Text und Fotos: Ferdinand Dupuis-Panther
Es gibt Orte in Belgien, von denen die wenigsten schon je gehört haben. Ja, auch abseits der flämischen Kunststädte wie Brügge, Gent und Antwerpen sowie Lier und Mechelen oder Tongeren gibt es Interessantes zu entdecken, vielleicht auch auf einer Radtour durch Limburg. Dabei kann man sich auf das sehr gut ausgebaute und ausgeschilderte Knotenpunktsystem verlassen. Man muss nicht mehr lästig während der Fahrt in einer Karte nachschauen, wohin die Tour gehen soll, sondern notiert sich vor Tourbeginn die einzelnen Punkte, die man ansteuert.
In der Domäne Dommelhof
Am Kanal Bocholt-Herentals liegt der Ort Neerpelt (1). Nein, der Ort hat keine besonderen Sehenswürdigkeiten, sieht man einmal von der Provinzialdomäne Dommelhof ab. Inmitten einer abwechslungsreichen parkähnlichen Landschaft mit dem Wasserlauf der Dommel, Teichen, einem angelegten Birkenhain, Kiefern- und Laubwaldbestand befindet sich der Dommelhof, ein Zentrum für Kleinkunst, Zirkuskunst, Musik und auch Jazz. Zum Treffpunkt junger Musiker aus Europa werden Neerpelt und der Dommelhof immer Ende April und Anfang Mai. Unter dem Motto „Alle Menschen werden Brüder“ findet seit 60 Jahren das Europees Muziekfestival voor de Jeugd statt. Daran nehmen junge Musiker aus ganz Europa teil. Es geht dabei nicht um die Auslobung von Preisen im Rahmen eines Wettbewerbs, sondern um das gemeinsame Erarbeiten von Musikstücken, die dann zur Aufführung gebracht werden. Umgeben ist dieses Zentrum für Musik und Theater vom sogenannten Klankenbos, dem Klangwald, der als „musikalisches Kunstprojekt“ den Wald zwar nicht zum Rauschen, aber zum Klingen bringt.
Wir beginnen unsere Entdeckungstour durch den Klankenbos am Theater. He, was klappert denn da im Wind? Störche, die sich begrüßen, sehen wir nicht, auch keine Mühle am rauschenden Bach, doch wir sehen den „Windzylinder“ von Bernward Frank, bestehend aus zwei rotierenden Achsen, Klappern, Lamellen und zwei halben Stahlscheiben. Durch die Bewegung des Objekts schlagen die Klappern an die Lamellen; je nach Windstärke mal mehr und mal weniger. Wer nicht gleich durch das merkwürdige Klappern angezogen wurde, hat seine Schritte zum „Geheimnis von Horst“ gelenkt, eine Arbeit von Horst Rickels, der uns mit seiner Installation nach einem Specht, der auf der Nahrungssuche mit seinem Schnabel an einem Baumstamm hackt, Ausschau halten lässt.
"House of Sound" von Pierre Berthet
Auf einem sich durch Rhododendren schlängelnden Weg gelangen wir zum „House of Sound“. Zwei spitzbogige Behausungen aus Cortenstahl stehen rechts und links der Dommel. Verbunden sind diese mit zwei Drähten. Diese wiederum haben mit einem Netz aus Drähten zwischen den Bäumen weitere Verbindungen. Mittels eines sogenannten Exciters, mit dem man Klänge verfremden kann, und Resonanzkörpern werden die Drähte in Schwingen gebracht. Steht man als Besucher in einer der beiden Stahlbehausungen, dann hört man surrende, summende oder schnarrende Geräusche. Derweil fließt die Dommel ganz gemächlich dahin. Der Pianist und Organist Erwin Stache hat für seine Klanginstallation eine Gruppe von Kästen zusammengestellt, die orchestrale Musik wiedergeben, ja nach der Entfernung, in der sich der Besucher zum Objekt befindet. Es gibt auch einzelne Kisten, aus denen Stimmengewirr dringt, sodass sich bei Überlagerungen der Stimmen mit der orchestralen Darbietung ganz eigenwillige Klangformen ergeben.
"Springtime in a small Town" von Peter Bosch und Simone Simons
Peter Bosch und Simone Simons haben ihre Installation „Frühling in einer Klangstadt“ genannt. Wer sich diesem Kunstobjekt aus einfachen Holzkisten nähert, die auf Federn montiert wurden, sollte sich nicht erschrecken, wenn diese anfangen sich hin- und herzubewegen, zu rattern und zu knarren, vor- und zurückspringen. „Eene meene Miste, was rappelt in der Kiste ...“ – im Sinne der Sesamstraße – mag dem einen oder anderen Besucher des Dommelhofs beim Zuhören in den Sinn kommen.
"Tucet"
Klang kann aber auch Nicht-Klang, also absolute Stille, bedeuten. Ein aus speziellem Glas gefertigter Kubus kann durch einen unterirdischen Zugang betreten werden. Kein, aber auch wirklich kein Geräusch dringt ans Ohr derjenigen, die im Glaskubus stehen. Nach all den Geräuschen, die unseren Alltag sonst bestimmen, mag das eine ganz neue Erfahrung für viele sein. Pate für diese Installation stand eine Komposition von John Cage namens „Tacet“, gleich „Es ist still“.
"Chaise résonnante" von Tony di Napoli
Von Weitem sehen wir schon einen kleinen Birkenhain bestehend aus 24 Bäumen, die mit einem Klangsystem ausgestattet wurden. Unabhängig vom Wind, der die Blätter zum Rascheln bringt, geschieht dies auch durch das Klangsystem, das uns vorgaukelt, die Blätter rascheln. Dass man Klänge auch körperlich empfinden kann, erfahren wir, wenn wir auf dem Holzstuhl Platz nehmen, den Tony Di Napoli als Teil seiner Installation schuf. Neben dem Holzstuhl besteht das Klangobjekt auch aus vergrabenen Klangsteinen aus Kalkstein. Sobald man sich dem Stuhl nähert oder sich auf diesen setzt, aktiviert ein Mechanismus die Klangsteine, die den Stuhl zum Vibrieren bringen.
An der Dommel
Wer Platzangst hat, sollte Hans van Koolwijks Objekt „Ursprung“ nicht betreten. Man begibt sich nämlich in eine riesige Röhre, in der Windturbulenzen vorhanden sind. Zu guter Letzt werfen wir einen Blick ins sogenannte Kanarienstudio. Ja, da fliegen und schwirren tatsächlich Kanarienvögel umher. Deren Gesang wird aufgezeichnet und zugleich verfremdet wiedergegeben. Mit diesem Eindruck verlassen wir den kostenlos zugänglichen Dommelhof und den Klangwald. Wem nach einer Radtour ist, dem kann man nur empfehlen, vom Dommelhof aus zur Abdij Achelse Kluis und in die schon in den Niederlanden liegende Groote Heide zu radeln, nicht nur um ein leckeres Abteibier zu probieren, sondern auch um auf die Spuren des Ersten Weltkriegs zu stoßen, die hier noch allgegenwärtig sind.
Informationen
EJM: http://www.neerpelt.be/europees-muziekfestival-voor-de-jeugd-emj-
Dommelhof: https://dommelhof.be/
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