Buchbespechung

111 Orte in Brüssel, die man gesehen haben muss

Zunächst ist es müßig, sich Gedanken über die Zahl der Orte zu machen und sich die Frage zu stellen, ob es denn nicht auch 99 oder 100 Orte hätte sein können. Gewiss ist, dass die Zahl 111 ins Auge fällt, weil sie eben nicht dem gängigen Schema entspricht. Brüssel von A bis Z zu entdecken und auch auf Ungewöhnliches zu stoßen, das macht den vorliegenden Reiseführer aus, der auf jeweils einer Buchseite im Text zum Beispiel die Kultkneipe „A La Mort Subite oder den „Kunsttempel des Plastiks“, ADAM genannt, vorstellt. Wer sich für modernes Design der 70er und 80er Jahre begeistern kann, der sollte dieses Museum im Brüsseler Atomium unbedingt besuchen. Übrigens zu den einzelnen Kapiteln gibt es zudem einen Hinweis auf nahe gelegene Sehenswürdigkeiten, die auch von Interesse sein könnten, so beim A La Mort Subite auf die Stammkneipe der belgischen Surrealisten, voran René Magritte. Und um welche Kneipe handelt es sich? Um das „Goldene Papierblümchen“ („La Fleur en Papier Doré). Mit derartigen Querverweisen – in der Netzsprache würde man von Verlinkung sprechen – erweitern sich die Orte, die in Brüssel gesehen werden müssen, ganz wesentlich.

111 Orte in Brüssel, die man gesehen haben muss

Eher Abseitiges und nicht das Gängige ist das, was die Autoren ihrer Leserschaft präsentieren, so auch das „ Brüsseler Schloss Neuschwanstein“, die Bayerische Landesvertretung im Europaviertel. Es gilt auch hinter die Kulissen, sprich die Fassaden, zu schauen, um so unter anderem das Bellone mit seiner barocken Fassade zu besichtigen, das in der Rue de Flandre in einem Hinterhof steht. Den Blick auch mal nach oben zu richten, empfehlen die beiden Autoren dringend, wenn man in Brüssel unterwegs ist. Sonst würde man auf dem Kunstberg das Glockenspiel nicht entdecken. Bewegliche Figuren, die in der Wand eingelassen sind, stellen Kapitel der Stadtgeschichte dar, so Karl V., Peter Paul Rubens und Graf Egmont.

Viele Brüsselbesucher, die die Grand Place mit der belgischen Hauptstadt gleichsetzen, werden beim Lesen des Brüssel-Reiseführers überrascht sein, dass man mitten in Belgien auch riesige Dinos findet. Dazu muss man allerdings das Museum der Naturwissenschaften besuchen. Dort findet man unter anderem Iguanodons neben Diplodoctus. Das ist nicht nur für Eltern mit Kindern ein Muss! Bisweilen werden auch banale Dinge wie ein Fahrstuhl vorgestellt. In diesem Falle verbindet dieser die Ober- mit der Unterstadt, die Gegend um den gigantischen Justizpalast mit dem urigen Marollenviertel. Wer auf Trödel und Antiquitäten steht, wird hier gewiss fündig. Übrigens, noch ein zusätzlicher Tipp für Kunstfreunde: Musée Art&Marges für Außenseiterkunst in der Hoogstraat/Rue Haute.

Historisch Unbekanntes wird von den Autoren für den Leser entdeckt, so in der heute mondänen Avenue Louise das Denkmal für den Piloten Jean de Selys Longchamps, der am 20. Januar 1943 aus seinem britischen Geschwader ausscherte und mit seinem Jagdflieger einen Angriff auf die berüchtigte GESTAPO-Zentrale in der Av. Louise 453 flog. Das ist jüngere Geschichte, die wohl in keinem deutschen Geschichtsschulbuch steht. Was das Hotel Métropole mit Albert Einstein und Marie Curie zu tun hat, erläutern die Autoren obendrein sehr sachkundig. Diese Nobelherberge wird bisweilen ja nur im Kontext von Jugendstil und Brüssel erwähnt. Auch die jüngste Geschichte wird in einem weiteren Kapitel aufgeblättert, wenn es um die Gedenkwand in der Eingangshalle der Metrostation Maelbeek geht. Erinnert wird an die Anschläge vom März 2016. Derartige „Sehenswürdigkeiten“ sucht man in klassischen Reiseführern vergeblich. Ähnliches gilt für das Shoa- Denkmal in Anderlecht.

Gewiss auch die Jugendstilarchitektur Brüssels wird ausführlich vorgestellt, und nicht nur das Horta-Haus, sondern auch das Hôtel Tassel und das Maison Saint-Cyr sowie das Maison Cauchie. Noch gibt es Institutionen wie das L'Archiduc und Le Cirio. Doch wie lange, das ist die Frage. Zu den Museen, die eher ein stiefmütterliches Dasein fristen, gehört das ehemalige Atelierhaus des Historienmalers Antoine Wirtz. Für ihn galt das Motto: „Die großen Gemälde für die Kunst, die kleinen für die Suppe“. Zum zumeist unentdeckten Brüssel gehört auch die Senne, die nur an einer Stelle ihr unterirdisches Kanalbett verlässt, im privaten Hof des Lion d'Or.

Was hier vorliegt, ist kein Reiseführer mit vorgezeichneten Rundgängen, die sich zumeist auf Brüssel-Stadt beschränken, sondern die Autoren öffnen den Blick für das Unbekanntere, für das Abseitsgelegene, so auch für die für jedermann einsehbaren Pissoirs oder die grüne Oase im urbanen Getümmel, den Parc Josaphat. Zudem sind die Verweise zu beachten, so beim Kapitel zum Josphatpark auf den Dudenpark im Stadtteil Forest.

Als Besucher Brüssels ist man mit diesem Reiseführer gefordert, muss man sich doch selbst seine Entdeckungstour zusammenstellen. Dank der angegebenen Adressen und der Hinweise auf Busse, Tram und Metro ist das zwar ein wenig Arbeit, aber machbar. Erkundungen auf eigene Faust – das ist also das Motto des vorliegenden Reiseführers.

© Ferdinand Dupuis-Panther

 

Kay Walter, Rüdiger Liedtke: 111 Orte in Brüssel, die man gesehen haben muss, ca. 240 Seiten, ISBN 978-3-7408-0128-1, Euro 16,95 [D] , 17,50 [AT]

 

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