreuen können. Dazu ein Walliser Roggenbrot, etwas Bergkäse und Walliser Trockenfleisch aus Rindern? Also eine Weinpause in Susten-Leuk. Kurz darauf geht’s durch einen Föhrenwald, den größten Europas übrigens, genannt Pfyn-Finges!

Schweiz - Holzhäuser in Oberwald

Holzhäuser in Oberwald in der Region Goms

Und eine weitere Kuriosität erwartet uns: Am Bach Raspille, der gleichzeitig die Grenze zwischen Ober- und Mittelwallis bildet, ist die Sprachgrenze erreicht. Plötzlich, von einem Moment auf den anderen, spricht man nicht mehr Deutsch, sondern Französisch! Oh là, là, muss es nun also heißen, denn vor Sion werden die trutzigen Burgen der ehemals kriegerischen Walliser immer zahlreicher. Ebenso die Kühe: Die braunen sind übrigens die Milch- und die schwarzen die Kampfkühe. Sie gehören zur Eringer-Rasse, sind von kräftiger Statur und kämpfen einmal pro Jahr um den Titel der Königin! Neben dem Weg, der schön breit und geteert direkt den Fluss entlang Richtung Sion verläuft, liegen sie wiederkäuend im Gras.

Durchs „Kalifornien der Schweiz“

Sion, das liegt im „Kalifornien der Schweiz“ und profitiert von seinem Steppenklima. Ein malerisches Städtchen und einst ein wehrhaftes Bollwerk, heute noch sichtbar an seinen beiden Burgen Tourbillon und Valeria. Nun sind wir im Obst- und Gemüsegarten des Wallis und ein Apfel, frisch vom Baum gepflückt, erfrischt, bevor wir nach Saillon kommen, dem Dorf mit dem kleinsten Weinberg Europas oder sogar der Welt. Da ist man sich nicht so einig, doch auf jeden Fall wird es auch das Dorf der Falschmünzer, der „Farinets“, genannt. Das sei aber heutzutage mehr symbolisch zu verstehen, beeilt man sich zu erklären.

Schweiz - Ausblick hinter Sion

Der gut geteerte Radweg auf der Rhône-Route hinter Sion, rechts saftige Weinreben, Viertausender stehen Spalier

Richtung Martigny, der Stadt am Rhôneknie, pfeift der Wind besonders am Nachmittag recht stark das Tal entlang. Dadurch seien hier die Bäume schon krumm, so sagt man. Gut zu wissen für die Planung der Tour! Martigny war ein ehemals römischer Knotenpunkt, was man z.B. am Amphitheater sehen kann, in dem übrigens heutzutage die Kuhkämpfe stattfinden! In dieser Stadt befindet sich auch die „Fondation Giannada“, ein Kunstmuseum von internationalem Ruf mit wechselnden Ausstellungen und Skulpturenpark im Freien. Erbaut wurde es auf den Resten eines römischen Merkurtempels. Ein lohnender Grund für eine Radpause.

Schweiz - Pause in Martigny

Verdiente Mittagsrast in Martigny

Richtung St. Maurice wird das Tal wieder enger und einer der sieben Themenparks der reizvollen Region Chablais, das Abenteuer-Labyrinth in Evionnaz, lockt sicher die Kinder, aber vielleicht auch die Erwachsenen vom Sattel! Oder die wunderbare Abtei von St. Maurice, deren beeindruckende Glasfenster von Edmond Bille die Geschichte ihrer Entstehung erzählen. Hier, in diesem beschaulichen Städtchen, essen wir leckere Filets de Perches (Barschfilets) im „Restaurant & Hotel de la Dent du Midi“. Davor als „Apéro“ einen “Petite Arvine“, dazu einen „Heida“. Formidable, diese Weine! Essen und Trinken wie Gott in der Schweiz! Vorbei am Aquaparc und Swiss Vapeur Parc, oder nicht vorbei, denn wer kann da schon widerstehen, geht es nun noch zu den Palmenpromenaden am Lac Léman, wie der Genfer See auf Französisch heißt, und natürlich in die Weltstadt Genf! Was für eine Tour!

Weiter nach Graubünden!

Sie wollen noch nicht nach Hause? Ich auch nicht! Kommen Sie, wir fahren mit der Bahn ein Stück das Rhônetal zurück. Nun geht es vom Wallis nach Graubünden, vorbei an Gipfeln und Tälern. „Allegra“ (Willkommen) heißt es hier, in der einstigen römischen Provinz „Raetia prima“. Jetzt wird eine der zahllosen regionalen Radfahrmöglichkeiten ausprobiert: „Davos, Arosa. Lenzerheide – Biken ohne Gepäcksorgen“, so heißt mein Vergnügen, ein absolutes Muss für Biker! Wunderbare Panoramablicke mit imposanten Bergwelten, steilen Abfahrten und Aufstiegen. Doch Umsteigen auf Bahn oder Postauto ist jederzeit möglich, sodass die Tour nicht zur Quälerei wird, sondern genussvoll bleibt! Die Lenzerheide mit ihrem weiten Hochtal nennt sich auch „Bikerheide“ und das völlig zurecht, denn hier gibt es mehr als 250 Kilometer regionale Bikerouten für jeden Geschmack.

Schweiz - Panoramablick über die Bergwelt

Auf der Tour von Lenzerheide nach Arosa: Blick vom Rothorn auf die Schweizer Bergwelt

Weiter geht’s mit der Alpentour Nummer 603, raus aus Lenzerheide auf einem Feldweg an saftigen Wiesen entlang, auf der die Schweizer Kühe natürlich nicht fehlen dürfen. Ihre großen Glocken hört man schon von weitem. Das Panorama ist überwältigend, die Tour steil und schweißtreibend. Doch Biker-Anfänger wie ich dürfen auch mal „stoßen“. Immer wieder „lugen“ urige Bergrestaurants hervor und laden zur Rast ein. Die rote Schweizer Fahne mit weißem Bundeskreuz flattert vor stahlblauem Himmel. Eine kitschige Postkarte? Nein, die Wahrheit! Ein Schweizer macht mich auf ein verspieltes „Murmeli“ aufmerksam, das sich von uns gar nicht stören lässt.

Schweiz - Alpentour Nr. 603: herrliche Ausblicke

Auf der "Alpentour" Nr. 603, herrliche Ausblicke

Kurz vor Lavoz kratzt man an der 2.000 m Höhenmarke, doch dann geht es nur noch abwärts zum pittoresken Heidsee! Ein Bündner Plättli und ein „Dezi“ Malanser-Wein auf einer der zahllosen Sonnenterrassen schmecken nun noch einmal so gut. Bergauf hole ich mir Muskelkater in den Beinen, runterwärts in den Fingern vom Bremsen. Doch was soll’s: Anderntags geht’s mit der Bergbahn rauf aufs 2.861 m hohe Rothorn, die Fahrt ist schon atemberaubend genug, und dann via Urdental und Hörnli hinab nach Arosa. Tatsächlich ganz ohne Gepäcksorgen, denn das wird einfach mit einem Anhänger versehen an der Rezeption abgegeben, und im nächsten „Bikehotel“ wieder in Empfang genommen.

In schwindelerregende Höhen

Die Ausblicke dort oben sind grandios! Berge über Berge, Gipfel über Gipfel. Weiße Wattewolken schweben vorbei, und der kleine grüne Urdensee liegt mir zu Füßen. Doch all das ist nur etwas für absolut durchtrainierte Hardcore-Mountainbiker. Auf steilen, steinigen, schmalen Wegen muss man sein Gerät beherrschen! In Arosa probiere ich deshalb die vergleichsweise gemütliche Tour hinauf auf die Ochsenalp: Man fährt einen breiten Forstweg entlang, der nicht allzu steil ist.

Schweiz - Arosa mit See

Arosa mit See

Weiter von Arosa aus in die Alpenmetropole Davos. Übrigens heißt es nicht Gemeinde Davos, sondern “Landschaft Davos“, was man, kaum hier, bald versteht. Schöne Seitentäler und alte Walsersiedlungen locken zu netten und auch einfacheren Touren, z.B. zur höchst gelegenen Brauerei Europas in Mondstein, in ein Seitental über Frauenkirch und Mühle nach Sertig, hinauf auf die Schatzalp, und natürlich auch in schwindelerregende Höhen!

Schweiz - Blick von der Schatzalb auf Davos

Blick von der Schatzalp auf Davos

Für jeden Level ist etwas dabei. Grandiose Landschaften. Natürlich! Über die Schweiz ist viel geschrieben worden. Dabei fehlen die Worte. Imposante Bergkulisse, kolossal, traumhaft. All das ist richtig. Und doch: Man wird ihr nicht gerecht. Nur eines steht fest: In meinem nächsten Radfahrerleben werde ich Schweizerin. Wiederluege, Schwyz!

 

Reisemagazin schwarzaufweiss

 

Kurzportrait Schweiz

Die Schweiz? Kennt doch jeder, oder? Wilhelm Tell, Banken, Schokolade, Löcherkäse. Wer so denkt, ist aber höchstens mal durchgefahren, auf dem Weg nach Italien oder Frankreich. Man braucht schon etwas Zeit, um sich über das Klischee hinwegzusetzen.

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Entspannte Pointenhatz auf dem Appenzeller Witzweg

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Appenzeller Witzweg

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Jugendherbergen in der Schweiz

Vor gut dreißig Jahren war die preisgünstige Übernachtungsalternative in Vergessenheit geraten. Doch die Anhänger der alten Idee, die dem deutschen Lehrer Richard Schirrmann 1909 auf einer Schülerwanderfahrt gekommen war und sich unter dem Motto "Gemeinschaft erleben" weltweit verbreitete, besaßen einen starken Erneuerungswillen. In der Eidgenossenschaft, wo sich der Verbund 1924 gründete, reagierten sie mit einer tiefenwirksamen Sanierungsoffensive. Unrentable Häuser wurden geschlossen, andere gründlich aufgepeppt. In den letzten zehn Jahren investierte der Verein Schweizer Jugendherbergen 80 Millionen Franken in Um- und Neubauten.

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