Maine: Leckerbissen im Lobsterland

Auf Hummerfang vor der Küste Neuenglands

Text und Fotos: Adrienne Friedlaender

Wie ein Teppich aus tausenden von Kristallen spiegeln sich die Strahlen der Nachmittagssonne auf den sanften Wellen des Ocean. Am Steuer des elf Meter langen offenen Lobster-Bootes steht Tom Martin. Der 43 jährige Kapitän trägt ein blaues Polohemd, dazu Shorts und Sonnenbrille. Routiniert steuert er die „Lucky Catch“ durch das seichte Wasser der Casco Bay vor der Küste von Portland.

USA - Portland - Hummerfang

Vor einer der Felsinseln erreicht das Boot die erste Boje. Tom stoppt den Motor, zieht seine orangefarbene Gummihose an und verwandelt sich im Nu vom smarten Kapitän in einen Lobsterfischer. Mit einer Winde befördert er einen Hummerkorb aus dem Meer und zieht ihn an Bord. Tom öffnet den Gitterkäfig, greift nach der Beute und präsentiert seinen Gästen den Fang. Ein prächtiger Hummer ist in der Nacht in die Falle gegangen. Und der Homarus americanus, der amerikanische Hummer, ist ein temperamentvoller Bursche: Aufgeregt lässt der gelb gescheckte Krusten-Kraftprotz seine langen Antennen kreisen, schaut Tom vorwurfsvoll aus den gestielten schwarzen Augen an und schnappt angriffslustig mit seinen gewaltigen Scheren nach der Hand des Fischers.

USA - Maine - Hummerfang

Wie die Rodeos zum Wilden Westen gehören Hummer zu Maine. Vor der felsigen Küste des größten Neuengland-Staates tummeln sich Millionen der begehrten Schalentiere im kühlen Atlantik. Die berühmten Lobster gehören zum Leben an der Küste und sind auch hier in Portland überall gegenwärtig: Nicht nur auf dem Meer, in den Häfen und Restaurants. Obwohl die Hummer als Einzelgänger leben, tauchen sie in den Läden entlang der Küste in Schwärmen auf: als Plüschtiere, auf Pyjamas, T-Shirts, Bechern, Tellern und Tüchern und sogar als Hummer-Weihnachstschmuck.

USA - Maine - Hummerdeko

Der Hummerfang ist in Maine einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Mehr als 6.000 Lobsterfischer fahren täglich hinaus, um die Delikatessen aus dem Meer zu holen. Einer von Ihnen ist der 79jährige David Mc Vain. Es riecht nach Meer, Salz und vor allem nach Fisch auf der Wharf an der Commercial Road in Portland. Zwischen dutzenden bunten Hummerkisten und Plastikwannen sitzt der alte Fischer neben seiner blauen Fischerhütte und sortiert ein Gewirr von Leinen.

USA - Maine - Wharf

„Ich habe mein ganzes Leben auf dem Fischerboot verbracht, erzählt David, der vor 74 Jahren zum ersten Mal mit seinem Vater aufs Meer fuhr. „Fischen ist alles, was ich kann, und alles, was ich will.“ Und auch heute noch verbringt der pensionierte Fischer jeden Tag auf der Wharf und fährt regelmäßig mit seinem kleinen Kahn zum Fischen hinaus. Allerdings nicht mehr wie früher vor Sonnenaufgang „Ich muss mit meinem Fang nicht mehr die ganze Familie ernähren. Jetzt im Alter kann ich es mir leisten, nur noch zum Vergnügen zu fischen“, erzählt er und lächelt zufrieden.

Nur aus purer Leidenschaft Lobsterkörbe aus dem Meer ziehen - davon träumen die Fischer im harten Hummer-Alltag. Um bei den fallenden Preisen ihre Familien ernähren zu können, müssen sie immer mehr der Krustentiere an Land bringen.

Vor rund 14 Jahren hatte Fischer Tom Martin die Idee, während der Sommersaison Gäste mit an Bord zu nehmen und sie in das Geheimnis der Hummerfischerei einzuweihen. Auf der zweistündigen Fahrt von Boje zu Boje und Hummerkorb zu Hummerkorb lernen die Gast-Fischer wie die Tiere aus der Tiefe des Meeres auf den Teller kommen und alles über das Fischer- und Lobster-Leben in Maine. Dazu hat jeder an Bord Gelegenheit, selber einmal Hand an den Hummer zu legen und die begehrten Leckerbissen aus dem Atlantik zu ziehen.

USA - Maine - Hummerfang

Heute Nachmittag schlüpfen sechs Gastfischer an Bord der „Lucky Catch“ in die orangefarbenen Fischerhosen. Dazu erhält jeder ein paar Gummihandschuhe. Dann geht es los. In Begleitung einiger hungriger Möwen tuckert die Lucky Catch zu den Bojen, die die Hummerkörbe der Fischer markieren. Jeder Fischer hat seine eigenen Boje-Farben. Die von Tom Martin sind weiß mit einem grünen Streifen. Tom greift einen Haken und fischt damit die Boje aus dem Wasser. Dann hängt er das Seil, das an der Boje befestigt ist, an den Flaschenzug und zieht den Hummerkorb aus dem Wasser. Die Spannung steigt, und tatsächlich ist im Laufe der Nacht ein prächtiges Exemplar in die Falle gegangen.

USA - Maine - Hummerfang

Tom holt ein Messgerät aus der Tasche, um die Größe des Hummers zu kontrollieren: Zur Erhaltung des Bestandes wird der Hummerfang in Maine kontrolliert und jeder einzelne Hummer genau inspiziert. Alles, was kleiner ist als 8,25 Zentimeter, wandert nicht ins Bassin auf dem Schiff, sondern darf zurück ins Wasser. Das olivgrüne Meerestier mit dem schwarz gesprenkelten Bauch, das rebellisch in Toms Hand zappelt, hat zwar die Mindestgröße, aber die Hummerdame trägt Rogen am Unterleib und steht damit unter Mutterschutz. Bevor Tom sie zurück ins Meer wirft, kerbt der Hummerfänger den Schwanz ein. Damit ist das Tier als besonders fruchtbar gekennzeichnet und ist auf Lebenszeit vor dem Kochtopf geschützt.

USA - Maine - Hummerfang

Anschließend sammelt Tom die Köderreste aus dem Korb und wirft sie den Möwen zu, die sich laut kreischend auf die Fischreste stürzen. Dann füllt der Fischer das Säckchen mit frischen Hummer-Leckerbissen und wirft den Korb zurück ins Meer, und weiter geht die Fahrt zur nächsten Boje. Eine Prozedur, die sich jeden Tag für manche der Fischer bis zu 800 Mal wiederholt – das entspricht der Höchstzahl an Hummerfallen, die jeder Fischer bewirtschaften darf. Klingt eintönig – aber nur für Nichtfischer. Als Tom im Alter von 13 Jahren zum ersten Mal mit dem Nachbarfischer aufs Meer fuhr, um seinen ersten Hummer aus dem Meer zu ziehen, hat auch er sofort angebissen: „Es war für mich ein solcher Nervenkitzel herauszufinden, was in der nächsten Falle auf mich wartete. Und dies Gefühl hat sich bis heute nicht geändert.“

USA - Maine - Hummerfang

Bei der nächsten Boje hat der Fischer mehr Glück. Ein Hummer in der perfekten Größe ist in die Falle gegangen. Tom zeigt seinen Fischer-Schülern, wie man die Scheren des kämpferischen Meerestieres mit einem Gummiband verschließt. Das geschieht nicht nur zum eigenen Schutz, sondern auch, weil die Hummer sich in Gefangenschaft im Becken gegenseitig verletzten würden. Gefesselt landet er im Beute-Bassin und weiter geht die Fahrt. Vorbei an Leuchttürmen und Felseninseln durch die Casco Bay.

USA - Maine - Hummerfang

Bis zu sechs Mal am Tag fährt Tom von Mai bis Oktober mit Gästen aus aller Welt hinaus. In den übrigen Monaten fährt er wie all seine Kollegen tagtäglich im Morgengrauen allein über das Meer. Was gefällt ihm besser? „Im Frühling freue ich mich auf die Monate mit den Gästen an Bord, die Abwechslung und Gespräche. Aber zum Ende der Saison sehne ich mich auch wieder nach dem Winter und die Tage allein auf dem Meer.“

Mit einem Dutzend der köstlichen Schalentieren an Bord legt die Lucky Catch nach rund zwei Stunden wieder an. Jeder der Gäste darf am Ende der Fahrt für fünf Dollar „seinen“ Hummer mitnehmen.

USA - Maine - Hummerfang

Wer den Hummer nicht selber kochen möchte, hat die Möglichkeit, das fangfrische Krustentier gleich am Pier im Restaurant Lobster Company zubereiten zu lassen. Und während die dampfende Meeres-Delikatesse mit warmer Butter am Steg serviert wird, legt die „Lucky Catch“ schon mit der neuen Crew ab.

 

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