Text: Ferdinand Dupuis-Panther
Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther u.a.
Brüssel ist wegen des Belgischen Zentrums für Comics und der zahlreichen Comic-Läden ein Dorado für Fans der kleinen bunten Bildgeschichten mit Sprechblasentexten. Selbst einige Giebelmauern der belgischen Hauptstadt sind längst zur Projektionsfläche für die Comic-Kunst geworden. Unser Autor hat sich umgeschaut und berichtet von Comic-Strips in Museen, auf Fassaden und in U-Bahn-Stationen.
Beim Stöbern in einem Brüsseler Comicladen. Foto: Belgisches Verkehrsamt
Belgien ist ein kleines Land mit nur zehn Millionen Einwohnern, doch ein großer Teil von ihnen scheint aus emsigen Comiclesern zu bestehen. Für sie zeichnen und kolorieren mehr als sechshundert Comiczeichner immer neue Geschichten. Beachtlich ist die Auflagenhöhe, die belgische Comics erreichen: 40 Millionen Exemplare werden an die Leser ausgeliefert.
Comics sind aus keiner belgischen Tageszeitung wegzudenken; Comiczeitschriften wie »Spirou« erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Ohne den Abdruck der Bildgeschichten von Tim und seinem Struppi in einer Zeitung hätte auch Hergé nie die Bekanntheit erlangt. Hergés Comicfiguren sind mit Fug und Recht in einem Atemzug mit Mickey Mouse und Donald Duck oder Asterix und Obelix zu nennen. Der chaotische Büroangestellte Gaston Lagaffe, eine Erfindung von Franquin, ist in Belgien nicht minder bekannt als der Cowboy Lucky Luke, der im Wilden Westen den Daltons auf den Fersen ist. Zu erwähnen sind unter den belgischen Comics außerdem »Suske und Wiske« sowie »De Rode Ridder« von Willy Vandersteen und die »Schlümpfe« von Peyo.
Merchandising mit Comic-Figuren: Tim und Professor Bienlein. Foto: Belgisches Verkehrsamt
Es gibt kein Thema, das nicht in einem belgischen Comic behandelt wird: Anlässlich des Kaiser-Karl-Jahrs (Gent 2000) hat Hec Leemans das Leben des letzten Burgunders und die lockeren Sitten des Hochmittelalters in bunten Bildern wiedergegeben. Das Ministerium der Flämischen Gemeinschaft ließ Rob van Riets »Der sonderbare Sammler« veröffentlichen, eine Bildgeschichte über Bücherdiebe und Gelehrte, Chicorée und Haggis, flämische Rockmusik und sibirischen Salsa – und zugleich eine kleine Kulturgeschichte Brüssels und Flanderns. Selbst die Firmengeschichte der Brauerei Moortgart, bei der nicht nur der »Duvel« reift, sondern auch »Palm« und »Rodenbach« gebraut werden, ist als Comic erschienen. Schließlich hat die Belgische Post William Vance und J. Van Damme sowie den Comic-Helden »XIII« mit einer Briefmarke geehrt.
Im Atelier von Bob de Moor. Foto: Belgisches Verkehrsamt
Dass man Comics auch in der Stadtteilarbeit einsetzen kann, haben Bob de Moor und Nix sowie deren Schüler an der Hogeschool Sint Lukas unter Beweis gestellt, als sie ein »Soziogramm« des Viertels am Brüsseler Nordbahnhof zeichneten, in dem afrikanische Nutten, albanische Mafiosi, gealterte Freier, südamerikanische Transvestiten und streng gläubige Türken zuhause sind – doch das Multikulti hat Risse bekommen. Motto der Arbeit war »Comic geht zu den Huren«. Mit der vorgelegten Veröffentlichung in Französisch und Niederländisch werben die Macher nun für ein besseres Verständnis der sozialen Gruppen, die zu den Verlierern der globalen Modernisierung gehören.
Das Mekka des Comic
Ohne eine kräftige Geldspritze durch die Regierung hätte das Belgische Comic-Museum 2005 seine Türen beinahe für immer schließen müssen. Nur sehr gering sind die Finanzmittel, mit denen die französischsprachige und die flämischsprachige Gemeinschaft die jährlichen Ausstellungen des Brüsseler Comic-Museums fördern, und das, obgleich dieses Museum zu den Publikumsmagneten Brüssels gehört und jedes Jahr 250.000 Besucher in die Rue des Sables kommen. Untergebracht ist das Museum in einem Gebäude, das von Victor Horta entworfen und 1906 als Kaufhaus seiner Bestimmung übergeben wurde. Eine kleine Ausstellung im Foyer widmet sich diesem Aspekt der Geschichte.
Auch diese beiden Comichelden aus der Feder von Roba (»Boule und Bill«) findet man im Belgischen Comicmuseum
Dass dieser Horta-Bau nicht auch wie das Volkshaus und das Kaufhaus L’Innovation ein Opfer des Modernisierungswahns in Belgiens Hauptstadt geworden ist, ist unter anderem dem Comiczeichner Bob de Moor und dem Hergé-Freund Guy Dessicy zu verdanken. Anlässlich des 100. Geburtstags des Warenhauses Waucquez haben einige der bekanntesten belgischen Comiczeichner zur Feder gegriffen, um ihre Sicht auf das Juwel der Art nouveau im Herzen Brüssels auf Papier zu verewigen. Dabei würdigt man ein Spätwerk des Architekten Victor Horta, in dem 64 Jahre lang Stoffe und Textilien verkauft wurden. Doch dann veränderte der Bau der Nord-Süd-Verbindung der Eisenbahn den Charakter der Gegend um die Rue des Sables. In die Zeit des Niedergangs der Gegend in den 1960er und 1970er Jahren fiel auch die Geschäftsaufgabe des Warenhauses Waucquez, das fortan leer stand.
Hätte der zuständige Minister für öffentliche Aufgaben das leer stehende Warenhaus nicht 1980 erworben, wäre es wohl um dieses Beispiel des belgischen Jugendstils geschehen gewesen. Neun Jahre dauerten die Renovierungs- und Umbaumaßnahmen, ehe das Zentrum des belgischen Comic seine Türen öffnete. Königlicher Besuch war aus diesem Anlass selbstverständlich. Nicht nur Boudouin I. und Fabiola waren häufige Gäste des Museums, bis heute schauen Mitglieder des Königshauses hin und wieder zu Sonderausstellungen in der Rue des Sables vorbei.
Schmökern in der Welt der Comics
Wer in das lichte Foyer des Comic-Museums eintritt, erblickt nicht nur eine rot-weiße Rakete, die bei Tims Mondfahrt eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch eine hellrote »Ente«, deren Karosserie u. a. mit Schlümpfen und Lucky Luke, der die Sektkorken knallen lässt, bemalt ist. Tim und Bienlein, die beide in knallorangen Raumanzügen stecken und geradewegs aus der Bildgeschichte »Der Flug zum Mond« entsprungen zu sein scheinen, sind gleichfalls im Museum zugegen.
Mit viel Sinn für die ansprechende Inszenierung werden im Comic-Museum Sonderausstellungen präsentiert.
Wer sich in den Obergeschossen des Museums umschaut, wird nicht nur in die Geburt des Comic eingeführt, sondern darf auch einen Blick auf die Schätze des Hauses werfen: Originalzeichnungen in Schwarz-Weiß, die in wechselnden Ausstellungen im Mezzanine zu sehen sind. Drei bis vier Monate lang werden etwa 250 Originalzeichnungen gezeigt, die aus einem Fundus von mehr als 6.000 Zeichnungen stammen. Mal hat man Glück und sieht frühe Hergés oder bei anderer Gelegenheit die Bildgeschichten des rasanten Rennfahrers Michael Vaillant.
Im belgischen Comic vereinen sich Science-Fiction und Mittelalterambiente, dramatische Inszenierungen und biederer Alltag. Die Welt der Dinosaurier verschmilzt mit der Geschichte der Maya. Geschichte wird wie in »Suske und Wiske« zum Dekor der Erzählung. Marc Sleen verarbeitet afrikanische Plastiken aus dem Zentralafrikanischen Museum in Tervuren ebenso in seinen Comics wie Brüsseler Waffeln, und Hergé war häufiger Gast im Jubelparkmuseum und ließ einige der Ausstellungsstücke von der Osterinsel und aus Peru in seine Bildwerke einfließen.
Vom Vater des belgischen Comic, Hergé, stammen diese Comicfiguren, die uns eigentlich nur beim Blättern in »Tim und Struppi« begegnen, doch in Brüssel schmücken Szenen aus sie eine U-Bahnstation.
Auffällig sind in belgischen Comics die Paare, um die sich Geschichten entwickeln: das Geschwisterpaar Suske und Wiske, Tim und sein vierbeiniger Begleiter Struppi, Spirou, der Hotelpage, mit seinem Begleiter, einem Eichhörnchen, oder Boule und sein Cockerspaniel Bill, eine Kreation von Jean Roba, die seit 1959 existiert. Bisweilen erfinden Comicautoren auch neue Tierarten, so Franquin, der das Marsupilami erschuf, ein getüpfeltes, sich hüpfend fortbewegendes Wesen mit dünnem Riesenschwanz. Historische Stoffe wie Caesar und Pompejus tauchen in belgischen Comics neben mittelalterlichen Fantasiegeschichten auf. Frank & Bou thematisierten 1987 – und eine derart aktuelle Fragestellung ist in europäischen Comics eher eine Seltenheit – den Bau eines gigantischen Stausees, der eine ökologische Katastrophe zur Folge hat. Muñoz und Sampayo offenbaren in einer ihrer Bildgeschichte über die US-Politik in Nicaragua explizit ihre politische Einstellung.
Wer nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung von Comics noch nicht genug, der kann sich in den Lesesaal des Museums zurückziehen, um dort in »Tim&Struppi«, »Cubitus«, »Jugurtha«, »Gaston« oder anderen Comics zu schmökern, die unter anderem in deutscher Sprache für die Besucher bereitliegen.
Bemalte Fassaden
In der Rue de Capucines 15: Blondin und Cirage von Jijé
Spaziert man vom Museum aus zum Boulevard Pacheco, dann steht man Auge in Auge mit dem chaotischen Gaston Lagaffe, der dank seiner Tollpatschigkeit kein Fettnäpfchen auslässt und seine Mitmenschen zum Wahnsinn treibt. Gegenüber des innerstädtischen Polizeireviers blicken wir auf eine schmale Giebelwand, die von François Schuiten bemalt wurde: In seiner Arbeit – der Himmel ist durch die Stadtarchitektur weitgehend verstellt –, vereint er einige historische Gebäude Brüssels wie der klassizistische Kirche Sankt Jakob auf dem Koudenberg zu einem fiktiven Stadtbild.
Über die Rue du Midi und Eikstraat gelangt man zur wohl bekanntesten Brunnenfigur der Welt, einem pinkelnden Knaben, der nur selten ohne Kostüm zu sehen ist. Von Manneken Pis aus spaziert man noch ein Stück die die Eikstraat bergan, in der an einer Hauswand ein buntes Feuerwerk entzündet wird. Dany hat dieses Freudenfeuer ursprünglich für den Comic »Oliver und Columbine« gemalt.
Der verrückte Büroangestellte Gaston Lagaffe, eine Schöpfung von Franquin, steht wie ein Torwächter oberhalb der Rue des Sables an der Pachecolaan.
Weiter geht es anschließend zum Kohlenmarkt mit seinen zahlreichen Kneipen, wo gleich zwei Hauswände mit Wandbildern geschmückt sind: Frank Pé lässt neben der Kneipe »Plattesteen« Jonas Valentin mit seiner Freundin die alten Gassen von Brüssel durchstreifen, während an einer anderen Straßenecke Francis Carin den Meisterspion seiner Majestät des Königs Georg V., Victor Sackville, durch Brüssel begleitet. In einer Nebenstraße der Rue du Bon Secours, der die Pilger auf dem Jacobsweg zur Kirche Bon Secours folgen, ist Rick Master gerade dabei sich waghalsig an einer Hauswand herabzulassen, um sich in die Arme einer am geöffneten Fenster stehenden Frau zu stürzen, während ein Herr, der gerade seinen Hund Gassi führt, verdutzt dem akrobatischen Treiben zuschaut.
Dany zeichnete die Geschichten von Olivier Rameau (Ansicht einer Brandmauer in der Eikstraat unweit von Manneken Pis).
Über den Boulevard Anspach und die Rijkenklarenstraat spazieren wir zur ehemaligen Markthalle auf dem Platz St-Géry – dem Treffpunkt für Kneipengänger. Auch hier müssen wir uns nur ein wenig umschauen, um einen belgischen Comic an einer Hauswand zu entdecken: Marc Sleen lässt seinen Helden Nero in ländlicher Umgebung – man denkt an eines der malerischen Dörfchen des Pajottenlandes westlich von Brüssel – auf einen Baum klettern und nach Schmetterlingen greifen. Wer einige Schritte durch eine nahe Tordurchfahrt tritt, kann die hier oberflächlich dahinströmende Zenne sehen, die sonst kanalisiert und in Beton eingeschnürt unterirdisch die Stadt durchfließt.
Mit der Metro zu Tim und Struppi
Nächste Station unseres Spaziergangs von Wandgemälde zu Wandgemälde ist die Kartuizerstraat. Schmal ist das Wandstück, das Yslaire mit seinem auf dem Dachfirst hockenden Engel versehen hat. Zum Schluss machen wir noch einen Abstecher in die Fabriekstraat, wo der Nestor des belgischen Comics, Bob de Moor, in mehreren Bildern die Welt des Meeres und der Segelschiffe auf einer Hauswand verewigt hat.
Diese Comicfiguren aus der Feder von Hergé stammen aus »Die Juwelen von Castafiore« und »Das Geheimnis des Einhorns«.(Metrostation Stokkel)
Wer mit der Metro zur Station Stokkel fährt, wird dort 140 Comicfiguren aus der Feder von »Hergé« finden, die in 22 Tim-und-Struppi-Alben vorkommen. Verantwortlich für die Realisierung dieses riesigen Wandfreskos sind das Atelier Hergé und der Comic-Zeichner Bob de Moor. Beim Besuch der U-Bahn-Station entdeckt man nicht nur den Pfeife rauchenden, grantelnden, cholerischen Kapitän Haddock, sondern auch Tim und seinen ständigen vierbeinigen Begleiter, Struppi. Man begegnet der kleinen Zigeunerin Miarka und dem Diener Nestor, der auf Schloss Molensloot lebt und eine Nebenrolle in »Das Geheimnis des Einhorns« spielt. Der im Rollstuhl sitzende Professor Bienlein taucht vor uns auf, zudem der Sherpa Tarkey aus »Tim und Struppi in Tibet«. Szenen aus »Tim und Struppi im Kongo« schmücken die U-Bahn-Station ebenso wie solche aus »Flug 714 nach Sydney«
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