Ahlen
Kunstmuseum
Ein Genuss! Früchte von Renoir bis Ai Weiwei
. bis 26.10.2025
Ausstellungsansicht (c) foto ferdinand dupuis-panther 2025
Wie kommt ein Privatsammler zu einem Sammlungsschwerpunkt Früchte? Das ist eine berechtigte Frage. Der im Vorspann genannte Sammler ist Chemiker, Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmer und Stifter. Dabei sei erwähnt, dass er die elterliche Firma, die Rudolf-Wild-Werke, übernommen hat und zeitweilig leitete. Dieses Unternehmen in Eppelheim, einem Nachbarort von Heidelberg, widmet sich natürlichen Fruchtaromen für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Zugleich ist das Unternehmen der größte Fruchteinkäufer der Welt. Im Gegensatz zu seinen Eltern, die sehr an Kunst interessiert waren und auch Kunst sammelten, war es nicht die alte Kunst, die Rainer Wild interessierte, sondern das Neue, der Impressionismus, der Expressionismus, die Neue Sachlichkeit bis hin zu den Jungen Wilden in der Gegenwartskunst. Und genau dieses Spektrum zeigt das Kunstmuseum, immer bezogen auf das Thema Früchte. Dabei sind die Werke nicht zeitlich geordnet zu sehen, sondern thematisch, mal geht es um Zitronen, mal um Bananen und mal auch um üppige Stillleben über Jahrzehnte der Kunstgeschichte hinweg.
Hans Op de Beeck, Vanitas (variation) 1, 2015, Holz, Gips, bemalt, 76 x 45 x 75 cm, Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025
Im Erdgeschoss jedoch gibt es in den gezeigten Werken Fingerzeige auf historische Vorbilder, zum Beispiel auf Hieronymus Bosch oder Giuseppe Arcimboldo mit manieristischen Darstellungen des menschlichen Gesichts aus Blumen, Früchten, Pflanzen sowie eine Arbeit zum Thema Memento Mori, siehe die Arbeit von Hans Op de Beek. Dieser verzichtet auf ein klassisches Element des Genres, den Totenkopf. Statt dessen präsentiert er einen Filzstift, eine Zigarettenschachtel, einen überlaufenden Ascher, ein Feuerzeug, eine Sprayflasche, Milch im Karton, eine erloschene Kerze – sehr klassisch und typisch in dem Genre – sowie Bananen und Trauben. Diese passen eher in ein Stillleben als zu einem Memento Mori. In Letzteren würden wir ein aufgeschlagenes Buch erwarten, das mit den Buchseiten auf dem Tisch platziert ist. Doch Op de Beek zeigt uns dies nicht. Nun ja, der belgische Künstler wählte halt eine ganz eigene Interpretation der Vergänglichkeit
Max Kaminskis Garten der Lüste und eine kunstinteressierte Besucherin
Hyperrealistisch ist die überdimensionierte Traube, die Karin Kneffel zu verdanken ist. Ähnlich wie Magrittes „Das ist keine Pfeife“ ist diese Arbeit zu begreifen. Es ist eine Abbildung bzw. Idee von einer Traube. Vergoldet wurde durch Alicja Kwade eine Tollkirsche, tödlich in hohen Dosen, in niedrigen durchaus eine Arznei. Und warum wurde diese „Frucht“ vergoldet und gleichsam in einen Anstecker oder eine Brosche verwandelt? Ist es die Verfremdung, die bezweckt ist, um den Blick des Besuchers anzuziehen? Man muss es annehmen.
Besucherin betrachten den "Bacchus" von Stephan Balkenhol
(c) Vg BIldKunst Bonn 2025
Bewusst wurde die Unschärfe in dem Gemälde eines jungen Mannes mit Früchtekorb gewählt. Es scheint, als verschwinde der Porträtierte hinter einer Milchglasscheibe. Durchscheinend ist der Malgrund, der wohl aus Rupfen besteht. Slawomir Elsner wählte als Vorlage für seine Arbeit eine von Caravaggio, ohne diese zu reproduzieren. Dicht nebeneinander hat der Künstler seine Linienbündel gesetzt. Deren immense Anzahl führt zu dem Bildeindruck des Unscharfen, des Milchigen, des unter einem Schleier Verborgenen. Eine Bronzebüste findet sich auch in diesem Teil der überaus sehenswerten und sensibel arrangierten Ausstellung. Sie bezieht sich auf den manieristischen Künstler Giuseppe Arcimboldo. Zu sehen ist ein Porträt, in dem eine Birne, Haselnüsse Kaffeebohnen und ein Apfel zu finden sind. Miguel Berrocal verneigt sich damit vor der Fantasiewelt eines Renaissance-Künstlers.
Konfrontation mit einer riesenhaften Brombeere von Hans Op de Beek © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025 (c) foto ferdinand dupuis-panther 2025
Das dreiteilige Werk „Garten der Lüste“ nimmt Bezug auf ein entsprechendes Wimmelbild von Hieronymus Bosch aus der Zeit um 1500. Im Mittelteil sieht man ein nacktes Paar inmitten von Früchten. Links und rechts ist von Max Kaminski der Verfall dargestellt: Bäume, denen die Krone und die Äste abgeschlagen wurden. Und am Boden entdeckt man zwei abgeschlagene Schädel. Immer wieder findet sich auf dem Gemälde-Dreiklang der Apfel vom Baum der Erkenntnis und zugleich Symbol der Verführung. Man denke außerdem an den Sündenfall von Adam und Eva in der biblischen Darstellung. Neben Bosch muss in den Kontext auch Peter Paul Rubens und sein Gemälde „Das Paradies“ an dieser Stelle erwähnt werden, oder
Julia Gruner Obst macht fit (c) foto ferdinand dupuis-panther
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2025
Doch auch zahlreiche Stillleben können wir bewundern, so von Henri Manguin ein exotisches Stillleben mit Ananas, Zitrone, Pampelmuse, Fenchelknolle, Kaffeebohne sowie einem blaugrünen Henkelkrug. Besonders auffallend ist der bunte Tischdeckenstoff mit üppigen Dekors, wie man ihn auch bei Gemälden des Fauvisten Matisse findet.
Keinen Gott der Lüste, dem Alkohol durchaus zugetan, zeigt uns Stephan Balkenhol in seiner lebensgroßen Figur des Bacchus. Nur der Krug und der Halsschmuck aus Weinblättern und Trauben sind Fingerzeige auf den antiken Gott des Weines, des Rausches, des Wahnsinns und der Ekstase. Nein, dieser Bacchus scheint eher einer der Askese. Verloren steht er im Raum; von Lebenslust ist nichts zu spüren.
Alexej von Jawlensky, Stillleben mit Hyazinthe und Orangen, 1902, Öl auf Leinwand, 53,5 x 44,4 cm, Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg
Es sei an dieser Stelle aus den zahlreichen Stillleben von Renoir bis de Chirico besonders auf Franz Radziwills Stillleben hingewiesen. Dieser verbindet das Genre Stillleben mit dem einer Stadtlandschaft mit einer Litfaßsäule und rauchenden Schloten. So konterkariert der Künstler die idyllische Vorstellung von einem Stillleben! Forsch und fast gestisch zu nennen, ist der Farbstrich von Lovis Corinth bei seinem Stillleben mit drapiertem Obst in einer Schale und einem Hintergrund jenseits von Unifarben. Auch Man Ray, den man zumeist als Fotografen kennt, ist in der Schau vertreten. „Nature Mort“ ist der Titel der Arbeit. Eine Birne, eine Aubergine und Paprika vereinte Ray in seinem Stillleben.
Alexander Kanoldt, Stillleben I, 1930, Öl auf Leinwand, 80,5 x 61,5 cm, Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg
Sinn für das Überdimensionierte zeigt Hans Op de Beek mit seinem skulpturalen Brombeerarrangement. Der bearbeitete Marmorblock, der als äußerer Rahmen übrig blieb und eine überdimensionierte Himbeere ummantelt, stammt von Claudia Comte („Suspended Marble Rasberry“).
Gehäkelt ist die Bananenschale, die in einem Raum auf dem Fußboden liegt. Dicke Bananen zeigt uns Fernando Botero. Die von Chiquita sind es gewiss nicht. Und auch Melonen sind Gegenstand der Kunst. Aufgrund der eher tonigen Farbgebung ist Max Slevogts „Melonenstillleben“ gewiss keine Animation für den Kauf von Melonen. Beim Anblick hat man auch eher den Eindruck, man stehe vor einem aufgeschnittenen Kürbis mit gelb-bräunlichem Fruchtfleisch. Gabi Streiles „Geschlitzte Melonen“ hingegen, zeigen feuerrote Melonenscheiben, deren Fruchtwasser herunterläuft.
Ai Weiwei, Watermelon, 2006, Porzellan, Durchmesser 38 cm, Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025
Rainer Fettings Apfelbilder vermitteln den Eindruck, als wären sie Stellvertreter, als würden sie als Figuren auf regennasser Straße warten, dass sie jemand isst, oder? Es sind saftig-rot ausschauende Äpfel aus Karwe, einem Stadtteil von Neuruppin. Was nach dem Biss in den Apfel übrigbleibt, zeigen uns Gavin Turk („Gala, eaten apple) und Cornelius Völker („Apfel“). Und auch ein „Apfelmonster“ entdecken wir bei unserem Rundgang: Man betrachte mal Thomas Scheibitz und dessen Darstellung eines Apfelgriebsch mit einem roten Augenpaar!
Fernando Botero ist mit einem Stillleben ebenso vertreten wie Max Pechstein und Karl Hofer. Dieser hat grün-bräunliche Abate-Birnen für die Nachwelt in einem Gemälde festgehalten. Naiv mutet die Darstellung der Ananasbirne von Paul Klee an. Und Jörg Immendorf provoziert mit „Esst Deutsche Äpfel“. Dabei taucht wohl am Rande der grünen Äpfel Meister Beuys auf. Interpretiert wird die Arbeit auch als Ironisierung der Suche nach nationaler Identität, so liest man es in dem handlichen Katalogbuch zur Ausstellung.
Pierre-Auguste Renoir, Nature morte aux pommes et grenades, ca. 1910, Öl auf Leinwand, 25,4 x 33,9 cm, Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025
Auch als Provokation muss man die rosafarbene Stofftasche mit der Aufschrift „Obst macht fit“ verstehen, dank an Julia Gruner. Dass man mit Fruchtsaft und mit Früchten als „Druckstempel“ arbeiten kann, unterstreicht Jiri Georg Dokoupil in „Ohne Titel (Orangenscheiben)“. Ja man sieht die Abdrücke von Orangen und auch den tropfenden Saft sowie dessen Verwischung auf der Leinwand. Durchaus provozierend ist auch einer der Saaltexte auf quadratischem farbigen Grund einem Gemälde gleichend. Auf einem dieser Tafeln lesen wir: „Pfirsichhaut ist erstrebenswert, Orangenhaut ein Problem. Ein Po soll knackig wie ein Apfel sein, aber bitte keinesfalls birnenförmig. … Frauenkörper werden häufig mit Früchten beschrieben - und bewertet. Männerkörper erstaunlicherweise kaum. Höchstens in Bezug auf den Penis. Aber hier hat sich die Aubergine gegen die Banane durchgesetzt. Bösartige Vergleiche führen den Spargel oder Lauch an - aber das sind bekanntlich alle Gemüse.“ So schlägt man einen Bogen von Früchten zu menschlichen Schönheitsvorstellungen. Aber das ist nur ein Aspekt, da der Fokus schon auf den Früchten liegt – und das ist überaus überzeugend.
'Text Ferdinand Dupuis-Panther 2025
Cornelius Völker, Apfel, 2002, Öl auf Leinwand, 31 x 40,5 cm, Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025
Mit Werken von Arman | Ernst Barlach | Fernando Botero | Gabriele Münter | Giorgio de Chirico | Salvador Dali | André Derain | Jiri Georg Dokupil | Conrad Felixmüller | Katharina Fritsch | Jörg Immendorff | Alexej von Jawlensky | Max Kaminski | Alexander Kanoldt | Anish Kapoor | Anselm Kiefer | Paul Klee | Karin Kneffel | Alicja Kwade | Markus Lüpertz | Emil Nolde | Max Pechstein | Pablo Picasso | Hans Purrmann | Christian Rohlfs | Karl Schmidt-Rottluff | Paul Signac | Max Slevogt | Andy Warhol | u.v.m
Antje Majewski, Inside the Apple, 2015, Öl auf Leinwand, 228 x 228 cm, Courtesy Kunststiftung Rainer Wild, Heidelberg © VG Bild-Kunst, Bonn, 2025
NOCH EIN TIP: FÜR 12 EURO KANN MAN AN DER KASSE DEN LESENWERTEN KATALOG MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN UND KURZEN TEXTEN ERWERBEN; SICHERLICH EIN WILLKOMMENER BEGLEITER DURCH DIE AUSSTELLUNG ODER ALS LESESTOFF FÜR ZU HAUSE.
Info
Kunstmuseum Ahlen
https://kunstmuseum-ahlen.de/