Duisburg
Lehmbruckmuseum
Die Befreiung der Form. Barbara Hepworth
Meisterin der Abstraktion im Spiegel der Moderne
bis 20. August 2023
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Die Befreiung der Form. Barbara Hepworth Meisterin der Abstraktion im Spiegel der Moderne
Ausstellungsansicht foto fdp2023
Die Ausstellung ist thematisch sehr gut und übersichtlich strukturiert. Zudem ist das Werk der britischen Bildhauerin in den Kontext europäischer Bildhauerkunst eingebettet. Werke von Arp, Brancusi, Gabo oder Giacometti sind in einen Dialog mit den Arbeiten von Hepworth gesetzt worden. Die Ausstellungsarchitektur zeigt Transparenz, nicht allein durch die Raumteilungen durch Tüll, sondern auch durch bewusste Sichtachsen.
Barbara Hepworth, Corymb, 1959, Bronze, Museum Morsbroich, Leverkusen, Barbara Hepworth © Bowness Zusätzliche Informationen: Eisendrähte, Höhe 30 cm
In der Einleitung verweist ein Saaltext darauf, dass die Befreiung der Kunst von der gegenständlichen Abbildung der wohl wichtigste Schritt in der Kunst des 20. Jahrhunderts war. Auch Hepworth ist Teil der Bewegung zur Abstraktion als universelle Sprache der Kunst. Gewiss war ihr Stand und Status als Künstlerin in einer männlich geprägten Kunstwelt nicht einfach, zumal sie auch noch vierfache Mutter war. Dennoch pflegte sie enge Kontakte mit Moore, Arp, Taeuber-Arp, Mondrian und Gabo, die die avantgardistische europäische Kunst repräsentierten, mal eher organisch-abstrakt, mal eher konstruktivistisch-abstrakt.
Dialog Hepworth und Giacometti foto fdp2023
In einem transparenten „Ausstellungsrondell“ werden Hepworth' Arbeiten unter anderem mit Lynn Chadwicks „Stranger II“ konfrontiert. Beim Anblick des „Fremden“ meint man, einen Vogelmenschen zu erblicken bzw. einen Menschen, dem Fledermausflügel gewachsen sind. Breitbeinig steht er auf konisch zulaufenden Beinen, und man wartet eigentlich darauf, dass sich die Figur durch Flügelschläge vom Boden erhebt. Kenneth Armitage schuf eine auf der Seite liegende Figur aus Bronze, jenseits des Abstrakten. In beinahe embryonaler Haltung liegt die weibliche Figur auf dem Sockel und erinnert aufgrund der Haltung an einen Käfer, der nicht auf die Beine kommt. Aufgebrochene Formen zeigt uns Barbara Hepworth mit „Involute II“. Es scheint, als seien zwei breite Bänder zusammengefügt worden, die einen Leerraum umschließen. An die Scheibenskulpturen von Archipenko muss man bei Hepworth' „Single Form“ denken. Inspiriert wurde das Werk von den Steinmonolithen, die man in Cornwall findet und die rituellen Zwecken dienten. Formale Bezüge, so liest man im Begleittext zur Skulptur, bestehen zu einer monumentalen Skulptur ähnlicher Form, die in Gedenken an den UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld in New York aufgestellt wurde.
Barbara Hepworth, Caryatid (Single Form), 1961, Lehmbruck Museum, Duisburg, Foto: Jürgen Diemer, Barbara Hepworth © Bowness Zusätzliche Informationen: Teakholz mit Bindfäden, auf schwarz bemaltem Sockel, 219 x 61 x 56 cm
In einem weiteren Saaltext können Besucher sich in die Biografie vertiefen und dabei auch von ihrem tragischen Tod aufgrund eines Atelierbrands im Jahr 1975 lesen. Sie war mit Bildhauerkollegen verheiratet, darunter zuletzt mit Ben Nicholson, von dem eine reliefierte Arbeit namens „White Relief“ in der Ausstellung zu sehen ist. Gemeinsam mit ihm schloss sich Hepworth der Gruppe Abstraction-Creation an. Zum Kern der abstrakten Bewegung in Großbritannien gehörte neben den zuvor Genannten auch Moore. Seit 1939 bis zu ihrem Tod lebte die Künstlerin in St. Ives, an der Westküste Cornwalls. Dort gründete sie jenseits ihrer genuinen künstlerischen Arbeit das St. Ives Festival of Music and the Arts (1955). In einem Nachruf im Guardian wurde sie als die bedeutendste Künstlerin der Kunstgeschichte bezeichnet.
Die Befreiung der Form ist eines der Kapitel, die in der Ausstellung aufgeschlagen werden. Bei Hepworth finden sich neben organischen Formen auch Formen mit gewölbten und geschwungenen Flächen, polierten und unpolierten Oberflächen und aus unterschiedlichen Materialien gefertigt. Ähnlich wie bei Moore gibt es bei Hepworth das Bestreben durch die Skulptur in den Raum zu wirken, sich gleichsam zum Raum hin zu öffnen und den Raum in die Kunst einzubeziehen. Das wird insbesondere deutlich, wenn man den in die Ausstellung integrierten Film über Hepworth's Schaffen anschaut und die Wirkung ihrer Skulpturen unter freiem Himmel Revue passieren lässt. In Hepworth's Werk finden sich Einzelfiguren, Figurengruppen wie bei „Beschwörung“ und durchbrochene Formen.
Ich empfand größte Freude daran, den Stein zu durchstechen, um eine abstrakte Form und Raum zu schaffen. B. Hepworth 1952
Barbara Hepworth, Three Forms in Echelon, 1970, Sammlung Würth, Barbara Hepworth © Bowness Zusätzliche Informationen: Weißer Marmor, 66 x 86 x 55 cm
Aus Silber und auf einem Ebenholzsockel besteht die Arbeit mit magischen Steinen, eine Gruppe, einer abstrakten Gruppe. Mal liegt ein magischer Stein auf der Bodenplatte auf, mal durchstößt ein anderer Stein diese mit der Ecke oder aber ruht gekippt auf einer Kante des Steinkörpers. “Drei Formen in gestaffelter Anordnung“ (1970), aus Marmor geschaffen, sind nichts anderes als zwei aufgeschnittene Kugelformen und eine Scheibenstele zwischen den „Halbkugeln“. Auch diese Arbeit erinnert an archaische Steinsetzungen ähnlich wie „Single Form“, oder? Aufgesetzt auf einer dicken Holzplanke wurden gestaffelte Rechtecke, die miteinander verbunden wurden. Dabei haben die Verbindungsstücke eine sandigfarbene Oberfläche. Die beiden Rechtecke sind versetzt zueinander angeordnet und jeweils durch ein Sichtloch aufgebrochen. Als Paar gesetzt wurden von Hepworth zwei gestaffelte Bronzescheiben, die poliert wurden. Es ist eine abstrakte Arbeit und zugleich mit dem Begriff Paar auch wieder eine scheinbar figürliche. Aus metallisiertem Gips schuf die Künstlerin eine Endosschleife. Aufgebrochen ist die Form und zugleich einen Leerraum umschließend.
Barbara Hepworth, Large and Small Form, 1934, The Pier Arts Centre Collection, Orkney, Barbara Hepworth © Bowness Zusätzliche Informationen: Alabaster, 24,8 x 44,5 x 23,9 cm
Die Einbettung Hepworth‘ in die europäische Bildhauerei ist in der Ausstellung hervorragend gelungen, betrachtet man den Dialog zwischen „Gruppe III (Beschwörung)“ und Giacomettis „Komposition der sieben Figuren – Köpfe (Wald)“. Hepworth Gruppe erzählt eine Geschichte. Die Figuren beziehen sich auf- und zueinander. Bei Giacometti wirken sie wie Zinnsoldaten mit tektonischer Oberfläche. Sie scheinen eingefroren und statisch. Zu sehen ist obendrein Constantin Brancusis Kopf einer blonden Schwarzen. Welch ein Widerspruch!. Oval ist der Schädel mit Hochfrisur. Ein Krönchen ziert den Hinterkopf. Wulstig sind die Lippen. Das ist alles sehr figurativ, wenn auch mit simplifizierten Formen.
Eine Erzählstruktur kann man auch in Hepworth‘ „Konversation über magische Steine“ entdecken, geschaffen ein Jahr vor dem tragischen Tod Hepworth'. Nein mit einer antiken Karyatide, die in der Architektur eine Säule oder Stele ersetzt - siehe die Korenhalle des Erechteions auf der Akropolis -, hat Hepworth' Arbeit gleichen Namens nichts gemein. Schlank und ausgehöhlt mit zwei Mulden sowie mit gespannten Fäden, die an Saiten erinnert, so kommt Hepworth „Gewandfrau der Antike“ daher. Im Dialog dazu sieht man eine transparente Form von Naum Gabo, der in seiner Arbeit verspannte Nylonfäden verwendete. „Lineare Raumkonstruktion Nr 2“ nannte der Künstler das „geometrische Gebinde“ aus Nylonfäden.
Barbara Hepworth, Large and Small Form, 1934, The Pier Arts Centre Collection, Orkney, Barbara Hepworth © Bowness Zusätzliche Informationen: Alabaster, 24,8 x 44,5 x 23,9 cm
Wilhelm Lehmbruck begegnet im weiteren Ausstellungszyklus Hans Arp. Wir sehen einen geneigten weiblichen Torso mit hocherhobenen Armstümpfen. Kontrapunktisch gesetzt ist die „Menschliche Konkretion auf ovaler Schale“. Organisches zeigt uns Hepworth mit „Mutter und Kind“, gearbeitet aus pinkfarbenem Ancasterstein. Dabei distanziert sich die Künstlerin von der klassischen Pietà-Darstellung, auch wenn sie beide Figuren fast zum Verschmelzen bringt. Unter dem Stichwort „Zwischen Figuration und Abstraktion“ wird Hepworth „Große und kleine Form“ subsumiert. Man könnte die Darstellung als Mutter mit dem auf ihren Beinen wippenden Kind umschreiben. Entstanden ist das Werk aus Alabaster im Jahr 1934.
Barbara Hepworth, Marble with Colour (Crete), 1964, Sammlung Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Barbara Hepworth © Bowness Zusätzliche Informationen: Marmor, Holz, 153 x 140 x 50 cm
Auch das Thema „Natur und Landschaft“ wird durch eine Ausstellungsinszenierung thematisiert. Zu sehen ist dabei unter anderem „Meeresform“ von Hepworth. Über das Thema äußerte sich die Künstlerin wie folgt: „Die wesentlichen Quellen meiner Inspiration sind die menschliche Figur und die Landschaft sowie deren Verbindung zueinander.“ (1956),
Antoine Pevsner Raumkonstruktion in dritter und vierter Dimension'Lehmbruck Museum Duisburg foto fdp2023
Schließlich widmet sich die außerordentlich ansprechende Ausstellung dem Thema „Rhythmische Formen“. Zunächst ist es nicht Hepworth, die uns mit einem Werk ins Auge springt, sondern Nevin Aladağ und „Resonator Wind“ sowie einem weiteren Werk namens „Resonator String“. Ersteres besteht aus einer glänzenden Kugel, in der eine Querflöte, Bambusrohre, Mundstücke von Blasinstrumenten sowie das S-Rohr eines Alt- und eines Tenorsaxofons stecken. Hepworth hingegen widmet sich der Musik und dem Rhythmus mit „Orpheus“. Fazit: Die Ausstellung ist ein Muss für jeden, der sich mit moderner Bildhauerei des 20. Jahrhunderts befassen möchte, exemplarisch und jenseits des Enzyklopädischen.
© ferdinand dupuis-panther
Dudley Shaw Ashton, Figures in a Landscape, 1953, Film Still, © BFI, Courtesy of the BFI National Archive
Informationen
https://lehmbruckmuseum.de/de/