Nostalgische Superlative

Wasser- und Gipfelerlebnisse am Vierwaldstättersee

Text und Fotos: Dagmar Krappe und Axel Baumann

Schweiz - Schaufelraddampfer auf dem Vierwaldstättersee

Tröööt, tröööt! Ein tiefes, sonores Tuten durchbricht die Stille. Schwarzer Dampf steigt aus dem Schornstein von „DS Uri“. Es ist einer von fünf Raddampfern, die über den 100 Quadratkilometer großen Vierwaldstättersee bei Luzern (1) schippern. Mitten im Stadtzentrum, direkt gegenüber dem Hauptbahnhof, befindet sich der Anleger der „Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees“ (SGV). Von hier starten rund 20 moderne Motorschiffe und fünf schneeweiße Diven, die zwischen 1901 und 1928 das Licht der Wasserwelt erblickten, zu einer Ausflugsfahrt oder um das Gewässer im Linienbetrieb zu umrunden.

Schweiz - Vierwaldstättersee - „Schiller“ ist der formschönste Dampfer

„Schiller“ unterwegs auf dem See

Als die SGV 1970 die „Wilhelm Tell“ außer Dienst stellte und in Erwägung zog, nach und nach die restlichen Dampfschiffe durch Dieselmotorboote zu ersetzen, machte sich öffentlicher Widerstand breit. 1972 gründeten ein paar „Nostalgiker“ den Verein „Dampferfreunde Vierwaldstättersee“, um die „alten Damen“ zu unterhalten. Inzwischen gehören der Organisation 10.000 Mitglieder an. Gewartet werden die fünf Schiffe in der Luzerner „Shiptec“-Werft. „Jeder Salon-Seitenraddampfer hat einzigartige Eigenschaften“, berichtet Martin Räber, Mitarbeiter der SGV: „Unser ältestes Schiff trägt den Namen „Uri“. Es ist stabil im Sturm und sehr sparsam im Brennstoffverbrauch. „Gallia“ ist das schnellste. Voraussetzung dafür sind der flache Schiffsboden ohne Kiel, der geringe Tiefgang und die leistungsstarke Dampfmaschine. „Schiller“ ist der formschönste Dampfer. Er hatte vor 30 Jahren einen Fernsehauftritt bei „Wetten, dass..?“. Eine Rudercrew des Seeclubs Luzern zog ihn 30 Meter weit. Das bedeutete einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde.“ Alle Schiffe sind um die 60 Meter lang und können zwischen 700 und 1.200 Personen befördern. Das jüngste heißt „Stadt Luzern“. Es wurde bei Dessau in Sachsen-Anhalt gebaut. „Alle anderen in Betrieben in Winterthur und Zürich“, so Martin Räber: „Der “Queens Salon“ auf dem Oberdeck der „Stadt Luzern“ erhielt diese Bezeichnung, nachdem die englische Königin Elizabeth II. 1980 in diesem Panoramasaal tafelte. Wir haben ihn zu diesem Zweck gänzlich erneuert. Der Motor des zweitältesten Schiffes „Unterwalden“ wurde 1899 vor seinem Einbau sogar auf der Weltausstellung in Paris präsentiert.“

Schweiz - Vierwaldstättersee - „Shiptec“-Werft

Trockendock der „Shiptec“-Werft

Doch nicht nur alte Schiffe werden auf der kleinen „Shiptec“-Werft, die 65 Mitarbeiter beschäftigt und ein Tochterunternehmen der SGV ist, in Stand gehalten. 2014 entstand in nur sieben Monaten Bauzeit eine 420 Tonnen schwere Event-Plattform in Form einer dunkelrosa Seerose. Die Blätter sind als Flanierzone rund um die eigentliche Bühne gedacht. Die rote Stahlkonstruktion reiste vier Monate lang als Wanderausstellung um den See, um Gästen und Einheimischen die 200-jährige Tourismusgeschichte der Zentralschweiz näher zu bringen. In Vitznau fand sie ihren endgültigen Ankerplatz und dient dort zukünftig dem Hotel Vitznauerhof als „Veranstaltungs-Insel“.

Schweiz - Vierwaldstättersee - Event-Plattform in Form einer dunkelrosa Seerose

Event-Plattform in Form einer dunkelrosa Seerose

Am Anleger „Luzerner Bahnhofskai“ haben an diesem frühen Morgen zwei Schiffe festgemacht. Sie chauffieren Ausflügler zu den Zahnrad- und Seilbahnen, mit denen sie die Berge entlang des Seeufers erstürmen: den Hausberg Pilatus, das Sanserhorn oder die Königin der Berge, die Rigi. An Brücke 1 lässt die 1901 gebaute „Uri“ weiter ordentlich Dampf ab. Sie macht sich Richtung Vitznau unterhalb der Rigi und weiter in den Urnersee bis Flüelen auf den Weg. Passagiere, die mit Koffern und Taschen bepackt bis zu dieser Endstation fahren, sind auf der Wilhelm-Tell-Route unterwegs. In Flüelen steigen sie um in den Wilhelm-Tell-Expresszug nach Locarno oder Lugano. In die entgegengesetzte Richtung nach Alpnachstad am Alpnacher See startet von Pier 2 ein modernes Motorschiff, die „Winkelried“, zur „goldenen Rundtour“.

Bereits nach zehn Minuten stoppt die „Uri“ am Verkehrshaus (2), einem riesigen Technikmuseum. Es zeigt die Entwicklung der Mobilität auf dem Wasser, der Schiene und Straße, in der Luft und im Weltall. „Auf dem Wasser hat alles begonnen“, meint Walter Hodel, einst Lok- und heute Museumsführer: „Das älteste Verkehrsmittel des Museums ist ein jungsteinzeitlicher Einbaum aus dem Bielersee im Kanton Bern. Dagegen ist die Maschine des ehemaligen Vierwaldstättersee-Raddampfers „Pilatus“ von 1929 schon fast modern, odr?“ In einer der Eisenbahnhallen steht die H ½ Nr. 7 der Vitznau-Rigi-Bahn. Es ist die älteste betriebsfähige Zahnraddampflokomotive Europas, die zu besonderen Anlässen auch noch mal auf den Rigi Kulm schnaufen darf. 1873 verließ sie als erste Lokomotive das Werk der neu gegründeten Schweizerischen Lok- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM). Auch ein Dampftriebwagen der steilsten Zahnradbahn der Welt, der Pilatusbahn, ist hier ausgestellt.

Schweiz - das Dampfschiff Uri auf dem Vierwaldstättersee

Das Dampfschiff "Uri" auf dem Vierwaldstättersee

Auf der „Uri“ ertönen unterdessen Alphornklänge. Drei Bläser begleiten die Fahrgäste über den See. Wer möchte, darf versuchen, den meterlangen hölzernen Instrumenten selbst einen Ton zu entlocken. Mehr Interesse findet auf dem Unterdeck eine quadratische Öffnung, die den Blick in den Maschinenraum freigibt. Hier präsentiert sich das „Herz“ des Raddampfes. Eine schrägliegende Zweizylinder-Heißdampf-Verbundanlage mit 51 Umdrehungen pro Minute stampft den Rhythmus - begleitet vom gleichmäßigen Plätschern der beiden seitlichen Schaufelräder. Durch zwei riesige Bullaugen können die Passagiere dieses Schauspiel beobachten. Da die Raddampfer ölgefeuert werden, entfällt das anstrengende und schweißtreibende Kohlenschippen. Sobald „DS Uri“ in einem Ort angelegt hat, muss der Heizer aber das Gestänge schmieren. Massage für die „alte Dame“.

Auf den Rigi Kulm

Nach einer knappen Stunde taucht Vitznau (3) am linken Seeufer auf. Die Anlegestelle ziert ein dottergelbes Ankunftsgebäude mit geschwungenem Walmdach. Seit Ende der 1930er Jahre zuckeln Elektrozüge auf der knapp sieben Kilometer langen Normalspurtrasse von Vitznau bis auf den Rigi Kulm auf 1.752 Metern Höhe. Lokführer Eric Gauthier wartet bereits aufs Abfahrtsignal. Schnell steigen die Passagiere, die gerade mit der „Uri“ angekommen sind, in die beiden roten Triebwagen um. Zusätzlich gibt es noch einen kleinen Güterwaggon für den Transport von Waren und Tieren. „Die Süd-Seite des Berges ist autofreie Zone und Naturschutzgebiet. Deshalb bringen wir nicht nur Menschen auf den Berg oder wieder herunter, sondern auch die Post und allerlei andere Dinge, die die Bewohner der kleinen, abgeschiedenen Dörfer benötigen“, informiert Eric Gauthier. Zunächst windet sich der Pendelzug durch grüne Wiesenlandschaft. Am Haltepunkt Rigi Kaltbad steigt noch eine Gruppe Wanderer zu, die bis hierher die Abkürzung mit der Luftseilbahn Weggis-Kaltbad genommen hat. Kurz darauf ist vom Schweizer Landschaftspanorama nicht mehr viel zu sehen. Von der Bergspitze rollt sich eine graue, kalte Nebeldecke immer tiefer hinab. Der viel gepriesene Blick auf den Vierwaldstättersee und das Bergpanorama der Zentralschweiz endet bereits nach wenigen Metern an einer milchiggrauen Wand.

Schweiz - Rigi Bahnen an der Endstation

Rigi Bahnen am Gipfelbahnhof Rigi-Kulm

Gemächlich nähert sich die Bahn der Station Rigi Staffel auf 1.484 Metern. Hier trifft sie auf die von Goldau aus startende, achteinhalb Kilometer lange südliche Route des ehemaligen Mitbewerbers Arth-Rigi-Bahn (ARB), die seit der Fusion im Jahre 1992 ebenfalls zur Rigi Bahnen AG gehört. Bis zur Übernahme musste die Vitznau-Rigi-Bahn (VRB) auf dem letzten Teilstück für die Nutzung des Schienenstrangs eine Art Maut zahlen. Nach rund 30 Minuten fährt der rote Zug aus Vitznau in den Bahnhof Rigi Kulm ein. Fast zeitgleich schiebt sich auch der blau-weiße Triebwagen aus Goldau kommend auf das Nachtbargleis des Kopfbahnhofs. Nur kurz ist die Pause fürs Zugpersonal. Schon geht es zurück zum jeweiligen Ausgangspunkt. Eric Gauthier verbringt die Zeit meist damit, Hilfe suchenden asiatischen Touristen den richtigen Zug zeigen. Dabei ist es ganz einfach: Rot fährt nach Vitznau, Blau nach Goldau zurück.

Auf dem Vierwaldstättersee schippert unterdessen Kapitän Alois Boog mit der „Winkelried“ Richtung Alpnachstad. „Auf unserer „goldenen Rundfahrt“ kommen die Dampfschiffe selten zum Einsatz“, erklärt er: „An der Endstation steigen die Passagiere um in die Pilatus-Bahn, um auf unseren 2.132 Meter hohen Hausberg zu gelangen. Mit Luftseil- und Gondelbahn geht es dann zur anderen Seite wieder hinunter nach Kriens.“

Die Pilatusbahn

Schweiz - Vierwaldstättersee - Pilatus-Bahnhof in Alpnachstad

Pilatus-Bahnhof in Alpnachstad

Direkt gegenüber dem Schiffsanleger in Alpnachstad (4) befinden sich der kleine Bahnhof und das Depot der Pilatusbahn. Dazwischen warten mehrere rote Triebwagen darauf, die kühnste Zahnradbahnstrecke der Welt zu erklimmen. „Die Idee, eine Bahn auf den Pilatus zu bauen, hatte der Ingenieur Eduard Locher. 1889 eröffnete man die 4,6 Kilometer lange und 800 Millimeter breite Trasse zum Pilatus Kulm. 1937 wurde sie elektrifiziert“, erzählt Betriebsleiter Ueli Wallimann: „Aus dieser Zeit stammen noch acht unserer zehn Fahrzeuge. Bis heute ist die Pilatusbahn mit einer maximalen Steigung von 48 Prozent die weltweit steilste Zahnradbahn. Möglich wurde diese Streckenkonstruktion durch ein Zahnstangensystem mit horizontal drehenden Zahnrädern mit Führungsscheiben“. Auch dieses technische Wunderwerk war auf der Weltausstellung 1889 in Paris präsent.

Schweiz - Vierwaldstättersee - Pilatus-Bahn

Pilatus-Bahn

Triebfahrzeugführer Sepp Anderhalden klettert in den schmalen Führerstand. Vor fünf Jahren machte er seine Eisenbahnleidenschaft zum Beruf und ist von Mai bis Oktober auf der Pilatusbahn unterwegs. Im Winter kontrolliert er Fahrkarten auf den ganzjährig verkehrenden Rigi-Bahnen. „Die Pilatusbahn fährt bergan nicht schneller als zwölf Kilometer pro Stunde, talwärts sind es sogar nur neun“, sagt der ehemalige Elektromechaniker: “Meine Ausbildung dauerte auch nur einen Monat.“ Entlang saftiger, grüner Wiesen und einiger Laubbäume gleitet der rote Zug die ersten einhundert Meter aufwärts. Unten im Tal glitzert der Alpnacher See im blassen Sonnenlicht. Auf 1.000 Metern folgt der erste Tunnel. „Sechs Stück durchfahren wir“, informiert Sepp Anderhalden: „Sie sind alle nur zwischen 50 und 100 Metern lang.“ Langsam wird der Nadelwald spärlicher. Nebelschwaden ziehen vorüber. Zahn um Zahn krallen sich die Räder in die Fischgrätenstange. „Alle paar Minuten lassen die Wagen einen Tropfen Öl ab und schmieren so die Zahnstange“, erklärt der Lokführer. Farne, Alpenrosen, Gänseblümchen und weiße Narzissen bedecken jetzt die Almwiesen. Dann bewegt sich die Bahn nur noch zwischen schroffer Felswand und Abgrund. Die dicke Suppe versperrt zwar die Fernsicht, schützt aber gleichzeitig vor Höhenangst. Nach 35 Minuten erreicht der Zug dank des ausgeklügelten Systems offenbar ohne Anstrengung die Bergstation. Ob sich hinter der grauen Nebelwand wirklich Alpen, Schwarzwald und sechs blaue Seen befinden, bleibt ein Geheimnis. Zwei Hotels, das Bellevue und das Pilatus Kulm, gibt es hier oben. Letzteres entstand 1890 und wurde im Jahr 2010 komplett saniert. Zwischen beiden Gebäuden verläuft der Drachenweg durch eine Felsengalerie. Vor 600 Jahren, als Menschen in unaufgeklärter Zeit aus Angst vor bösen Mächten allerlei Sagen erfanden, entstand auch die Legende, dass einst ein stinkender Drache zwischen den Bergen Rigi und Pilatus flog. Ein Bauer beobachtete, dass er einen Stein fallen ließ. Diesem „Drachenstein“ wurde eine Heilwirkung zugeschrieben, und er wechselte im Laufe der Jahrhunderte häufig den Besitzer. Schließlich fand er den Weg ins Luzerner Naturmuseum. Auf dem Rundgang kann man sich anhand von Tafeln über zahlreiche Geschichten zu den flammenspeienden Fabeltieren informieren. Illustriert wurden sie von Maler und Bildhauer Hans Erni.

Talwärts geht es mit der Pendelluftseilbahn „Dragon Ride“ vorbei am Klimsenhorn nach Frägmüntegg. Hier heißt es umsteigen in die kleineren Gondelbahnen, die den weiteren „Abstieg“ nach Krienz meistern. Der Bus Nummer Eins bringt die Gipfelstürmer zurück zum Ausgangspunkt, dem Bahnhof Luzern. Fast so schnell wie im Drachenflug.

Schweiz - Vierwaldstättersee - Kapellbrücke in Luzern

Die Kapellbrücke in Luzern

 

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Reisemagazin schwarzaufweiss

 

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