Serbisches Roadmovie

Der serbische Donauradweg

Text und Fotos: Judith Weibrecht

Serbien. Der serbische Donauradweg, Teil der Eurovelo Route 6, durchquert das Land auf einer Länge von 665 Kilometern. Die Strecke ist gut und tiefblau ausgeschildert, die Gastbetriebe für Radfahrer sensibilisiert, die Region einmalig schön und wild.

Km 0. Backi Breg (1). Ungarisch-serbische Grenze. Ein riesiges blau-weißes Schild begrüßt die Radfahrer auf dem serbischen Abschnitt des Donauradwegs: „You entered Serbia. Leave all your hope… because you don’t need it - just have fun ;-))”. Du bist nach Serbien eingereist. Lass alle Hoffnung fahren… weil du sie nicht brauchst - hab einfach Spaß ;-))

Serbien - Novi Sad

Km 228. Novi Sad (2). Die Vojvodina ist flach wie ein Pfannkuchen, wie ein Meer ohne Wellen bei Windstille, das ruhig und glatt da liegt. Einst war hier das Pannonische Meer, aus dem die Hügel des Gebirgszuges der Fruška Gora als Inseln herausragten. „Für einen Seemann ist es schlimm, wenn er sein Schiff verliert. Doch noch schlimmer ist es, ein ganzes Meer zu verlieren“, dichtete ein Liedermacher aus der Vojvodina. Erklärt das den sprichwörtlichen Langmut der Bewohner? Vergangen, nun fahren Schiffe nur noch auf der Donau. Der Donauradweg führt auf dem Damm und schließlich die Uferpromenade entlang mit Blick auf die trutzige Festung Petrovaradin in die Hauptstadt Novi Sad. Im Stil der Festungen Vaubans wurde sie auf Anweisung von Maria Theresia 1692 – 1780 auf einem 40 Meter hohen vulkanischen Hügel erbaut. Der Uhrenturm hat überdimensioniert wirkende Zeiger, von denen komischerweise der große die Stunden zeigt, der kleine aber die Minuten, denn Minuten interessieren die Fischer angeblich nicht. „Gibraltar an der Donau“ nennen die Einheimischen die Zitadelle. Diese setzen sich zusammen aus 25 hier lebenden verschiedenen ethnischen Gruppen, die sechs Sprachen sprechen. Multiethnisch geht’s auch in der Altstadt zu. Das Leben scheint sich draußen abzuspielen vor den teils schmuck renovierten Jugendstilhäusern, in Straßencafés und Freiluft-Kneipen, Musiker ziehen durch die Gassen. Das weltberühmte EXIT-Musikfestival findet alljährlich im Juli statt und ist nur eines der vielen Feste der Stadt und Serbiens.

Serbien - Musikerinnen in Novi Sad

Ins Zentrum radelt man, indem man der olivgrünen Linie folgt. „Die rote Linie ist der Hauptweg, die olivgrüne bietet Alternativen, stets auf asphaltierten Straßen, z. B. hinein nach Novi Sad, und die rosafarbene zeigt Umwege in die Umgebung“, erklärt Jovan Erakovic, Planer des serbischen Donauradwegs und Consultant der GIZ, die perfekte Beschilderung. Kofinanziert wurde das Projekt serbischer Donauradweg im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von der GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Der Donauradweg bis Wien ist bekanntlich beliebt. Dieses Potential will man auch hier nutzen und Radtouristen nach Serbien locken. Der serbische Teil der „Eurovelo 6“ ist nun komplett ausgeschildert, 360 tiefblaue Schilder an 150 Kreuzungen weisen den Weg, der meist auf Straßen durch die Lande führt und uns weiter nach Sremski Karlovci.

Serbien - Sremski Karlovci

Km 239. Sremski Karlovci (3) protzt mit vielen barocken Gebäuden und mit Geschichte. „Vom Balkon des großen gelben Rathauses aus, erbaut von den Österreichern, wurde die Gegend erstmals Vojvodina genannt“, erzählt Touristenführerin Milena stolz. Ein Gefängnis soll es darin auch gegeben haben, und zwar mit komfortableren Zellen für die Reichen und einfacheren nur mit Strohbelag für die Armen. „Der erste runde Tisch in der Geschichte der Diplomatie für gleich berechtigte Friedensverhandlungen stand ebenfalls hier im Ort“, betont Milena. 1699 wurde der Frieden von Karlovci zwischen Österreich, Venedig, Russland und der Türkei geschlossen. Dort steht nun die Kapelle des Friedens. Das älteste serbische Gymnasium, ebenfalls ein schmucker Bau, liegt nicht weit entfernt. „Finanziert wurde es durch den Export von Wein, wie fast alles hier“, so Milena. Auch heute noch gibt es viele Winzer und Weinstuben vor Ort. Bermet, ein süßer Dessertwein, wurde angeblich auch auf der Titanic serviert. Die orthodoxe Kathedrale Sankt Nikolaus mit ihren zwei Glockentürmen, die Residenz der Patriarchen und Bischöfe, die Theologische Schule, wahrlich, das kleine Städtchen strotzt vor ansehnlichen Bauwerken. „Trinken Sie vom Wasser des Vier-Löwenbrunnens,“ rät Milena zum Abschied, „dann werden Sie zurückkommen, sich verlieben und heiraten.“

Serbien - Sremski Karlovci - Residenz des Patriarchen

Wie viele das schon getan haben, ist nicht überliefert. Aber wie viele Radfahrer auf dem serbischen Donauradweg unterwegs sind, weiß man ungefähr. Oben auf einem Hügel nach einem saftigen, sechs Kilometer langen Anstieg saß stets ein Obst- und Gemüseverkäufer. Die Radwanderer freuten sich über ihn und sein Angebot, er freute sich über Käufer. Und Tag für Tag, jahrein, jahraus zählte er in den Monaten April bis November die Radfahrer. 2012 müssen es ungefähr 6.500 gewesen sein. Leider ist er nicht mehr. Doch den Job würde man gerne neu vergeben.

Abendliche Pause am Donauufer. Der Fluss glitzert silbern im Mondlicht, reflektiert die Scheibe von Wellen durchbrochen. Im Restaurant „Dunav“, wie die Donau auf Serbisch heißt, sitzen verliebte Pärchen unterm gusseisernen Baldachin. Ein Fisch springt hoch und klatscht zurück ins Wasser. Der Dunav fließt unbeirrt weiter nach Belgrad.

Serbien - Belgrad - Hostel ArkaBarka

Km 324 Belgrad (4). Auf Serbisch ist die Donau männlich und vereinigt sich in Belgrad mit der Sava. „Die Sava ist die erste Liebe der Donau!“, sagt Aleksandra Milićević von der serbischen Tourismusorganisation und zeigt vom schwimmenden Hostel ArkaBarka aus hinüber zur Mündung. Dahinter erhebt sich die Belgrader Festung im Kalamegdan-Park. Ein gläserner Fahrradaufzug mit Liftführer befördert uns zur Uferpromenade hinunter. Man ist mitten in den Widersprüchen am Rande der EU gelandet, zwischen Neonreklame, die man in jeder Stadt der Welt finden könnte, und abblätterndem ehemaligen Charme, zwischen Sehnsüchten und Versprechungen. Die Jugend feiert und ist ausgelassen. Belgrad gilt als Partymetropole. Hier gibt es angeblich so viele Bars und Clubs, dass sie sogar aufs Wasser ausweichen müssen, auf Hausboote.

Serbien - Belgrader Festung im Kalamegdan-Park

Km 343 Pančevo (5). Will man die Weiße Stadt wieder verlassen, muss man über eine stark befahrene Brücke fahren. Viel Industrie, eine Düngemittelfabrik, Petrochemie und ein Gewirr an Rohren und Behältern säumen die Straße. In Pančevo gibt es gar eine Kuriosität: Auf dem Gelände der Raffinerie befindet sich ein Kloster, das beim Bau derselben nicht abgerissen werden durfte. Also integrierte man es. „Am 15. April 1999 hatte die NATO diesen Komplex mittels Laser gesteuerter Bomben unter Beschuss genommen“, erzählt einer. Daran erinnert sich hier jeder. Politik und auch der Krieg sind durchaus ein Thema und dürfen angesprochen werden.

Es folgt: Das pure Idyll. Die kleinen Dörfer der Banater mit geduckt wirkenden niedrigen, bunt bemalten Häuschen links und rechts der schnurgeraden Landstraße und Obstbäumen im Garten. Auch die Dorfbewohner dümpeln auf ihren Rädern ohne Gangschaltung gemütlich vor sich hin. Bei einem ragt die Sichel über den Gepäckträger hinaus. In dieser weitgehend ebenen Welt bietet sich Rad fahren an. Felder links, Äcker rechts, ein Kiosk, ein Obst- und Gemüsestand, ein „Restoran“ oder ein „Kafana“, Kaffeehaus, sind nie weit. Das macht das Reisen per Fahrrad angenehm. Auch die Zahl der Übernachtungsmöglichkeiten am Donauradweg hat sich vervielfacht. Allerorten locken Schilder: „Sobe“, „Rooms“ oder „Zimmer“ steht darauf. Familien vermieten Privatzimmer, kleine Pensionen werden gegründet, Campingplätze angelegt.

Serbeien - Fähre nach Ram

Km 433. Fähre ab Stara Palanka (6). Die Fähre bringt uns nach Ram, um auf der serbischen Seite der Donau weiter zu radeln. Gegenüber liegt mit Rumänien die Außengrenze der EU. Am Silbersee, einem abgetrennten Donauarm, auf dem man segeln, schwimmen und angeln und den man natürlich auch per Rad umrunden kann, entsteht ein Ferienzentrum mit Hotels, Campingplätzen und Holzhütten, die zu mieten sind.

Serbien - mittelalterliche Festung Golubac

Km 477. Golubac (7). Direkt an der mächtigen, mittelalterlichen Festung Golubac beginnt der Nationalpark Djerdap/Eisernes Tor. Die imposante Donau muss sich nun durch enge Kalk-Schluchten zwängen, nur 150 Meter breit ist die schmalste Stelle. Die engsten Stellen der Donau namens Kleiner und Großer Kessel mit ihren Strudeln, Untiefen und Wirbeln stellten einst ein massives Problem für die Schiffe dar. Nur mithilfe von Lotsen und „Ampeln“ aus Aluminiumballons waren sie passierbar. Einen unvergleichlichen Blick auf steil aufragende Felswände erhält, wer mit den Nationalpark-Rangern zum Kap Greben aufsteigt. Tief unten liegt die größte Flussschlucht Europas. Oben kreisen Raben. Die Donau war immer schon trennend und einend, Inspiration für Künstler genauso wie Kriegsschauplatz. An ihren Ufern findet man mächtige Burgen und orthodoxe Klöster, 200 Vogel- und 50 Säugetierarten, Zeugnisse der Römer, von Kaiser Trajan zeugen „Trajans Tafel“ und die Pfeiler einer Brücke, und Relikte aus der Steinzeit.

Serbien - archäologische Ausgrabungsstätte und das Museum Lepenski Vir

Km 513. Lepenski Vir (8). Wie aus dem Nichts taucht eine überdimensioniert wirkende weiße Kuppel auf. Hier befindet sich die archäologische Ausgrabungsstätte und das Museum Lepenski Vir, das veranschaulicht, wie die Menschen hier bereits vor 9.000 Jahren lebten. „Es muss eine sehr isolierte Kultur gewesen sein“, sagt Direktor Vladimir Nojković. „Die Steinskulpturen, die man hier gefunden hat, halb Fisch, halb Mensch, sind einmalig.“ Entdeckt wurden sie 1965 beim Bau des gigantischen Staudamms und Elektrizitätswerks ein Stück flussabwärts, der 1972 fertig gestellt wurde. Der Wasserspiegel hob sich schließlich um ca. 30 Meter an und begrub ganze drei Dörfer unter sich.

Serbien - Donji Milanovac - Zika Stefanovic von der Open Air Gallery

Km 529. Donji Milanovac (9) etwa wurde an höher gelegener Stelle neu aufgebaut. Dort kümmert man sich sehr um Reisende, eine neue Touristinfo mit Internetcafé und Radabstellplätzen gibt es hier, daneben das Nationalparkhaus und viele Pensionen und Restaurants vor Ort, die alle auf Radfahrer warten. Zika Stefanovic von der Open Air Gallery kommt mir barfuß im grünen T-Shirt entgegen. Ringsherum im Garten finden sich seine über 250 von ihm geschnitzten Holskulpturen: Masken, Totems, Tiere. Sein Lächeln ist breit, fast so breit wie er selbst. Stämmig ist er, kräftig und herzlich. Er und seine Frau tragen das blütengeschmückte Frühstück auf: Fladenbrot, Joghurt, hausgemachter Honig, Marmeladen, Wurst, Käse, und natürlich Ajvar, eine Art Paprikamus und serbische Passion. Hoch über Donji Milanovac und der Donau sitzen wir in einer Laube und blicken hinab. Lange Zeit fällt kein Wort. Dann sagt Jovan: „This is a place like no other”.

Serbien - Donauradweg - Frühstück in Donji Milanovac

Km 650 Negotin (10). Kurz vor Schluss werden wir also wehmütig. Hinter Negotin sollte man aber noch abbiegen und einen kleinen Abstecher zu den Weindörfern, Rajackih pimnica genannt, machen. Tiefrote Weine lagern in den Pimnice, den Weinkellern außerhalb der drei Orte Rogljevo, Rajac und Smedovac. Bis in die Zeit der Römer lässt sich der Weinanbau hier zurück verfolgen. Ein wehmütiger Abschiedsschluck vielleicht? Zur Grenze ist es nämlich nicht mehr weit.

Km 668 Bregovo serbisch-bulgarische Grenze. Auch die Sinnsprüche auf den Schildern wird man vermissen. Dieses hier sagt: „Good bye. You are leaving Serbia. Don’t cry because it’s over - smile because it happened :)” Auf Wiedersehen. Du verlässt Serbien. Weine nicht, weil es vorbei ist – lächele, weil du es erleben durftest :).

Serbien - Donauradweg - Landschaft

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