Formal fällt zunächst auf, dass die Kapitelüberschriften alle in Kleinschreibung gesetzt wurden. Doch die Frage ist nur, warum das geschah. Zudem wird die Biografie durch QR-Codes ergänzt, sodass man auch musikalisch-akustisch die Karriere des Saxofonisten Klaus Doldinger verfolgen kann, ohne beim Lesen die diversen Alben Doldingers, vor allem die von „Passport“, auf dem CD-Player abzuspielen.
Die Biografie, an deren Entstehung auch der Sohn Doldingers beteiligt war und, wie der Saxofonist, an einer Stelle betont, ohne den durch die Pandemie erzwungenen Lockdown nie geschrieben worden wäre, gliedert sich in vier Teile. Zu Beginn heißt es „erste improvisationen, erste liebe“ und am Ende „der blick in die zukunft“. Doldinger blickt dabei auf mehr als acht Jahrzehnte seines Lebens zurück und ein wenig auch nach vorne.
Die gesellschaftlichen Umstände und politischen Ereignisse seiner Zeit scheinen für Doldinger nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Umbrüche, wie die Wahl von Willy Brandt zum Bundeskanzler zum Beispiel, werden stichwortartig benannt. Welchen Einfluss sie auf die Kultur der Bundesrepublik genommen haben, steht für Doldinger nicht im Fokus. Nur im Hinblick auf das Aufwachsen in einem sehr autoritären Elternhaus in den 1950er Jahren geht Doldinger in die Tiefe, schildert die Auseinandersetzungen mit dem Vater, für den Musiker zu werden eine brotlose Kunst darstellt. Stichwort: „du wirst noch im tingeltangel enden“.
Im Vorwort schildert im Übrigen Nicolas Doldinger den Entstehungsprozess der Biografie, mit Bezug auf Archivrecherchen und fünfzig Gespräche mit seinen Eltern. Dabei bleibt außen vor, ob nicht solche Gespräche Ereignisse verdichten, Zusammenhänge verschieben und vielleicht auch das Vergangene verklären. Und am Ende des Prologs stoßen wir auf eine URL und einen QR-Code: www.doldinger.de/bonustrack. Derartige QR-Codes finden sich verstreut über die Biografie auch in anderen Kapiteln und sind musikalische Pausen während des Lesens.
Zunächst nimmt uns Klaus Doldinger mit nach Schrobenhausen und in eine Zeit, als die Amerikaner gerade einmarschiert waren. Zackige Märsche der Naziparaden gehörten der Vergangenheit an. Zu solchen hatte Vater Doldinger seinen Sprößling einst mitgenommen. Jazz war statt dessen in sein Leben getreten, wie Doldinger im Prolog schreibt. Zuvor hatte er heimlich unter der Bettdecke Voice of America gelauscht, aber da waren noch nicht Coleman Hawkins oder Sidney Bechet Teil seines Alltags. Das kam wie das Klavierspielen, das Erlernen von Tenor- und Sopransaxofon sowie das Kompositionsstudium später, viel später. Doldinger erinnert sich an den häufigen Ortswechsel, während er heranwuchs. So war auch Wien einst eine Station. Der Vater blieb weitgehend ein Fremder, war er doch wegen seiner Beschäftigung bei der Reichspost häufig nicht vor Ort tätig, sondern in Berlin oder Düsseldorf. Dorthin verschlug es die Familie am Ende des Krieges, als die Rote Armee auf Wien vorgerückt war. Zwischenstation auf dem Weg an den Rhein war Schrobenhausen.
Nahtlos wurde der Vater nach dem Krieg in den Dienst der Bundespost übernommen. Über die Nazizeit – und das war so typisch für die Zeit nach der sogenannten Stunde Null – wurde nicht geredet. Die erste lebhaft in Erinnerung gebliebene Begegnung mit Jazz war dank eines Nachbarn in der Düsseldorfer Werkswohnung möglich. Er besaß sogenannte Victory Discs, unter anderem mit Aufnahmen von 1944 aus der Philharmonic Hall in LA. Dank eines QR-Codes können sich die Leser in jene Zeit des Jazz versetzen lassen und in einer Lesepause einem Blues lauschen.
Doldinger bekennt an anderer Stelle seiner Biografie, dass er anfänglich für George Shearing und die Dutch Swing College Band geschwärmt hat. Für die Eltern Doldinger war dies jedoch „Dschungel- und Urwaldmusik“. Das galt im Übrigen für Jazz im allgemeinen. Türöffner für den Jazz waren der Hot Club in Düsseldorf und das Deutsche-Amateur Jazz-Festival, auf dem auch der junge Doldinger unter anderem mit dem späteren Bundesminister Manfred Lahnstein seine ersten Meriten erwarb. Eine der „Hörstationen“ im Buch ist übrigens „Summertime“ von Sidney Bechet, zugleich eine Referenz an die Zeit, als der Hot Club und das Musikhaus Jörgensen die Schule des Jazz waren.
Die erste Band Doldingers waren die „Feetwarmers“, der das Kapitel „friedowitsch und die ersten warmen füße“ gewidmet ist. Im Fokus standen dabei New-Orleans-Standards. Ein weiterer Hotspot der Düsseldorfer Anfangsjahre als Musiker war das Restaurant „Zum Csikós“, ein Treff für Musiker und andere Künstler, darunter auch der Mitglieder der Gruppe „ZERO“. Heinz Mack gehörte dazu. Mit diesem verbindet ihn, Doldinger, seit diesen Jahren ebenso eine Freundschaft wie mit Konrad Klapheck, einem der wichtigsten Avantgardisten jener Epoche. Doch vertiefend geht Doldinger auf diese Verbindungen leider nicht ein.
Neben dem traditionellen Jazz, den Doldinger mit den „Feetwarmers“ pflegte, war es dann ab Mitte der 1950er Jahre der Modern Jazz, der Doldinger begeisterte. Die Gründung des „Oscar’s Trio“ war dementsprechend eine Folge des Faibles für Bebop und Modern Jazz. Das entsprechende Hörbeispiel fehlt natürlich nicht: Zu hören ist hier das balladenhaft ausgerichtete „Tenderly“ . Das Kennenlernen von Inge, Doldingers Partnerin seit Jahrzehnten, wird ebenso in der Biografie beschrieben wie auch die Liebe von Inge zum Jazz. Stichwort: „die kleine inge von der kö“.
Mit den „Feetwarmers“ und „Oscar’s Trio“ folgten dann Konzertreisen und auch Schallplattenaufnahmen, darunter auch eine Hommage an Zarah Leander. Parallel dazu stand das Studium als Tonmeister am Konservatorium an. Diese Ausbildung versöhnte die Eltern, die wie gesagt Musik als brotlose Kunst ansahen. Neben dem Studium erfolgten Doldingers nächtliche Auftritte als Vollblutmusiker. Diese waren durchaus eine Belastung und ultimative Herausforderung zum Studium.
Die Heirat von Inge und Klaus Doldinger bedurfte der Überredung der jeweiligen Eltern. Inges Mutter war skeptisch: „Er hat keinen Beruf, schlimmer noch, er ist Musiker“. Doch allen Unkenrufen zum Trotz ist die Ehe bis heute glücklich.
Stets war die Karriere von Doldinger eine, die auch das Reisen mit sich brachte, angefangen bei einer Amerikatour 1960. Derartige Touren, auch für das Goethe-Institut sowie verschiedene Albenprojekte bestimmen hinfort das Leben Doldingers und dessen Familie. Dass es dabei auch Wegbereitern und Freunden wie Siggi Loch bedurfte, schildert Doldinger in vielfältiger Weise. Die Wege von Doldinger und Siggi Loch trennten sich allerdings, als Siggi Loch das Label ACT aus der Taufe hob. Doldinger blieb bei dem bisherigen Label Warner Musik Group, brachte aber bei ACT Mitte der 1990er Jahre zumindest zwei Veröffentlichungen heraus.
Neben der Arbeit mit „Motherhood“ und vor allem mit „Passport“ machte sich Doldinger einen Namen als Komponist von Jingles und vor allem aber komponierte er die Musik für den „Tatort“ und den Film „Das Boot“. Die Zeiten der „Feetwarmer“s und von „Oscar’s Trio“ waren irgendwann vorbei. „Passport“ hieß die neue Band, zeitweilig mit dem Schlagzeuger Udo Lindenberg. Dieser verließ allerdings die Band, um mit dem Panikorchester und als Sänger eigene Wege gehen zu können. „Passport“ jedoch existiert, wenn auch mit anderer Besetzung bis heute. „The First 50 Years of Passport“ heißt die jüngste Veröffentlichung. Und was bringen die nächsten Jahrzehnte? Das fragt man sich angesichts einer solchen Veröffentlichung und der vorgelegten Biografie?
© ferdinand dupuis-panther
Klaus Doldinger, Nicolas Doldinger, Torsten Groß: Made in Germany -Mein Leben für die Musik, 320 S., sw u farb Abb. im Innenteil, ISBN 9783492071246, Piper Verlag
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