Schmackhafter Schlusspunkt einer alpinen Wanderung

Bündnerfleisch - zu den Ursprüngen dieser Schweizer Delikatesse

Text und Fotos: Beate Schümann

Parpan liegt in Graubünden. Ein kleines Dorf im Churwaldnertal, das sich durch nichts weiter auszeichnet als durch die 1500-Meter-Höhenlage und die Nord-Südöffnung zwischen Rothorn und Stätzer Horn, durch die der Winterfön richtig schön kalt hindurchweht. Für das Bündnerfleisch ideale Bedingungen. In den Tälern Graubündens gibt es nur noch wenige Naturtrocknereien, die nach traditioneller Art arbeiten. Die von Jörg Brügger in Parpan ist eine.

Schweiz / Graubünden / Landschaft

Beim Öffnen der Ladentür umweht den Ankömmling ein frischkühler Luftzug, gefolgt vom würzigen Duft des Fleisches. Jörg Brügger, der das Geschäft in der vierten Generation betreibt, stellt „Echtes Bündnerfleisch“ nach altem Familienrezept her. Bündnerfleisch ist eine geographische Herkunftsbezeichnung und Graubünden sozusagen die DOC-Region des Trockenfleisches. Seit 2001 ist der Name als Marke geschützt und garantiert, dass das gepökelte, kräftig gewürzte Rindfleisch ausschließlich auf dem Gebiet des helvetischen Kantons verarbeit und veredelt wird. Das Fleisch selbst kann von überall herkommen.

Edelfleisch von Schweizer Rindern

Schon um 1892 arbeitete hier ein Bauer Brügger als „Lohntrockner“, der das Trocknen als natürliche Konservierungsmethode anwendete. Aus dem ganzen Churwaldnertal kamen die Almbauern nach Parpan und ließen ihr Fleisch von Brügger trocknen, um gut über den Winter zu kommen. Sohn Engelhard gründete 1925 eine professionelle Fleischtrocknerei mit eigenem Fleisch. Sorgfältig wählte er einen Bauplatz auf fünfzehnhundert Höhenmetern neben einem Bach aus. Denn wo fließend Wasser ist, sind auch Zug und Kühle. Gen Süden pflanzte er einen Schutzschild gegen die Sonne aus mittlerweile ausgewachsenen Föhren.

Schweiz / Graubünden / Trockenraum

„Wir nehmen nur das Edelfleisch von unseren Schweizer Rindern, Muskelfleisch ohne Sehnen und Fett, erklärt Jörg Brügger mit glänzenden Augen und schaut stolz auf die abgepackten Fleischblöcke, die wie Goldbarren in den Regalen liegen. „In der Schweiz gab es BSE praktisch nicht.“ Sagt es und taucht hastig in die frostige Welt seiner Fleischtrocknerei ab. Der 39-Jährige kennt keine langsamen Bewegungen, eine Angewohnheit, damit die Glieder nicht erstarren. Denn die Temperaturen hier haben Kühlhausniveau. Das ist etwas für abgehärtete Naturen.

Lorbeer, Pfeffer und viel Geheimnis

Doch auch das Fleisch hält ihn auf Trab. Im Kühlhaus schneidet der gelernte Metzger die Fleischstücke zurecht, reibt sie porentief mit Pökelsalz und einer Gewürzmischung ein, überzieht sie mit Netzen und stapelt sie in Bottichen. Dort ruhen sie je nach Größe zwischen sieben und fünfundzwanzig Tagen, nehmen Salz auf und geben Saft ab. Die Zusammensetzung der Gewürze? „Mein bestes Geheimnis“, lacht der Eidgenosse. Nur Lorbeer und Pfeffer sind ihm zu entlocken.

Schweiz / Graubünden / Fleischnetzeunter der Decke

Für Brügger ist jedes Stück Fleisch individuell, und so behandelt er es. Diese Einzelbehandlung ist es, die das naturgetrocknete Bündnerfleisch so kostbar macht und von den Fabrikprodukten unterscheidet. Dort trocknet das Fleisch in der Hälfte der Zeit, oft unter der Klimaanlage, und statt selbst zubereiteter Gewürzmischungen werden Gewürzkonzentrate verwendet. „Vom Rohfleisch bis zum fertigen Bündnerfleisch nehmen wir jedes Stück etwa siebzig mal in die Hand, bevor es fertig ist“, rechnet Brügger vor, während er die gepökelten Fleischportionen zum Antrocknen auf den zugigen Balkon bringt. In Reih und Glied hängen da Fleischnetze unter der Decke, je nach Wetter gut vier bis sieben Tage.

Außen weiß, innen gut

Jetzt kommt die sensibelste Phase des Naturtrocknens. Da die Luftfeuchtigkeit möglichst zwischen 78 und 84 Prozent liegen sollte, reguliert er die Zugluft durch das Öffnen und Schließen der Fenster, unter denen der Bach plätschert. Da sind Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt. Denn Wind und Temperaturen sind zu jeder Tageszeit anders. Stehen die Fenster nur etwas zu lange offen, entwickelt sich ein Trockenrand, das Fleisch hört auf, von innen zu trocknen, und ist nicht mehr zu gebrauchen. Wenn die Temperaturen auf dem Balkon unter fünf Grad sinken, muss das Fleisch reingeholt und am nächsten Tag wieder rausgehängt werden. Das macht ihn manchmal zum Marathonläufer im eigenen Haus. „Die Natur hat ihre Gesetze. Wenn wir von der Natur etwas wollen, müssen wir sie respektieren.“

Schweiz / Graubünden / Fleischanschnitt

Mindestens drei Monate hängen die Fleischbrocken dann im dunklen Trockenraum, wo sie rund die Hälfte ihres Gewichts verlieren. Abhängig vom Grad der Trocknung verändert sich die Farbe. Erst kommen fast schwarze Schattierungen. Dann legt sich langsam eine blauweiße Schicht essbaren Edelschimmels auf die Oberfläche. „Ist ein Stück außen richtig schön weiß, kann ich sicher sein, dass es auch innen gut wird, erklärt der Fachmann. Wenn das so weit ist, kommt das Fleisch in die Presse, wo es seine charakteristische Form erhält je dreimal drei Nächte. Dann ist die Kulinarie fertig. Eine Schweizer Speisekarte ohne sie ist kaum vorstellbar. Nur exportieren darf er sie nicht. Seine besten Kunden sind Skiläufer, Carver, Langläufer und Wanderer.

Schweiz / Wintersport

 

Website der Autorin: http://www.beate-schuemann.de

 

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