Auf den Spuren von Georg Steller

Mit der „Alaskan Explorer“ durch den Kenai Fjord Nationalpark

Text und Fotos: Rainer Heubeck

USA - Alaska - Alaskan Explorer

Es war im Jahr 1741. Der Däne Vitus Bering segelt mit seinem Schiff, der St. Peter, schon seit Wochen von Kamtschatka aus Richtung Amerika. Zusammen mit dem Schwesterschiff, der St. Paul, sollte die St. Peter längs der Küste entlang fahren, die nach Norden verläuft und suchen, „wo sich diese Küste mit Amerika vereinigt.“ Doch die St. Peter, die den Kontakt zur St. Paul in einem Sturm verloren hatte, war bereits seit Wochen auf hoher See – und von Amerika war nichts zu sehen. Mit an Bord von Berings Schiff: Der im fränkischen Bad Windsheim geborene Naturforscher Georg Wilhelm Steller, der bereits umfassende Expeditionserfahrung in Sibirien gesammelt hatte. Am 15. Juli entdeckt Steller, der in Wittenberg und in Halle an der Saale studiert hatte, bevor er in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts in den Dienst des Zarenhauses getreten war, plötzlich eine Veränderung am Horizont. Ist es eine Dunstschicht, oder sind es weit in der Ferne liegende Berge? Am 18. Juli ist das Land deutlich näher gerückt – und am 20. Juli ringt Steller Bering die Erlaubnis ab, einen Tag an Land zu verbringen. Er sammelte Dutzende, wenn nicht sogar mehr als 100 verschiedene Pflanzen, die er später beschrieb und katalogisierte.

USA - Alaska - Stellersche Eiderente

Stellersche Eiderente

Während Georg Steller in seiner Heimat, in Deutschland, fast ganz in Vergessenheit geriet, kennt ihn in Alaska jedes Kind. Ebenso wie die nach ihm benannten Tierarten – die Stellersche Eiderente, eine kleine, schwarz-weiß gemusterte Entenart, die sich vorwiegend in Küstennähe aufhält, und den Stellerschen Seelöwen, zwei Tierarten, deren Bestand in Alaska zwar schwindet, die aber im Kenai Fjord Nationalpark durchaus noch anzutreffen sind. Das größte nach ihm benannte Tier, die Stellersche Seekuh, der in Stellers später veröffentlichten Werken „Beschreibung von sonderbaren Meerthieren“ ein umfassendes Kapitel gewidmet ist, wurde hingegen schon Anfang des 19. Jahrhunderts von Pelztierjägern ausgerottet.

USA - Alaska - Roger Steinbrecher

Roger Steinbrecher

Roger Steinbrecher, der seit dreißig Jahren in Alaska lebt und als Parkranger im Kenai Fjords Nationalpark nicht nur Kinder mit anschaulichen Vorträgen und einem kleinen Quiz zur Auseinandersetzung mit dem Thema Umwelt anspornt und sie anschließend feierlich zu „Junior Rangern“ erklärt, sondern auch die Teilnehmer der Schiffstouren durch den Kenai-Fjord mit der Flora und Fauna des Nationalparks vertraut macht, berichtet täglich über Steller und über die von ihm benannten Tiere. „Steller war auf der St. Peter. Auf der Rückfahrt von Kayak Insel, auf der Steller an Land ging, hatten sie sich anfangs immer nahe an der Küste gehalten, sie müssen also hier vorbei gekommen sein, als sie zurück nach Kamtschatka fuhren, auch wenn die genauen Örtlichkeiten nicht dokumentiert sind“, sagt Steinbrecher.

Das Harding Eisfeld

USA - Alaska - Aialik-Gletscher

Aialik-Gletscher

Vermutlich hat Steller damals also auch die Ausläufer des Harding Eisfeldes gesehen. Zusammen mit seinen insgesamt 32 Gletschern, die von ihm abfließen, hat das größte Eisfeld der USA einen Umfang von rund 1800 Quadratkilometern. Acht der gewaltigen Gletscher kalben direkt in den Golf von Alaska. Mit der „Alaskan Explorer“, einem Exkursionsboot von Kenai Fjord Tours, kommt man an einige der Gletscher, die zum Teil direkt ins Meer fließen, recht nah heran. Wer sich den Eismassen des Aialik-Gletschers nähert, spürt nicht nur eine beißende Kälte, die plötzlich ins Gesicht zieht, sondern hört ihn auch, den Gletscher: Ein Knistern, Krachen und Bersten füllt die Luft, dazwischen wieder Ruhe, dann plötzlich ein Knall, der klingt wie ein Pistolenschuss, ohne dass sich am Aialik-Gletscher sichtlich etwas verändert hat. Doch da – eine Eisspitze senkt sich immer weiter nach vorne. In Ultrazeitlupe zeichnet sich ab, dass ein Gletscherstück herunter brechen wird. Doch erst gut zehn Minuten später rauscht der Eisschwall dann tatsächlich mit einem dumpfen Tosen ins Meer.

USA - Alaska - Aialik-Gletscher

Ein weiterer Ausläufer des Harding Eisfeldes, der Exit-Gletscher, ist vom Land aus zu erreichen, wenn man vom Seward Highway in die Exit Glacier Road abbiegt. Nach einer rund zwölf Kilometer langen Anfahrt durch ein Tal steht noch eine Wanderung bevor, auf der an einigen Bäumen noch Kratzspuren von Schwarzbären zu sehen sind. „Grizzlybären gibt es hier aber nicht, denn die finden hier nicht genug Futter“, erläutert Leslie Farnham, die für die Seward Windsong Lodge Wanderausflüge zum Exit-Gletscher begleitet. Eine Exkursion, bei der das Thema Klimawandel anschaulich wird. Denn die Gesteinsmoränen, die die Gletscher zurück lassen, finden sich fast Jahr für Jahr ein Stück weiter oben. „Vor zehn Jahren war das ganze Gebiet, auf das wir jetzt sehen, noch von Eis bedeckt. Bei der Geschwindigkeit, mit der der Gletscher zurückgeht, dürfte es noch etwa fünfzig Jahre dauern, bis der gesamte Exit-Gletscher verschwunden ist“, berichtet Leslie.

USA - Alaska - Exit-Gletscher

Exit-Gletscher

Buckelwale und Orkas

Dass die Gletscher kleiner werden und das Eis sich zurückzieht, das erfahren auch die Passagiere der Alaskan Explorer, und zwar über den Bordlautsprecher. Doch während diese Information eher beiläufig aufgenommen wird, ist die Erregung groß, als etwa 100 Meter von der Explorer entfernt zwei Buckelwale auftauchen – und einer von ihnen eine Wasserfontäne nach oben schießen lässt. Der Kapitän hält das Schiff an, die Passagiere gucken angestrengt in alle Richtungen – doch die Wasseroberfläche bleibt ruhig.

„Sie können bis zu 45 Minuten unter Wasser bleiben“, sagt Kathy. Die 27-jährige ist in San Diego zur Schule gegangen, ganz in der Nähe der Sea World, die sie regelmäßig besuchte. Schon seither ist sie von Walen begeistert. „Wenn wir hier raus fahren“, berichtet sie, „sehen wir fast jeden Tag Buckelwale – und ein paar Mal in der Woche auch Killerwale.“ Die Bootsausflüge entlang der Küste finden allerdings nur in den Sommermonaten statt, von Mai bis Anfang September. Den Rest des Jahres verbringt Kathy in Florida – und die Buckelwale vor der Küste Hawaiis, Mexikos oder Japans. Dort zehren sie dann von dem Fett, das sie sich in den fischreichen Gewässern Alaskas angefressen haben. Globalisierung ist also kein rein menschliches Phänomen.

USA - Alaska - Buckelwal

Buckelwal

Auf der Weiterfahrt der Alaskan Explorer tauchen dann noch mehrmals die Rücken- und die Schwanzflossen von Killerwalen auf. Im Vergleich zu den bis zu vierzig Tonnen schweren Buckelwalen sind die „Orkas“ mit gerade acht Tonnen Lebendgewicht richtiggehend schmächtig. Während die Buckelwale eher Autisten sind, die nur gelegentlich ein paar Tage mit anderen Walen zusammentreffen, sind Killerwale ausgesprochen soziale Wesen – sie bleiben ein ganzes Leben lang im gleichen Familienverbund zusammen.

USA - Alaska - Killerwale

Killerwale

Die Stellerschen Seelöwen

Auf der Rückfahrt in die Ressuraction Bay kommt die Alaskan Explorer noch an einigen kleinen Inselchen vorbei – und da liegen sie auf den Klippen, und recken ihre Hälse der Sonne entgegen – die Stellerschen Seelöwen. Die gelbbraunen Tiere gehören zu den Ohrenrobben, unterscheiden sich von anderen Arten, beispielsweise den Seehunden, durch ihre Farbe und auch durch die Größe. Ein ordentlicher Seelöwen-Bulle bringt mehr als eine Tonne Körpergewicht auf die Waage. Kein Wunder, dass auch Stellers „Beschreibungen von sonderbaren Meerthieren“ einen gewissen Respekt bekunden: „Obwohl diese Meerthier grässlich aussieht und böse oder hitzig scheint; auch an Kräften, an Größe des Körpers und Stärke seiner Glieder den Seebär bei Weitem übertrifft, dabei schwer zu überwinden ist, und wenn es sich in Not siehet, auf grausamste kämpfet, dabei durch seine Löwengestalt die Augen und das Gemüth erschrecket, so fürchtet es sich doch vor dem Menschen dermaßen, dass es, wenn es ihn nur von weiten erblicket, sich schleunigst auf die Flucht begibt, und vom festen Lande in das Meer eilet. .. Treibet man es aber so sehr in die Enge, dass ihm alle Gelegenheit zu entfliehen benommen ist, so gehet es gerade auf den Beleidiger los, wirft vor Zorn den Kopf hin und her, brummet, brüllet und jaget auch den herzhaftesten Mann in die Flucht.“ Dagegen klingt die Beschreibung der Stellerschen Seelöwen im Bearfoot-Travel-Guide eher profan: „Außerhalb des Wassers sehen die Seelöwen wie Couch Potatoes aus, vielleicht sogar wie ein Couch. Im Wasser jedoch sind sie elegant und schön.“

USA - Alaska - Stellerschen Seelöwen

Stellerscher Seelöwe

Im Alaska Sea Life Center im Städtchen Seward, dem Ausgangsort der Entdeckungsfahrt der „Alaskan Explorer“, sind die Stellerschen Seelöwen ein Dauerthema, denn die Seelöwen-Population geht seit Jahren dramatisch zurück. „Es sind verschiedene Faktoren, die zum Rückgang führen. Zum einen ist die Wassertemperatur hier in den letzten 15 bis 20 Jahren um zwei Grad Celsius angestiegen und es gibt Veränderungen in den Strömungen, die dazu führen, dass die Seelöwen immer mehr Energie aufwenden müssen, um an Futter zu kommen. Zum anderen werden sie häufiger gestört, beispielsweise durch Kreuzfahrtschiffe und kommerzielle Fischereiflotten“, berichtet Bill Hearn, einer der Biologen und Führer am Zentrum, in dem nicht nur Stellersche Seelöwen, sondern auch Stellersche Eiderenten zu bewundern sind. Die eigentliche Forschungsarbeit zu den Stellerschen Seelöwen freilich erfolgt nicht an Tieren in Gefangenschaft, sondern auf einer Insel im Golf von Alaska, auf der sich eine Kolonie der Tiere befindet. Noch hofft man den Stellerschen Seelöwen das Schicksal der Stellerschen Seekuh ersparen zu können, die bereits vor rund 200 Jahren ausgestorben ist.

USA - Alaska - Stellerschen Seelöwen

Apropos Schicksal. Die dramatische Rückreise nach Sibirien überlebte Georg Steller nur durch seine medizinischen Kenntnisse und eine große Portion Glück. Denn die 24 Meter lange St. Peters erlitt in einem Sturm Schiffbruch und strandete auf der Awatschainsel. Dort starb nicht nur Kapitän Vitus Bering, der später als der „Kolumbus des Zaren“ in die Geschichte einging und nach dem die Awatscha-Insel mittlerweile benannt ist, sondern insgesamt 18 weitere Besatzungsmitglieder an Entkräftung und Skorbut. Steller nutzte den Zwangsaufenthalt und katalogisierte, so weit es möglich war, Tiere und Pflanzen – bis die verbleibenden Matrosen aus den Restes der St. Peter ein neues, kleineres Boot gebaut hatten und im Sommer 1742 die Rückreise nach Kamtschatka antreten konnten. Seine Heimatstadt Bad Windsheim, seine Studienstadt Halle an der Saale, ja Deutschland als Ganzes hat Steller jedoch nie mehr gesehene – er forschte noch einige Jahre in Kamtschatka und starb im November 1846 im Alter von 37 Jahren in Westsibirien.

 

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