Mit Kapitän Bayram auf blauer Reise

Per Schiff unterwegs in der Südwesttürkei

Text und Fotos: Rainer Heubeck

Zugegeben, einen Kapitän stellen sich viele Menschen anders vor:  Eine blaue Gala-Uniform mit Klappen an den Schultern, auf dem Kopf eine repräsentative Mütze, an der vorne ein Abzeichen prangt. Bayram Ilhan hingegen begrüßt seine Gäste in kurzer Hose und mit einem gestreiften T-Shirt. Doch Misstrauen ist fehl am Platze – Bayram Ilhan kennt die Ägäis und das Mittelmeer seit vielen Jahren. Früher war er hier als Schwammtaucher unterwegs, heute bringt er seine Gäste mit seiner 24-Meter langen Gulet, der „Kaptan Ilhan“, zu den schönsten Buchten und Stränden der Südwesttürkei. Auch griechische Inseln, wie Rhodos oder Kos, sind bei der blauen Reise mit Kaptan Bayram gelegentlich in Sichtweite.

Türkei - Kapitän

Kapitän Bayram Ilhan

„Blaue Reise“, so nennt sich in der Türkei eine Reiseform, die seit etwa zwanzig Jahren immer populärer wird. Statt in luxuriösen Strandhotels mit All inclusive-Angebot übernachten die Gäste in kleinen 2-Personen-Kabine mit eigener Dusche – oder aber, noch viel romantischer, auf blauen Schaumstoffmatten an Deck, mit Blick auf den Sternenhimmel. Der Begriff „blaue Reise“ geht auf den türkischen Schriftsteller Cevat Şakır Kabaağaçlı zurück, der unter dem Namen „Der Fischer von Halikarnassos“ bekannt wurde. Cevat Şakır wurde zu Burgarrest in Bodrum verurteilt, weil er sich in einem Zeitungsartikel positiv über Deserteure geäußert hatte. Während seiner Verbannung war er so von Bodrum und den umliegenden Küstengewässern angetan, dass er nach seiner Freilassung beschloss, den Rest seines Lebens dort zu verbringen.

Ausgangspunkt Bodrum

Türkei - Bodrum Festung

Burg in Bodrum

Und in der Tat: Wer Bodrum besucht, kann sich kaum vorstellen, dass es eine Strafe sein kann, einen Menschen hierher zu verbannen. Hierher kommen die Touristen schließlich zu Hunderttausenden – und das ganz freiwillig. An der Standpromenade und in der Altstadt reiht sich ein Souvenirgeschäft an das andere, werden Bademoden und Lederwaren verkauft, finden sich Fischrestaurants und Boutiquen. Keine Frage, Bodrum hat sich zum touristischen Zentrum gemausert, in dem sich die Gäste auf den Straßen drängen. Doch wer an einer blauen Reise teilnimmt, bleibt ohnehin nicht lange in der Stadt, sondern fährt mit der „Kaptan Ilhan“ oder einer anderen Gulet hinaus in den Golf von Gökova.

Gulets, das sind Motorsegler, deren Form und Gestaltung an historischen Fracht- und Kriegsschiffen angelehnt ist und die in kleinen Werften in Bodrum, Bozburun und Marmaris gebaut werden. „Meine erste Gulet war 14 Meter lang, meine zweite 18 Meter und nun habe ich ein 24 Meter langes Boot“, berichtet Bayram Ilhan nicht ohne Stolz. Zusammen mit dem Matrosen Hasan Coέkun und dem Koch Zeynal Aydōgan kümmert sich Bayram meist eine ganze Woche lang um die Gäste, die mit ihm in See stechen. Wenn Bayram nicht selbst am Steuerrad stehen kann, bleibt das Boot grundsätzlich im Hafen. „Mein Schiff“, beteuert er, „vertraue ich niemandem an.“

Türkei - Gulet - Motorsegler

Gulet

Zugegeben, eine blaue Reise ist ebenfalls eine Art von Badetourismus – schließlich finden sich rund um die Dacta-Halbinsel viele idyllische kleine Buchten. Kaptan Bayram hält an den schönsten davon an und lässt den Matrosen Hasan Coέkun den Anker werfen. Wagemutige Gäste hechten direkt von der Reling ins Wasser; wer sich erst langsam an das kühle Nass gewöhnen will, für den bringt Hasan eine Badeleiter an Steuerbord an. Doch eine blaue Reise, das ist mehr als nur Badeurlaub. Die Dacta-Halbinsel ist, wie gesamte Türkei, reich an archäologischen Fundstätten – und das sowohl über, wie auch unter Wasser!

Steinerne Zeugnisse der Vergangenheit

Türkei - Knidos - antike Ruinen

Antike Fundstätte in Knidos

Der 37-jährige Murat Demirel, der als Reiseleiter arbeitet und gelegentlich auch blaue Reisen begeleitet, kennt viele Geschichten, die sich um die Altertümer ranken.
Ein Beispiel dafür ist die berühmte Aphrodite von Kniodos. Die Legende besagt, dass Praxiteles, der Schöpfer der Aphrodite, zwei Skulpturen geschaffen hatte – eine angezogene und eine entkleidete. Die beiden Figuren waren für die Insel Kos und für die Stadt Kniodos bestimmt. Die Delegation von Kos erreichte den Bildhauer zuerst – und wählte die angezogene Liebesgöttin. Den Bewohnern von Knidos blieb nur die nackte Statue, die schließlich in einem Rundtempel aufgestellt wurde. „Angeblich verliebten sich einige Männer so sehr in diese Statue, dass sie sich abends im Tempel versteckten, um die Nacht über dort bleiben zu können“, berichtet Murat Demirel.

Türkei - Kaunos - Felsengräber

Felsengräber von Kaunos

Steinerne Zeugnisse der Vergangenheit gibt es viele in der Türkei. „Es gibt längst nicht nur Troja, Pergamon, Ephesus oder Muskat, sondern wir haben über 2500 antike Stätten, die über der Erde zu bewundern sind – und man vermutet, dass noch mindestens so viele unter der Erde vergraben sind“, beteuert Murat Demirel. Eine der am besten erhaltensten Ruinenstädte an der Südküste ist die Stadt Kaunos, deren Bewohner in nahezu einzigartigen Felsengräbern bestattet wurden, die mittlerweile zum Unesco-Weltkulturerbe zählen. In der Ruinenstadt selbst lohnt vor allem die Besichtigung der römischen Bäder – und der Blick in das unterhalb der Akropolis gelegene, gut erhaltene Amphitheater.

Türkei - Kaunos - Amphitheater

Das guterhaltene Amphitheater in Kaunos

Wer weniger an Kultur, sondern eher an Natur und Wellness interessiert ist, für den empfiehlt sich ein Ausflug auf den Koycegiz-See und in das Delta des Dalyan-Flusses, in dem nicht nur zahlreiche Vogelarten beobachtet und belauscht werden können, sondern in der auch ein Sole- und ein Schlammbassin zu einem Schönheits-Bad der besonderen Art einladen. Wer sich in dem etwa 40 Grad warmen Schlammbecken vom salzhaltigen Wasser tragen und anschließend in der Sonne trockenen lässt, der weiß, dass Wellness in der Türkei weit mehr sein kann als nur ein Hamam-Besuch. Und: Nicht alles was gut ist, muss auch teuer sein – das Sole- und Schlammbad von Sultaniye kostet gerade Mal zwei Euro Eintritt. Und soll gegen Rheuma genauso wirksam sein wie zur Bekämpfung von unreiner Haut.

Türkei - Schlammbad in Sultaniye

Beim Schlammbad in Sultaniye

Nicht weit von Sultaniye entfernt, am östlichen Ufer des Dalyan-Flusses, finden sich eine Reihe von kleinen Boutiquehotels, in denen Massentourismus noch ein Fremdwort ist. Und wer in einem der kleinen Restaurants, die am besten per Boot erreicht werden können, unter Bäumen sitzt und sich Gözleme mit frischem Schafskäse und Petersilie mit einem Glas Ayran servieren lässt, der hat, so ein türkisches Sprichwort, „den Finger im Honig und die Seele im Paradies.“

Türkei - Dalyan-Delta

Delta des Dalyan-Flusses

Doch auch an Bord der „Kaptan Ilhan“ ist am Essen und am Wetter wahrlich nichts auszusetzen. An der türkischen Südküste gibt es von April bis Oktober nahezu eine Sonnenschein-Garantie. „Die besten Monate für eine blaue Reise sind Mai und Juni sowie September und Oktober“, beteuert Murat Demirel. Im Juli und August steigen die Temperaturen auf über 40 Grad, und da die kleinen Doppelkabinen auf der „Kaptan Ilhan“ zwar mit Duschen, aber nicht mit Klimaanlage  ausgerüstet sind, wird es drinnen zuweilen sehr heiß. Frühjahr und Herbst sind auch die ideale Zeit, um im Küstengebirge kleine Wandertouren zu unternehmen – und eine Türkei zu erleben, in der Tradition und Moderne eine Symbiose eingegangen zu sein scheinen. Im Ort Taslica holen die Frauen das Wasser noch mit dem Esel vom Brunnen, doch an vielen der Häuser im Ort befinden sich Satellitenschüsseln. Gäste, so stellt sich heraus, sind für die Dorfbewohner eine willkommene Abwechslung – und so lässt die erste Einladung zum Tee nicht lange auf sich warten.

Türkei - Tslica - Frau mit beladenem Esel

Frau mit beladenem Esel bei Taslica

Taslica und die Küstenstadt Marmaris liegen nicht weit auseinander und könnten dennoch unterschiedlicher kaum sein. In der so genannten „Bar Street“ findet sich eine Open-Air-Disco neben der anderen, und statt Frauen in Kopftüchern stehen halbnackte Gogo-Tänzerinnen an den Eingängen der Discotheken und Clubs, um die Kundschaft zu locken. Hier zeigt die Türkei ihr Gesicht als Freizeitfabrik, hier prägt nicht der Lebensstil der Einheimischen die Stadt, sondern der Tourismus. Für die Teilnehmer an der blauen Reise ist der abendliche Bummel durch das Zentrum eine willkommene Abwechslung. Wer tanzen möchte, kann sich bis zum Morgengrauen ins Getümmel stürzen – und wer um 23 Uhr genug hat, kehrt aufs Boot zurück und legt sich schlafen. Am nächsten wirft Kaptan Bayram den Motor an und sticht wieder in See – weg vom Trubel, hinaus in die nächste Bucht, wo sich das Türkis des Wassers mit dem Grün der Wälder am Ufer zu vermischen scheint. Seekrank wird niemand unterwegs, das Wasser ist ruhig und nahezu ohne Wellen. „Das Meer ist heute wie Leinentuch“, sagt Murat Demirel zufrieden und blickt versonnen zum Horizont.

Türkei - Küstenstadt Marmaris - Cafes

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